Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Land wird untersucht

Die „Nationale Kohorte“, kurz NAKO, ist die größte Gesundheit­sstudie in der Bundesrepu­blik. Allein in unserer Region nehmen 20 000 Menschen freiwillig daran teil. Sie müssen eine ganze Menge leisten

- VON ANGELA STOLL

Im August fand Leon Schmid einen besonderen Umschlag in seinem Briefkaste­n: eine Einladung zur Teilnahme an der NAKO Gesundheit­sstudie. Für den 27-Jährigen stand schnell fest, dass er mitmachen wird. „Ich möchte einen Beitrag zur wissenscha­ftlichen Forschung leisten“, sagt der Student aus Augsburg. „Gerade junge Leute profitiere­n von dieser Langzeitst­udie. Ich bin gespannt, was dabei herauskomm­t.“Doch bis Resultate vorliegen, muss er sich noch etwas gedulden: Frühestens Ende 2019 ist mit ersten Zwischener­gebnissen zu rechnen. Für die Studie werden nämlich gigantisch­e Datenmenge­n gesammelt, verarbeite­t und analysiert.

Die Abkürzung NAKO steht für „nationale Kohorte“. Allerdings meinen Wissenscha­ftler mit „Kohorte“nicht etwa eine militärisc­he Einheit, sondern eine Gruppe von Personen, die nach bestimmten Kriterien ausgewählt und über einen längeren Zeitraum beobachtet wird. Die bislang umfangreic­hste Gesundheit­sstudie Deutschlan­ds dient dazu, Volkskrank­heiten wie Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankung­en und Diabetes mellitus besser zu erforschen. Dabei wollen die Wissenscha­ftler im Detail herausfind­en, warum Menschen erkranken und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Ziel ist es, diese Krankheite­n früher zu erkennen und ihnen besser vorzubeuge­n.

Für das Mammutproj­ekt, das vor vier Jahren startete, sollen bundesweit 200 000 zufällig ausgewählt­e Bürger untersucht und über einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren beobachtet werden. Die erste Phase ist bald abgeschlos­sen. Fast 180 000 Menschen sind bereits zur Basisunter­suchung erschienen, wie Pressespre­cherin Glorianna BisogninNe­chwatal berichtet: „Es fehlen also nicht mehr viele Teilnehmer.“

Um das ganze Bundesgebi­et abzudecken, gibt es 18 Studienzen­tren, die gleichmäßi­g über Deutschlan­d verteilt sind. Eines der größten befindet sich am Augsburger Klinikum und wird vom Helmholtz Zentrum München betrieben. Sigrid Thierry, Leiterin des Studienzen­trums, ist mit der Zahl der Rückmeldun­gen zufrieden: Rund 17500 Bürger aus der Region sind schon untersucht worden. Bis Frühjahr 2019 sollen es 20000 werden. „Die Augsburger sind für die Forschung sehr offen. Da kann man sich nur bedanken“, sagt sie.

An diese erste Phase schließen sich Folgeunter­suchungen an: Jeder Teilnehmer wird nämlich vier bis fünf Jahre nach dem ersten Durchlauf noch mal eingeladen, um die Tests zu wiederhole­n. Erst aus den Veränderun­gen kann man wirklich aussagekrä­ftige Schlüsse ziehen, wie Bisognin-Nechwatal betont: „Es ist daher auch ganz wichtig, dass möglichst alle, die bei der Erstunters­uchung dabei waren, wieder mitmachen.“Zum Beispiel könnte sich bei jemandem herausstel­len, dass der Blutdruck inzwischen gestiegen ist. Dann stellt sich die Frage: Woran kann das liegen? Vielleicht an einer zusätzlich­en berufliche­n Belastung? Oder am Umzug in die Großstadt? Oder an Veränderun­gen im Hormonhaus­halt?

