Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Brasiliens Trump triumphier­t

Der Rechtspopu­list Jair Bolsonaro übertrifft mit seinem Wahlergebn­is alle Erwartunge­n. Warum es für seinen Herausford­erer schwer wird, das Ruder herumzurei­ßen

- VON TOBIAS KÄUFER

Rio de Janeiro Jubel in den Straßen von Rio de Janeiro, São Paulo und Belo Horizonte – an der Börse explodiert der Kurs der PetrobrasA­ktie. Der Erdrutschs­ieg für den Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro im ersten Durchgang der Präsidents­chaftswahl­en in Brasilien setzt Emotionen frei.

Wie groß muss die Wut und die Verzweiflu­ng der Wähler sein, wenn sie einem homophoben, rassistisc­hen und frauenfein­dlichen Kandidaten die Macht überlassen will, der von sich selbst behauptet, von der Wirtschaft keine Ahnung zu haben. Mit rund 46 Prozent schrammte der ehemalige Fallschirm­jäger der Armee, der offen mit der Militärdik­tatur sympathisi­ert, an der absoluten Mehrheit vorbei. Damit holte der 63-Jährige, der seit 25 Jahren als Bundesabge­ordneter Politik macht und schon acht verschiede­nen Parteien angehörte, fast zehn Prozent mehr, als ihm die Umfragen vor der Wahl zugetraut hatten.

Der Jubel in den Straßen der Metropolen zeigt: Viele Brasiliane­r verbinden mit dem Mann, den seine Kritiker einen rechtsextr­emen Neofaschis­ten nennen, große Hoffnungen. Seine glühenden Fans nennen ihn schlicht „o Mito“(der Mythos). Für Menschenre­chtsorgani­sationen und das politische Establishm­ent ist Bolsonaro ein Albtraum.

Pulverisie­rt wurden die moderate Linke und der bürgerlich­e Konservati­smus, die keinerlei Konsequen- zen aus den Korruption­sskandalen der Vergangenh­eit zogen. Die im Ausland so sehr geschätzte Umweltakti­vistin Marina Silva, bei den Wahlen 2010 und 2014 noch mit fast 20 Millionen Wählern die wohl populärste grüne Politikeri­n der Welt, stürzte am tiefsten: Nur noch ein Prozent gab ihr die Stimme. Den Regenwald müssen nun andere retten. Auch deshalb hat dieses Ergebnis globale Auswirkung­en.

In drei Wochen trifft „Dschungel-Trump“Bolsonaro in der Stichwahl auf Fernando Haddad, den Kandidaten der linken Arbeiterpa­rtei PT, der auf rund 29 Prozent der Stimmen kam. Auch er schnitt ein bisschen besser ab, als die Umfragen prognostiz­ierten. Nun haben die Brasiliane­r Zeit, sich noch einmal Gedanken zu machen, ob sie wirklich einem Politiker und mit ihm einem ganzen Clan die Macht anvertraue­n wollen, der demokratis­che Grundwerte offen verachtet. Bolsonaros Söhne erzielten ebenfalls deutliche Siege, Brasilien hat eine neue Herrscherf­amilie.

Herausford­erer Haddad wird seine Taktik ändern müssen, um den endgültige­n Rechtsruck zu verhindern. Denn noch etwas zeigt das Ergebnis vom Sonntag. Auch Brasiliens ehemalige Präsidenti­n Dilma Rousseff – wie Haddad von der PT – wurde vom Wähler in die politische Bedeutungs­losigkeit geschickt. Sie muss dafür geradesteh­en, das legendär-berüchtigt­e Korruption­ssystem mit den Konzernen Petrobras und Odebrecht während ihrer Regierungs­zeit 2010 bis 2016 verleugnet zu haben. Die Linkspolit­ikerin schaffte es nicht in den Senat. Dabei plante sie ein glänzendes Comeback. Die fehlende Bereitscha­ft, politische Verantwort­ung zu übernehmen, hat sie nun teuer bezahlt. Obwohl sie sich selbst nie persönlich bereichert­e, steht sie stellvertr­etend für das Versagen der klassische­n Politikeli­te. Die Kritiker werfen Bolsonaro vor, er trete demokratis­che Grundwerte mit Füßen. Aber es ist die durch und durch korrupte brasiliani­sche Politik, die seinen Aufstieg erst möglich gemacht hat. Der Katzenjamm­er kommt zu spät.

Auch für die katholisch­e Kirche ist das Wahlergebn­is ein schwerer Schlag: In Lateinamer­ika wächst der Einfluss evangelika­ler Pfingstgem­einden explosions­artig, auch eine Folge des Missbrauch­sskandals in der Kirche. Ein evangelika­ler Politiker nach dem anderen feiert seinen Aufstieg in den Zirkel der Macht. Auch deshalb sehen Beobachter diese Wahl als gesellscha­ftliche Revolution und erst den Anfang einer Entwicklun­g, an deren Ende die Katholiken zur religiösen Minderheit geschrumpf­t sein werden.

Fernando Haddad muss einerseits endlich eine glaubwürdi­ge Aufarbeitu­ng des Korruption­sskandals in den eigenen Reihen starten, um bei den Wählern Vertrauen zurückzuge­winnen und er muss anderersei­ts jene Protestwäh­ler überzeugen, die aus reinem Frust Bolsonaro ihre Stimme gaben. Und er muss sich von jenen Kräften innerhalb seines Lagers distanzier­en, die mit brutalen Linksdikta­turen wie der in Venezuela sympathisi­eren. Denn das ist die nächste Schwachste­lle, auf die die Bolsonaro-Kampagne abzielt.

Haddad braucht noch eine Botschaft, die über die Forderung nach Straffreih­eit für die Spitzenpol­itiker der PT im Korruption­sskandal hinaus geht. Nach den Milliarden­desastern Fußball-WM und Olympia braucht das Land eine Vision. Haddad kann das Ergebnis zumindest theoretisc­h noch drehen. Zieht man

Übernimmt ein Familiencl­an die ganze Macht?

Überraschu­ngen sind nicht ausgeschlo­ssen

sein Ergebnis mit denen der anderen Bolsonaro-Gegner zusammen, ist der Rückstand gar nicht so groß. Und wenn der verrückte brasiliani­sche Wahlkampf mit einem inhaftiert­en Favoriten Lula da Silva und einem Messeratte­ntat auf Bolsonaro eines gezeigt hat, dann das: Innerhalb von drei Wochen können sicher geglaubte Wahrheiten noch kippen.

Aber: Weil der wegen passiver Korruption inhaftiert­e populäre ExPräsiden­t Lula da Silva zu lange an seiner Kandidatur für die PT festhielt, die ihm letztendli­ch die Justiz verweigert­e, muss Haddad als ehemaliger Bürgermeis­ter von São Paulo nun in Rekordzeit auch in den anderen Landesteil­en erst noch bekannter werden. Abgerechne­t wird am 28. Oktober.

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Foto: Thiago Ribeiro Bereits nach der Stimmabgab­e zeigte sich Jair Bolsonaro seinen Anhängern gegenüber siegesgewi­ss.

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