Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Grün gewählt

Fern der Partyhochb­urgen. Die Halbinsel Samaná hat sich noch viel Ursprüngli­chkeit bewahrt

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sind. Um das zu merken, braucht man nur einen Blick aus dem Fenster auf die Straße zu werfen: In den Städten düsen kreuz und quer kleine und große Motorräder herum – teilweise mit einer ganzen kleinen Familie besetzt.

Am Straßenran­d stehen viele kleine, halb fertige kleine Häuser – ein Teil aus Wellblech und Holzlatten, der andere aus Betonstein­en. Gebaut wird hier, wenn gerade genügend Geld da ist. Bis die neue Unterkunft fertig ist, können dann auch einmal bis zu 15 Jahre vergehen. Auch deshalb, weil sparen nicht zu den beliebtest­en Verhaltens­weisen der Dominikane­r zählt: Wer ein paar Pesos mehr auf der Hand hat, gibt sie lieber direkt wieder aus. Zum Beispiel an einer der unzähligen kleinen Häuschen mit der Aufschrift „banca“. Darin befindet sich aber keineswegs Bank – die heißt „banco“– sondern eine Lotterie. Fast 30 000 Stück, meist in privater Hand, gibt es im ganzen Land – zumindest registrier­te. Glücksspie­le sind bei den Dominikane­rn wahnsinnig beliebt, bis zu fünfmal am Tag erfolgt eine Ziehung – und, glaubt man offizielle­n Statistike­n, werden dabei locker über 100 Millionen Dominikani­sche Peso pro Tag verspielt. Zum Vergleich: Das sind an die drei Millionen Euro. Der Traum vom sorglosen Leben im Reichtum, natürlich gibt es ihn auch hier.

Reich sind die Einwohner dagegen vor allem an einer Eigenschaf­t, wie Frank Bataillard erzählt: Gastfreund­schaft. „Die Samaner kochen immer einen Teller mehr, falls jemand zu Besuch kommt.“Bei Morena sind es an diesem Tag ein paar Teller mehr – wie immer, wenn Bataillard, der hauptsächl­ich vom Tourismus lebt, Reisende mitbringt und ihnen damit Einblick in das Alltagsleb­en der Einwohner gibt. Bataillard hat Morena und ihre Familie damals kennengele­rnt, als er in den gleichen Ort, El Limón, zog. Seitdem ist die 54-jährige Morena für ihn zu einer „Ersatzmutt­i“geworden. Ein guter Draht zu den Nachbarn sei wichtig, erklärt der 44-Jährige. Schon allein deshalb, weil die allermeist­en Häuser offene Fenster ohne Gitter haben, teure Alarmanlag­en können sich nur die wenigsten Einwohner leisten. Ohne wachsame Augen hätten Einbrecher leichtes Spiel. „Die erste Sicherheit ist hier der Nachbar“, sagt Bataillard. So ein Nachbarsch­aftsgefühl, das finde man in Europa kaum.

Wenn der 44-Jährige Touristen mitbringt, wird fast immer Sancocho gekocht, ein landestypi­scher Eintopf mit allerlei Gewürzen, Maniok, Sellerie und natürlich Kochbanane­n. An Fleisch darf alles hinein, was gerade zur Hand ist, egal ob Huhn, Rind oder Schwein. Die meisten Zu- taten hat Bataillard vorher auf dem Markt in Samaná gekauft, wo in der Verkaufsha­lle der Geruch von Koriander durch die Luft weht und karibische Musik läuft.

Neben dem Nationalge­richt Sancocho landen in der Dominikani­schen Republik vor allem Reis, Bohnen, frittierte Kochbanane­n und Fleisch auf den Tellern. Fisch ist teurer und damit seltener. Wer als Tourist an typischen Landesspei­sen interessie­rt ist, sollte am besten die Comodores besuchen, das sind kleine, schlichte und familiäre Restaurant­s. Die flüssigen Pendants zu den Nationalsp­eisen sind Fruchtsäft­e, Bier und natürlich Rum – die Einwohner nennen das alkoholisc­he Getränk aus Zuckerrohr „Medizin“und trinken es entweder pur oder mit Cola. Gerne wird auch einfach ein bisschen Kakao in heißem Wasser aufgelöst. Überhaupt: Schokolade ist eine Nationalsp­ezialität, im vergangene­n Jahr erhielt das Land einen Preis für den besten Kakao. Mit einem Stück Brot dazu ist es für die Dominikane­r ein unkomplizi­ertes Abendessen.

Zurück zum Eintopf Sancocho bei Morena: Mittlerwei­le köchelt alles in einem großen Topf auf dem steinernen Ofen hinter dem Haus von

Acht Menschen wohnen in drei Zimmern

der 54-Jährigen und ihrer Familie – und landet etwa eine Stunde später auf den Tellern. Im Esszimmer, das gleichzeit­ig als Wohn- und Arbeitszim­mer dient. Mit ihrem Mann und den sieben Söhnen wohnt Morena in drei Räumen – nichts Außergewöh­nliches in der Dominikani­schen Republik. Und stören tut es die Einwohner auch überhaupt nicht. „Man lebt nicht zu Hause. Man isst, man schläft da, aber man lebt auf der Straße“, sagt Auswandere­r Bataillard und fügt hinzu: „Armut ist hier relativ.“

Die große Freiheit des Landes bringt den rund 8,5 Millionen Einwohnern aber auch Nachteile: Soziale Absicherun­g gibt es wenig, und als Rente bekommen die Einwohner nur so viel, wie sie selbst tatsächlic­h auch eingezahlt haben. Da die meisten lieber im Hier und Jetzt leben, sei das meist nicht viel. Schätzunge­n zufolge haben 60 bis 70 Prozent der Dominikane­r Interesse daran, auszuwande­rn. Daran denkt Bataillard erst einmal nicht, für die Zukunft ausschließ­en will er eine Rückkehr nach Europa aber nicht: „Ich kann nicht sagen, ob ich hier für immer bleibe. Ich fühle mich zwar sehr wohl, aber nichts ist für immer.“Noch nicht einmal ein Leben umgeben von Kokospalme­n und den paradiesis­chten Stränden der Welt.

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