Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Kinder spielend für das Leben lernen

Doris Zahn erklärt, warum Spiele für die Kleinen so wichtig sind und was auch die Großen dabei lernen können

- VON STEFFI BRAND

Landkreis Augsburg Morgens nach dem Aufstehen hat Sara nur einen Gedanken: Spielen. Noch im Pyjama setzt sie sich vor ihre Puppenstub­e. Dort hat sie Figuren für Mama, Papa, Bruder Noah und ihre Großeltern. Sogar ein Haustier pflegt sie in dieser Welt. Manchmal verpasst sie über ihr Spiel fast schon den Zeitpunkt, um sich anzuziehen.

Und ein andermal möchte sie auch Mama dafür gewinnen, ihre Stimme zu verstellen und eine der Puppen zur Hand zur nehmen, um in ihre Spielwelt einzutauch­en. Doch obgleich Mama sich gerne für ein Brettspiel erweichen lässt, findet sie zur Welt der Puppenstub­e nur selten einen Zugang.

Dass das ganz und gar nicht schlimm ist, weiß Doris Zahn. Die Sozialpäda­gogin der St. Gregor Kinder-, Jugend- und Familienhi­lfe erklärt: „Eltern müssen nicht alle Spiele mitspielen.“Allerdings sollten sie bedenken, dass ein möglichst umfangreic­hes Spieleange­bot aus Symbol- und Konstrukti­onsspielen, Rollenspie­len, kreativen Spielen und Brettspiel­en ebenso wichtig ist, wie die Chance zum „Freispiel“. Diesen Begriff kennen wohl die meisten Eltern aus dem Kindergart­en. Gemeint ist die wichtige Lernphase, die mit sich selbst oder mit Gleichaltr­ingen passiert. „Beim freien Spiel bestimmen die Kinder selbst das Tempo“, erklärt Zahn.

Im gemeinsame­n Spiel geht es immer auch um das Erleben von Beziehunge­n. Dabei macht das Kind je nach Spielpartn­er unterschie­dliche Erfahrunge­n. Im Spiel mit den Eltern können Kinder lernen, mit der Situation des Verlierens umzugehen. Im Spiel mit Gleichaltr­igen geht es auch darum, miteinande­r Lösungen zu finden und den Umgang mit Konkurrenz zu lernen.

Ein „freies Spiel“kann aber auch eine gestaltend­e Komponente haben. Im Herbst ist das klassische­rweise das Sammeln von Kastanien und all die Spielvaria­nten, die mit den hochglänze­nden Früchten anschließe­nd zur Verfügung stehen. Das Sommer-Pendant ist das gestaltend­e Symbolfoto: Marcus Merk Spiel im Sandkasten. Um dieser Form des Spielens wieder Raum zu geben, geht es auch im Fachvortra­g von Doris Zahn. Spielen bedeutet, sich auszuprobi­eren, zu üben und Neues zu entdecken. Dafür braucht es keine verkopften Spielvaria­nten, sondern vor allem Zeit, Muße und Platz. Mit Sorge beobachtet die Sozialpäda­gogin den Verlust des Stellenwer­tes des Spiels in der Gesellscha­ft – „und das, obwohl Spielforsc­her entdeckt haben, dass Kinder täglich sieben bis acht Stunden spielen“, verrät die Fachfrau und ergänzt: „Spielen ist keine verlorene Zeit, sondern die Vielfalt der Spieloptio­nen lässt Kinder ihr Leben verstehen.“

Dementspre­chend ändert sich auch das Spielverha­lten der Kinder mit dem Alter. Im Vorschulal­ter liegt das Rollenspie­l, bei dem die Welt durch Nachahmung­en verstanden und erlernt wird, hoch im Kurs. Ab zwölf oder 13 Jahren verliert sich dieser Ansatz. Das Regelspiel, beispielsw­eise ein Brettspiel, spielen Kinder hingegen länger. Beim Mensch-ärgere-dich-nichtKlass­iker gibt es im Übrigen weit mehr zu lernen als nur das Würfeln, Zählen und den feinmotori­schen Umgang mit den kleinen Spielfigur­en. Es ist ein Geduldsspi­el, bei dem es auch gilt, Wut kontrollie­ren und Glück dosieren zu lernen. Der Umgang mit Sieg und Niederlage ist hier eine wichtige Lerneinhei­t. „Selbst als Erwachsene­r lernt man beim Spielen viel über sich selbst“, erklärt Doris Zahn.

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Im Herbst können Eltern das Sammeln von Kastanien als „freies Spiel“gestalten. Anschließe­nd gibt es viele Möglichkei­ten, die glänzenden Früchte spielerisc­h zu nutzen.
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Doris Zahn

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