Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie Kinder spielend für das Leben lernen
Doris Zahn erklärt, warum Spiele für die Kleinen so wichtig sind und was auch die Großen dabei lernen können
Landkreis Augsburg Morgens nach dem Aufstehen hat Sara nur einen Gedanken: Spielen. Noch im Pyjama setzt sie sich vor ihre Puppenstube. Dort hat sie Figuren für Mama, Papa, Bruder Noah und ihre Großeltern. Sogar ein Haustier pflegt sie in dieser Welt. Manchmal verpasst sie über ihr Spiel fast schon den Zeitpunkt, um sich anzuziehen.
Und ein andermal möchte sie auch Mama dafür gewinnen, ihre Stimme zu verstellen und eine der Puppen zur Hand zur nehmen, um in ihre Spielwelt einzutauchen. Doch obgleich Mama sich gerne für ein Brettspiel erweichen lässt, findet sie zur Welt der Puppenstube nur selten einen Zugang.
Dass das ganz und gar nicht schlimm ist, weiß Doris Zahn. Die Sozialpädagogin der St. Gregor Kinder-, Jugend- und Familienhilfe erklärt: „Eltern müssen nicht alle Spiele mitspielen.“Allerdings sollten sie bedenken, dass ein möglichst umfangreiches Spieleangebot aus Symbol- und Konstruktionsspielen, Rollenspielen, kreativen Spielen und Brettspielen ebenso wichtig ist, wie die Chance zum „Freispiel“. Diesen Begriff kennen wohl die meisten Eltern aus dem Kindergarten. Gemeint ist die wichtige Lernphase, die mit sich selbst oder mit Gleichaltringen passiert. „Beim freien Spiel bestimmen die Kinder selbst das Tempo“, erklärt Zahn.
Im gemeinsamen Spiel geht es immer auch um das Erleben von Beziehungen. Dabei macht das Kind je nach Spielpartner unterschiedliche Erfahrungen. Im Spiel mit den Eltern können Kinder lernen, mit der Situation des Verlierens umzugehen. Im Spiel mit Gleichaltrigen geht es auch darum, miteinander Lösungen zu finden und den Umgang mit Konkurrenz zu lernen.
Ein „freies Spiel“kann aber auch eine gestaltende Komponente haben. Im Herbst ist das klassischerweise das Sammeln von Kastanien und all die Spielvarianten, die mit den hochglänzenden Früchten anschließend zur Verfügung stehen. Das Sommer-Pendant ist das gestaltende Symbolfoto: Marcus Merk Spiel im Sandkasten. Um dieser Form des Spielens wieder Raum zu geben, geht es auch im Fachvortrag von Doris Zahn. Spielen bedeutet, sich auszuprobieren, zu üben und Neues zu entdecken. Dafür braucht es keine verkopften Spielvarianten, sondern vor allem Zeit, Muße und Platz. Mit Sorge beobachtet die Sozialpädagogin den Verlust des Stellenwertes des Spiels in der Gesellschaft – „und das, obwohl Spielforscher entdeckt haben, dass Kinder täglich sieben bis acht Stunden spielen“, verrät die Fachfrau und ergänzt: „Spielen ist keine verlorene Zeit, sondern die Vielfalt der Spieloptionen lässt Kinder ihr Leben verstehen.“
Dementsprechend ändert sich auch das Spielverhalten der Kinder mit dem Alter. Im Vorschulalter liegt das Rollenspiel, bei dem die Welt durch Nachahmungen verstanden und erlernt wird, hoch im Kurs. Ab zwölf oder 13 Jahren verliert sich dieser Ansatz. Das Regelspiel, beispielsweise ein Brettspiel, spielen Kinder hingegen länger. Beim Mensch-ärgere-dich-nichtKlassiker gibt es im Übrigen weit mehr zu lernen als nur das Würfeln, Zählen und den feinmotorischen Umgang mit den kleinen Spielfiguren. Es ist ein Geduldsspiel, bei dem es auch gilt, Wut kontrollieren und Glück dosieren zu lernen. Der Umgang mit Sieg und Niederlage ist hier eine wichtige Lerneinheit. „Selbst als Erwachsener lernt man beim Spielen viel über sich selbst“, erklärt Doris Zahn.