Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Wie damals in Wackersdorf
Peter Mayr aus Gersthofen erlebte als Polizist die Kämpfe am Gelände der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage und wurde verletzt. Die Bilder der Gewalt haben sich fest in sein Gedächtnis eingebrannt
Wenn Polizist Peter Mayr heute die Bilder von den Einsätzen im Hambacher Forst sieht, dann ist sie wieder da: die Erinnerung an Wackersdorf.
Landkreis Augsburg/Gersthofen Wenn er im Fernsehen die Bilder von den Protesten im Hambacher Forst sieht, dann ist sie wieder da: die Erinnerung an die Auseinandersetzungen 1986 auf dem Gelände der geplanten atomaren Wiederaufbereitungsanlage (WAA) im oberpfälzischen Wackersdorf. Dort sollte Atommüll im großen Maßstab verarbeitet werden. Der Gersthofer Polizeioberkommissar Peter Mayr hatte die Krawalle damals hautnah miterlebt, wurde verletzt. Er stand als 23-Jähriger in den Reihen der Bereitschaftspolizei.
Was war Ihr Auftrag damals?
Peter Mayr: Die Störer vom Gelände fernzuhalten und geplante Straftaten durch polizeiliche Präsenz und Streifen zu verhindern.
Welche Bilder haben Sie noch vor Augen?
Mayr: Wir wurden einfach zugeballert. Ich war Fahrer eines Mannschaftsbusses. Ein Beispiel: Unser Fahrzeug stand auf dem WAA-Gelände. Auf einmal machte es einen Schlag und eine etwa fünf Zentimeter große Schraubenmutter durchschlug die Windschutzscheibe, zischte an meinem Kopf vorbei, prallte mit noch voller Wucht an die Rückwand des Busses und fiel zu Boden. Wenn mich das Metallteil getroffen hätte, wäre ich vermutlich getötet worden. Auf dem Boden lagen verletzte Kollegen, teilweise blutüberströmt. Fahrzeuge der Hundertschaft neben uns wurden umgeworfen und angezündet. Wir haben damals immer gesagt: Unsere Eltern und Großeltern haben vom Krieg erzählt; wir erzählen unseren Kindern und Enkeln von Wackers- dorf. Das war nichts anderes. Für uns war das Krieg. Ob nun berechtigt oder nicht: Es war massiver Widerstand gegen die Staatsgewalt, der von den sogenannten Schwarzen Blöcken ausgegangen war.
Das müssen Sie näher erklären. Mayr: Das waren Chaoten und die waren gnadenlos: Sie schossen und schmissen mit allem Greifbaren auf und nach uns. Am Pfingstwochenende 1986 waren es schätzungsweise 80 Prozent gewalttätige Störer. Der Rest waren friedliche Demonstranten. Die kamen aber auch mit Kinderwagen. Ich konnte damals nicht fassen, dass jemand seine kleinen Kinder diesen Gefahren aussetzt.
Wie hatten Sie sich geschützt?
Mayr: Wir hatten Schutzschilde, Helme mit Visier und Schlagstöcke. Die Schilde spannten wir übrigens auch vor die Windschutzscheibe unseres Mannschaftsbusses.
War die Polizei auf diese Auseinandersetzungen überhaupt vorbereitet? Mayr: Ich glaube nicht, dass es irgendwie vorhersehbar war, was sich dort abspielen würde. Heute ist es leichter, polizeitaktische Maßnahmen zu ergreifen, um schon im Vorfeld Straftaten zu vereiteln. So viele Möglichkeiten gab es damals einfach nicht. Und in dem Augenblick, wenn einem eine Übermacht von Tausenden Menschen gegenübersteht, heißt es einfach nur: Irgendwie mit der Situation fertigwerden.
Hatten Sie Angst?
Mayr: Selbstverständlich, hat aber keiner von uns zugegeben.
Was macht man in so einer Situation? Den Kopf einziehen und hoffen, dass alles gut geht? Mayr: In letzter Konsequenz, ja. Schusswaffen gegen die Menschenmengen einzusetzen, wäre ja nicht rechtmäßig gewesen.
Was haben Sie abbekommen?
Mayr: Viele blaue Flecken und einmal ein Geschoss ans Daumengelenk, was dann einen Kapselriss zur Folge hatte.
Gab es auch Gespräche mit den Gegnern?
Mayr: Natürlich. Die Anliegen der Anwohner waren ja durchaus verständlich. Wir erklärten dann unseren Standpunkt. Was sollten wir auch machen? Die Chaoten wollten gar keine Gespräche. Bei ihnen stellte sich die Frage nicht, die wollten einfach nur Krawall machen.
Warum ist es damals so eskaliert? Mayr: Das kann ich nicht genau sagen. Man merkte aber immer, dass es sich aufschaukelt. Aus meiner Sicht waren es die Schwarzen Blöcke, die Radau gemacht haben. Bei ihnen gab es hierarchische Strukturen, und dann wurde mit einer Übermacht gezielt gegen die Polizisten vorgegangen.
Gab es auch Sympathien für die Demonstranten?
Mayr: Für die Chaoten auf keinen Fall. Wir hatten aber natürlich Verständnis für die Menschen, die dort wohnten und die WAA nicht vor ihrer Haustüre haben wollten.
Es gab Polizisten, die nach den Geschehnissen ihren Dienst quittiert haben. Hatten Sie auch mit dem Gedanken gespielt?
Mayr: Nein. Aber es gab Kollegen, die mit der Gesamtsituation nicht fertiggeworden sind. Das verstehe ich auch.
Gab es eigentlich eine psychologische Betreuung für Polizisten?
Mayr: Meiner Erinnerung nach nicht. Was wir damals erlebt haben, konnte nicht so aufgearbeitet werden wie heutzutage. Meistens hat man die Geschehnisse einfach nur verdrängt. Was die Betreuung nach schlimmen Einsätzen angeht, hat die Polizei dazugelernt: Heute gibt es den psychologischen Dienst bei uns, der schon vielen geholfen hat. Aber was wir in Wackersdorf an Gewalttätigkeiten erlebt haben, war jenseits von Gut und Böse.
Waren Sie eigentlich später noch einmal auf dem Gelände?
Mayr: Zweimal noch. Jetzt befindet sich ein Industriegebiet auf dem Gelände und der Zaun ist auch nicht mehr da. Ich hab’ mich dort gar nicht mehr zurechtgefunden. Klarer ist für mich heute aber eines geworden: Damals wurde eine politische Entscheidung auf unseren Rücken ausgetragen. Ministerpräsident Franz-Josef Strauß starb 1988 und ein Jahr darauf war mit der WAA Schluss. Keiner von uns wusste eigentlich so genau, warum er seinen Kopf hinhalten musste. Das gilt vor allem auch für die vielen teilweise schwer verletzten Kollegen, die aus den anderen Bundesländern zu uns kamen.
OFilm In vielen Kinos läuft derzeit das Politdrama „Wackersdorf“, das den eskalierenden Kampf um die WAA schildert.