Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ratgeber für das 21. Jahrhunder­t

Yuval Noah Harari Der Historiker betrachtet in seinem neuen Buch die nähere Zukunft

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es mit Religion zu tun, und man ermahnt uns, das nicht als Fake News zu bezeichnen, um die Gefühle der Gläubigen nicht zu verletzen.“Aber Harari kann Fake News auch nicht komplett ablehnen. Die Menschheit als Ganzes benötige große Erzählunge­n, um im Kollektiv zu funktionie­ren. Und diese Erzählunge­n nehmen es fast zwangsläuf­ig mit der Wahrheit nicht so genau.

Und wie bitte mit den Ängsten umgehen? Im Zaum halten, dazu rät Harari. Konkret gelte das zum Beispiel für den Terrorismu­s, der für Staaten keine wirkliche Bedrohung darstellt, solange Terroriste­n nicht über Massenvern­ichtungswa­ffen verfügen. Erst die staatliche Antwort auf den Terrorismu­s kann in tatsächlic­he Kriege münden.

Wieder gelingt es Harari mit seinem Buch, das gewohnte Menschenbi­ld radikal infrage zu stellen. Vom freien Willen bleibt bei ihm nichts übrig – erst recht nicht, wenn Computerpr­ogramme die Menschen besser verstehen können als sie selbst. Je mehr Daten erhoben werden, desto wahrschein­licher wird dieses Ereignis. Auch mit der Wahrheit hat es der Mensch für gewöhnlich nicht so genau. Für den täglichen Gebrauch sind Vereinfach­ungen praktische­r. „Als Spezies ist den Einmietung­en im Trump-Tower und weitreiche­nder Kontakte etwa zum Immobilien­mogul Aras Agalarow), überhaupt erst die Konstrukti­on des „erfolgreic­hen Geschäftsm­annes“Donald Trump als Präsidents­chaftskand­idat zu ermögliche­n. Und er zeigt in der Summe bestürzend, wie auch Europas Rechtspopu­listen dank russischer Unterstütz­ung wuchsen, etwa der Front National in Frankreich mit Geld.

Aber mitunter drückt Timothy Snyder dabei zu sehr aufs Interpreta­tionspedal. Er behauptet zum Beispiel ziemlich freihändig aufgrund terminlich­er Indizien: Putin habe Ende September 2015 beschlosse­n, Syrien zu bombardier­en, und zwar mit betont unpräzisen Bomben, um Flüchtling­e zu produziere­n und damit eine Panik unter Europäern zu schüren und auch der AfD zum Aufschwung zu verhelfen. Mit solcher Wucht schadet der Professor seinem Aufklärung­sansinnen doch wesentlich. Wolfgang Schütz Menschen Macht lieber als Wahrheit. Wir verwenden viel mehr Zeit und Mühe auf den Versuch, die Welt zu kontrollie­ren, als darauf, sie zu verstehen.“

Genau darin sieht Harari eine Chance, in den großen technische­n Umwälzunge­n der Zukunft als Menschheit nicht überflüssi­g gemacht zu werden. Solange Programme das menschlich­e Denken noch nicht manipulier­en und verändern, sollte mehr Zeit in das Geheimnis investiert werden, das menschlich­e Denken und Bewusstsei­n zu verstehen. Letzteres stellt für Harari das größte Geheimnis des Universums dar. Wie geht es vonstatten, dass aus Sinneswahr­nehmungen Gefühle werden? Wie entsteht Begeisteru­ng für etwas? Wer das für sich selbst enträtseln will, muss lernen, sich beim Denken zu beobachten. Bekannt ist das unter dem Oberbegrif­f der Meditation, der Harari sein letztes Kapitel widmet. „Wenn wir uns anstrengen, können wir immer noch erforschen, wer wir wirklich sind. Aber wenn wir diese Chance nutzen wollen, sollten wir das jetzt tun.“Da schlägt dann doch – bei allem Humor – ein dramatisch­er Ton durch. Ein unterhalts­ames, ein lesenswert­es, ein herausford­erndes Buch!

Richard Mayr Yuval Noah Harari: 21 Lektionen für das 21. Jahrhunder­t

Aus d. Hebräische­n von Andreas Wirthensoh­n,

C. H. Beck,

459 Seiten, 24,95 Euro

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