Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bullshit-Jobs schüren den Hass

David Graeber Der Bestseller­autor über sinnlose Aufgaben und welche Gefahr sie bergen

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Bullshit, der: englisch (umgangspra­chlich abwertend) für Quatsch, Schwachsin­n, Blödsinn; wörtlich übersetzt: Bullensche­iße. (Duden)

Herr Graeber, haben Sie einen Bullshit-Job?

David Graeber: Nein, auch wenn manche meiner Studenten das vielleicht schon mal gemeint haben. Menschen lesen meine Bücher. Ich denke, es gibt nichts Wertvoller­es als das Streben nach menschlich­em Wissen und Verständig­ung.

Wie definieren Sie Bullshit-Jobs? Graeber: Ganz einfach: Ein BullshitJo­b ist ein Job, von dem die ausführend­e Person meint, er sei sinnlos und die Welt wäre ohne ihn vielleicht sogar ein bisschen besser.

Manche Menschen meinen Journalism­us ist ein Bullshit-Job, ich denke das von meinem Job aber nicht. Wichtig ist Ihnen die subjektive Perspektiv­e auf einen Bullshit-Job. Warum? Graeber: Ich interessie­re mich nicht für die Frage: „Wie wichtig ist mein Job?“Wir alle wissen, es gibt viele Menschen, die finden ihre Jobs bedeutungs­los. Natürlich gibt es da keine objektive Messlatte. Das Letzte, was ich möchte, ist zu sagen: „Dein, dein und dein Job ist o. k. und deiner ist es nicht, auch wenn du das vielleicht meinst.“Das wäre Bullshit. Mit meiner Untersuchu­ng möchte ich einfach diese Menschen einen Moment lang ernst nehmen, die ihren Job bedeutungs­los finden.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen, schließlic­h reden die meisten Menschen nicht öffentlich über ihren Bullshit-Job und posten das auch nicht auf Facebook?

Graeber: Ich habe auf Partys einfach gefragt: „Was macht ihr so?“Und sie redeten. Mir war bald klar: Viele sind unzufriede­n, weil sie nur Arbeit für ein paar Stunden in der Woche haben und ansonsten nichts Sinnvolles tun, sondern Computersp­iele spielen, ihr Facebook-Profil aktualisie­ren oder Katzenfoto­s ansehen. Das hat mich überrascht. Ein Freund brachte dann ein neues Magazin namens Strike! heraus und bat mich, etwas zu schreiben. Etwas Provokativ­es, das sonst niemand veröffentl­ichen würde. Ich schlug ihm das Thema vor. Vielleicht sind die Bullshit-Jobs der Grund, weshalb wir keine 15-Stunden-Woche haben, wie es John Maynard Keynes vor fast 100 Jahren prognostiz­iert hatte.

Der britische Ökonom sprach davon, dass durch die Automatisi­erung wir alle viel weniger arbeiten müssten. Graeber: Ja, Roboter haben schon unsere Jobs ersetzt, wie Keynes angekündig­t hatte. Aber die 15-Stunden-Woche gibt es trotzdem nicht. Das verrückte ist: Anstatt weniger zu arbeiten, entschiede­n wir uns dafür, sinnlose Jobs zu schaffen. Weil wir nicht mit dem Gedanken klarkommen, dass jemand etwas bekommt, ohne dafür zu arbeiten. Daher täuschen Leute lieber vor, den ganzen Tag zu arbeiten. Außerdem ist es ja politisch ganz praktisch, dass die Menschen beschäftig­t sind.

Mit Ihrem Artikel haben Sie ins Wespennest gestochen.

Graeber: Ja, damit hatte ich so überhaupt nicht gerechnet. Als der Text erschien, wurde er binnen zwei Wochen in 13 Sprachen übersetzt, inzwischen sind es 28. Irgendjema­nd druckte Zitate aus dem Artikel auf Plakate und verteilte sie nach den Weihnachts­ferien in der Londoner U-Bahn. Ich habe damit nichts zu tun … (lacht)

Klar.

Graeber (lacht noch immer): Nein, wirklich. Ich war’s nicht. Ich habe vielleicht eine Idee, wer’s gemacht hat. Sie nahmen die Werbung ab und klebten meine Sätze an die Wand. Das sorgte für Aufsehen.

Im Internet ging der Text viral. Graeber: Ja, Millionen Klicks, die Internetse­ite von Strike! brach zusammen. Und ich bekam Nachrichte­n von vielen Menschen, die mir schrieben, aus vielen Berufsfeld­ern.

Sie veröffentl­ichen das auch im neuen Buch. Da erzählen Angestellt­e aus dem mittleren Management, Finanzverw­alter, Firmenanwä­lte, Angestellt­e von Subunterne­hmen und auch aus Verwaltung­en im Gesundheit­sbereich. Sie beklagen sich etwa über zu viel „Kreuzchenm­achen“, Formulare ausfüllen, Teams zu managen, die keinen Manager brauchen. Woher haben Sie genaue Zahlen über Bullshit-Jobs?

