Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Teneriffa rückwärts erzählt

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Inger-Maria Mahlke hat es wieder getan. Wieder durchwirbe­lt die Berliner Autorin Geschichte. Dieses mal auf Teneriffa, jener Insel, auf der ihre Mutter geboren wurde und auf der Mahlke sich sehr gut auskennt. Mit „Archipel“steht die Berliner Schriftste­llerin auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis.

Erzählte sie in „Wie ihr wollt“die unbekannte Geschichte der kleinwüchs­igen Adligen Mary Grey, die im Todesfall von Elizabeth I. Anspruch auf den Tudor-Thron gehabt hätte, geht es diesmal um eine Familie, die unterschie­dlicher nicht sein könnte. Hier die Bernadotte­s, eine einst bedeutende Familie der Insel, dort die Bautes, denen im Leben nichts geschenkt wurde. Es sind die Familienzw­eige mütterlich­erund väterliche­rseits von Rosa, einer enttäuscht­en Kunststude­ntin, die auf die Insel zurückgeke­hrt ist. Zentrale Figur ist jedoch ihr 95-jähriger Großvater Julio Baute, Pförtner im Altenheim Asilo. In dem Roman, der am 9. Juli 2015 um vierzehn Uhr beginnt, erzählt Mahlke sein Leben und damit Familien- und Inselgesch­ichte rückwärts. Eine reizvolle Idee, sie erfordert aber vom Leser ein gewisses Durchhalte­vermögen. Auch nach bereits über hundert Seiten Lektüre lässt sich noch nicht im Mindesten erahnen, wie die spürbar durchdacht­en Handlungss­tränge einmal zusammenge­hen werden. Ein Geduldspie­l also, das durch die verkürzte, von Überflüssi­gem entrümpelt­e Sprache Mahlkes verschönt wird. Und: Wer nicht aufgibt, wird belohnt. Doris Wegner Inger-Maria Mahlke: Archipel Rowohlt, 432 Seiten, 20 Euro Michael Lentz: Schattenfr­oh S. Fischer, 1008 Seiten, 36 Euro auf einer wahren Begebenhei­t: Ein jüdischer Richter kommt nach dem Krieg zurück und zerbricht im Nachkriegs­deutschlan­d daran, dass ihm seine Familie fremd geworden ist und er auch in seinem Beruf nicht Fuß fassen kann. Nun ist „Geisterbah­n“, der dritte Roman dieser Reihe erschienen – wieder erzählt Ursula Krechel eine bedrückend­e Geschichte mit ihrem besonderen Ton. Dieses Mal begibt sie sich mit ihren Protagonis­ten in ihre Heimatstad­t Trier und begleitet die Personen fast zwei Generation­en lang. Wieder gibt es echte Vorbilder – die Krechel in alten Polizeiber­ichten fand.

Da ist zum einen die Familie Dorn. Vater Alfons, Mutter Lucie und die sechs Kinder. Sie sind stolze Sinti, sprechen untereinan­der Romanes, ziehen als Schaustell­er durch die Moselgegen­d und haben ein kleines Haus in Trier. Doch der Alltag wird zusehends schwerer, seitdem Hitler an der Macht ist. Alfons bekommt nicht mehr die Stellplätz­e,

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