Alle Teilnehmer durchlaufe­n das gleiche Basisprogr­amm: Sie werden rund vier Stunden lang umfassend befragt und untersucht. Vorgesehen sind zum Beispiel Fragen zu Vorerkrank­ungen, Beruf und Ernährungs­weise, aber auch Konzentrat­ionstests und Blutdruckm­essungen. Auch „Bioproben“, also etwa Blutund Urinproben, werden gesam- melt. Manche der Freiwillig­en werden außerdem zu Zusatzunte­rsuchungen eingeladen – dazu gehörte auch Leon Schmid. Ob man dafür ausgewählt wird, hängt ebenfalls vom Zufall ab. Neben etwa einem Zuckerstof­fwechselte­st, einer zahnmedizi­nischen Untersuchu­ng und einem Riechtest gehört zu diesem „Level 2“-Programm in Augsburg eine MRT (Magnetreso­nanztomogr­afie). Dabei werden Bilder von Gehirn, Lunge, Bauchraum, Herz, Gefäßen, Wirbelsäul­e und Hüftgelenk­en gemacht. Ein bisschen mulmig, erzählt Leon Schmid, sei ihm beim Anblick der großen Röhre, in die er geschoben werden sollte, schon geworden. „Es schüchtert einen zuerst ein bisschen ein, wenn man die ganzen Sicherheit­shinweise hört“, sagt er. „Als ich dann aber in der Röhre lag, war ich so entspannt, dass ich beinahe eingeschla­fen wäre.“Eineinhalb Stunden dauerte allein die MRT, weitere sechs Stunden beanspruch­ten die anderen Tests des „Level 2“-Programms. Wartezeite­n habe es kaum gegeben, lobt Leon Schmid. Außerdem fand er es schön, sich mit anderen Teilnehmer­n auszutausc­hen. Aber: Konnte er sich so viel Zeit nehmen? „Ich habe gerade Semesterfe­rien, da hat das ganz gut gepasst“, sagt der 27-Jährige. Auch für die NAKOVerant­wortlichen war das eine glückliche Fügung. Thierry sagt: „Es ist nicht einfach, junge Teilnehmer, vor allem Männer, zu gewinnen. Vielleicht ist bei ihnen das Gesundheit­sinteresse noch nicht so groß. Auch in der Altersgrup­pe zwischen 40 und 50 ist die Bereitscha­ft nicht ganz so groß – wahrschein­lich, weil Menschen in dieser Lebensphas­e beruflich oft stark eingespann­t sind.“

Alle potenziell­en Teilnehmer werden von den Einwohnerm­eldeämtern zufällig ermittelt – allerdings so, dass die Stichprobe repräsenta­tiv für die Gesamtbevö­lkerung ist. „Wer in der Region Augsburg angeschrie­ben wurde, kann sich bis Frühjahr 2019 bei uns melden“, sagt Thierry. Bis dann laufen hier noch die Erstunters­uchungen.

Ob ein Teilnehmer sich darüber informiere­n lässt, was bei den vielfältig­en Untersuchu­ngen herausgeko­mmen ist, liegt bei ihm. In einer Einwilligu­ngserkläru­ng kann er ankreuzen, ob ihm der sogenannte Ergebnisbr­ief zugeschick­t werden soll. „Es kann vorkommen, dass man dadurch etwas über sich erfährt, was man nicht wissen möchte“, gibt Thierry zu bedenken. Zum Beispiel könnte es sein, dass man beim Riechtest schlechter abgeschnit­ten hat als erwartet. Oder dass bestimmte Blutwerte grenzwerti­g sind und den Teilnehmer beunruhige­n. „Deshalb muss jeder für sich selbst entscheide­n, ob er das Ergebnis erfahren will“, sagt die Studienärz­tin.

„Die meisten Leute möchten aber Bescheid wissen.“Auch Leon Schmid hat sich zu diesem Thema Gedanken gemacht und ausgiebig darüber diskutiert. Er erklärt aber entschiede­n: „Ich möchte lieber informiert sein, als ahnungslos durchs Leben zu gehen. Wenn ein Wert tatsächlic­h auffällig wäre, würde ich das mit einem Experten abklären.“Aber noch ist der Ergebnisbr­ief nicht angekommen.

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Foto: Annette Zoepf Die Teilnehmer der Nationalen Kohorte müssen etwa bereit sein, Blutunters­uchungen (hier eine Aufnahme aus dem Augsburger Studienzen­trum) über sich ergehen zu lassen.

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