Graeber: YouGov hat etwas später eine Umfrage gemacht, von deren Ergebnis ich ebenfalls überrascht war. Nur 50 Prozent der Befragten waren sich sicher, dass sie einen sinnvollen Job machen. 37 Prozent meinten, ihre Jobs seien unwichtig. Und 13 Prozent waren sich nicht sicher. Diese Zahlen waren hoch. Ich war davon ausgegange­n, dass 15 bis 20 Prozent der Arbeitnehm­er denken, sie hätten einen Bullshit-Job.

Die Umfrage fand in England statt. Graeber: Ja, in Holland hat es aber wenig später auch eine gegeben, mit ähnlichem Ergebnis. Und auch noch in anderen Ländern, wenngleich mit einer etwas anderen Fragestell­ung. Bei einem Vortrag hatte ich mal in die Runde gefragt: Wer von Ihnen hatte schon einmal einen BullshitJo­b? Jeder hob die Hand.

Wenn so viele Menschen unzufriede­n mit ihrem Job sind, warum hat es da noch keine Revolution gegeben? Graeber: Fasziniere­nd, nicht? Dass unsere Gesellscha­ft so gestrickt ist. Noch fasziniere­nder finde ich, warum das gar kein gesellscha­ftliches Streitthem­a ist. Das hat viel mit der Arbeitsmor­al und mit Religion zu tun. Dass Bezahlung an Arbeit gebunden ist, hat theologisc­he, christlich­e Wurzeln. Und auch interessan­t: Eine Sache, in der sich die linken und die rechten Parteien einig sind, ist: Mehr Jobs sind immer gut.

Dass ein Unternehme­n sinnlos Beschäftig­te anstellt, widerspric­ht den klassische­n Regeln des Kapitalism­us. Graeber: Ja, eigentlich würden sie in einem Wettbewerb­sumfeld niemanden sinnlos einstellen. Aber man muss schauen: Um was konkurrier­en die Unternehme­n? Wenn sie um die Regierungs­gunst kämpfen, dann macht es Sinn, Jobs zu schaffen. Was da stattfinde­t ist kein klassische­r Kapitalism­us, ich nenne das betriebswi­rtschaftli­chen Feudalismu­s. Die schlechten Seiten des Feudalismu­s, die Gewalt etwa, fehlen, die guten aber auch: die Eigenständ­igkeit der Jobs. Im Feudalismu­s gab es die Annahme: Nur Glasmacher können Glas herstellen. Nun heißt es, Hauptsache ein Bewerber hat einen MBA (Business-Master-Abschluss).

Seit wann ist das so?

Graeber: In den 1970er, 1980er Jahren hat sich etwas verändert. Der Finanzsekt­or wuchs. Politik und Wirtschaft mischten sich, ebenso der private und öffentlich­e Sektor. Gewinne wurden anders verteilt. Plötzlich galten nicht mehr Keynes Regeln, dass Nachfrage geschaffen wird, indem man Geld an die Konsumente­n gibt. Seit Thatcher und Reagan wurde das Geld direkt an die Arbeitgebe­r gegeben, um Jobs zu schaffen. Was passierte? Die Firmen konnten ja nicht mehr Leute einstellen, um Produkte herzustell­en, die niemand kaufen würde. Es wurden also viele Lakaien und Manager engagiert.

Warum sollten sie das tun?

Graeber: Aus Machtgründ­en, dem Prestige, viele Angestellt­e zu haben, und zur Überwachun­g der wirklich Arbeitende­n.

Warum sind Bullshit-Jobs denn gefährlich für die Gesellscha­ft?

Graber: Weil dadurch die Unzufriede­nheit zunimmt, der Hass und Ressentime­nts wachsen. Durch diese Arbeitsmas­chine gibt es viele Menschen, die den Tag über nichts tun und sich dabei schlecht fühlen. Stellen Sie sich vor, wir hätten stattdesse­n einen 4-Stunden-Tag oder jeder bekäme vier Monate Urlaub.

Was ist die Lösung?

Graeber: Wir müssen umdenken und brauchen einen Bruch. Die Gesellscha­ft braucht mehr „Caring Jobs“, damit meine ich Jobs, die das Leben anderer Menschen verbessern. Jobs von sozialer Bedeutung. Jobs, die Roboter nicht übernehmen können. Weniger Jobs, die herstellen, mehr Jobs, die erhalten und bewahren.

Und wie soll das funktionie­ren? Graeber: Durch ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen hätten die Menschen die Freiheit, zu machen, wozu sie Lust haben. Und es läge an ihnen, zur Gesellscha­ft etwas beizutrage­n. Die Kritik an der Idee ist, dass die Leute dann nur für die Gesellscha­ft sinnlose Dinge oder gar nichts tun. Aber das tun viele ja jetzt schon. Dann wären sie wenigstens glückliche­r. Interview: Lea Thies

„37 Prozent meinten, ihre Jobs seien unwichtig“

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 ??  ?? David Graeber: Bullshit Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit Aus d. Englischen v. Sebastian Vogel, Klett-Cotta, 464 Seiten, 26 Euro
David Graeber: Bullshit Jobs – Vom wahren Sinn der Arbeit Aus d. Englischen v. Sebastian Vogel, Klett-Cotta, 464 Seiten, 26 Euro

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