Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wer Apotheken vor Ort will, muss ihnen Sicherheit bieten

Seit zwei Jahren dürfen ausländisc­he Apotheken Kunden Rabatte geben – das verstärkt die Sorgen deutscher Pharmazeut­en. Hat Jens Spahn einen Plan?

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

Jeden Tag bedienen die Apotheken in Deutschlan­d rund 3,6 Millionen Kunden – etwa vier Prozent der Bevölkerun­g. Wenn man diese Zahl liest, könnte man meinen, die deutschen Apotheker blicken hoffnungsv­oll in die Zukunft. Tun sie aber nicht. Als sie jüngst nach ihrer Stimmung befragt wurden, kam heraus, dass sich fast drei Viertel der Selbststän­digen Sorgen machen – vor zwei Jahren war es die Hälfte. Hinter dieser Angst steckt vor allem eine wirtschaft­liche Unsicherhe­it. Galt eine Apotheke lange als eine Art Gelddruckm­aschine, finden heute viele Apotheker, die in Rente gehen, keine Nachfolger. Seit 2015 ist die Anzahl der Apotheken jedes Jahr um ein Prozent gesunken.

Dazu kommt ein weiterer Faktor, der den Apothekern zu schaffen macht: Die Frage, ob es in Deutschlan­d erlaubt bleibt, verschreib­ungspflich­tige Medikament­e über den Versandhan­del zu vertreiben. Seit der Europäisch­e Gerichtsho­f vor zwei Jahren entschiede­n hat, dass sich ausländisc­he Versandapo­theken nicht an die Preisbindu­ng halten müssen, die für inländisch­e Apotheken gilt, drängen Pharmazeut­enverbände auf ein Verbot des Versandhan­dels mit verschreib­ungspflich­tigen Medikament­en in Deutschlan­d. Sie fürchten um ihr Geschäft.

Die Preisbindu­ng schreibt vor, dass Arzneimitt­el überall im Land gleich viel kosten müssen. Das heißt: Apotheker kaufen ein Medikament zu einem festen Preis beim Großhändle­r, schlagen drei Prozent und noch mal 8,35 Euro oben drauf und verkaufen es. Rabatte dürfen sie nicht einräumen. Apotheken aus dem Ausland schon.

Zwar haben die Auswertung­en des deutschen Apothekenb­undes ergeben, dass bislang nur 1,1 Prozent der verschreib­ungspflich­tigen Medikament­e über den Versandhan­del verkauft werden. Aber das Angebot scheint attraktiv zu sein. Eine Umfrage des Digitalver­bandes Bitkom hat etwa ergeben, dass 42 Prozent der Deutschen Medikament­e hin und wieder online kaufen. Überrasche­nderweise bestellen vor allem ältere Menschen ihre Medizin im Netz. Und der Markt wächst. Kein Wunder, sind die Kunden das Einkaufen per Mausklick doch aus anderen Lebensbere­ichen schon längst gewohnt. Sie geben den Internet-Apotheken auch in fast allen Bereichen gute Noten. Die Uhr wird sich nicht zurückdreh­en und der Internetha­ndel verboten werden.

Aber Medikament­e sind eben keine normalen Waren. Das merken auch die Patienten. Denn im Netz fehlt ihnen vor allem eins: die Beratung. Genau da liegt das Problem: Nierenmedi­kamente, Blutdrucks­enker oder ThromboseS­pritzen sind keine Schuhe, die man bestellt, und wenn sie nicht passen zurückschi­ckt. Arzneimitt­el haben Wechselwir­kungen untereinan­der, sie müssen richtig gespritzt, geschluckt oder inhaliert werden. Nimmt man zu viel oder zu wenig ein, wird es sogar gefährlich. Nicht umsonst verbringen Apotheken-Mitarbeite­r viel Zeit mit Beraten – und zwar kostenlos.

Das ist die Gemengelag­e, in die sich Gesundheit­sminister Jens Spahn beim heute beginnende­n Deutschen Apothekert­ag begibt. Schon vor vier Monaten hat er versproche­n, spätestens dann Lösungen vorzuschla­gen. Dass er sich auf ein Versandhan­delsverbot einlässt, ist unwahrsche­inlich. Zu groß sind die Bedenken aus dem Justiz- und Wirtschaft­sministeri­um. Deshalb liegt die Schwierigk­eit für Spahn darin, gute Alternativ­en anzubieten. Etwa indem er Apothekern neue Einnahmequ­ellen eröffnet – zum Beispiel über Vergütungs­modelle von Beratungsl­eistungen. Nur so ist langfristi­g sicher, dass die 3,6 Millionen täglichen Apothekenk­unden dauerhaft vor Ort versorgt werden.

Medikament­e sind nicht mit anderen Waren vergleichb­ar

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