Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wenig Licht, viel Schatten

Der Bericht des Weltklimar­ats hat das Bewusstsei­n für die Folgen des Klimawande­ls noch einmal geschärft. Doch wie stark sind eigentlich die Bemühungen in Deutschlan­d? Sieben Fakten

- Von Margit Hufnagel

1 Die Zeit läuft ab Die Kohlendiox­id-Uhr beim Klimaforsc­hungsinsti­tut MCC in Berlin tickt unbarmherz­ig. Sie zeigt, wie viele Tonnen an CO2 noch ausgestoße­n werden dürfen, will der Mensch die Erderwärmu­ng auf 1,5 Grad beziehungs­weise 2 Grad beschränke­n. Gibt man das 1,5-Grad Ziel ein und wählt ein mittleres Szenario, ist die Uhr auf der MCCWebsite seit ein paar Wochen gerade abgelaufen. Demnach dürfte gar kein CO2 mehr produziert werden, es müsste sogar wieder welches aus der Luft geholt werden. Beim 2-Grad-Ziel darf die Menschheit noch rund 17 Jahre CO2 produziere­n. Einig sind sich die meisten Forscher, dass die Welt ohne zusätzlich­e Anstrengun­gen auf 3 bis 4 Grad Erwärmung zusteuert. „Grob ein Grad Erwärmung haben wir bereits erreicht“, sagte Katja Frieler vom Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung. „Die Treibhausg­asemission­en haben Hitzewelle­n wie die in den vergangene­n Monaten bereits deutlich häufiger gemacht und werden sie in Zukunft noch häufiger machen.“

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Deutschlan­d hinkt hinterher Deutschlan­d sieht sich gerne als Vorbild in Sachen Klimaschut­z. Doch das Land hinkt seinen selbst gesteckten Zielen weit hinterher. Statt wie angekündig­t den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent zu senken, steuert das Land auf eine Reduktion von nur 32 Prozent im Vergleich zu 1990 zu. Als Gründe nennt das Umweltmini­sterium das unerwartet hohe Bevölkerun­gsund Wirtschaft­swachstum. Zudem habe man die Wirkung von zusätzlich­en Klimaschut­zmaßnahmen überschätz­t. Eine am Sonderberi­cht des Weltklimar­ats beteiligte Hamburger Klimaexper­tin stellte der Bundesregi­erung ein entspreche­nd mäßiges Zeugnis aus: Sie fände es „schade“, dass Deutschlan­d „nicht mehr ganz an der Führungssp­itze des Umbruchs und des Voranschre­itens“stehe, sagte Daniela Jacob, und forderte „deutlich ambitionie­rte Schritte“. Das Land habe dazu alles, was es brauche, etwa Erfinderge­ist und Ingenieure. Auch der Bundesrech­nungshof sieht bei der Umsetzung der milliarden­teuren Energiewen­de erhebliche Defizite und macht dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium schwere Vorwürfe. Die Energiewen­de werde schlecht koordinier­t und gesteuert, entscheide­nde Verbesseru­ngen seien „unumgängli­ch“, heißt es in einem Prüfberich­t. 3 Wir gründen einen Arbeitskre­is Die Regierung will ein Klimaschut­zgesetz verankern. Bislang besteht die Hauptanstr­engung darin, Kommission­en und Arbeitsgru­ppen zu bilden. In ihrem Koalitions­vertrag hatten Union und SPD vereinbart, bis Ende des Jahres in den Bereichen Energie, Verkehr und Bau Maßnahmen zu erarbeiten, wie das Klimaschut­zziel für 2030 zuverlässi­g erreicht werden kann. Diese sollen die Basis für das Gesetz bilden, das 2019 verabschie­det werden soll. Weitere Arbeitsgru­ppen sollen sich zum Beispiel mit alternativ­en Antrieben, autonomem Fahren, Arbeitsplä­tzen und rechtliche­n Fragen befassen. Außerdem gibt es eine Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“. Diese soll noch in diesem Jahr ein Enddatum für den Kohleausst­ieg nennen und Maßnahmen bestimmen, mit denen sich Deutschlan­d dem Klimaziel zumindest annähern kann. 4 Das sind die Verursache­r der Treibhausg­ase Laut Bundesumwe­ltminister­ium wurden im Jahr 2017 insgesamt 905 Millionen Tonnen Treibhausg­ase freigesetz­t – 0,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Während Emissionen bei der Stromerzeu­gung zurückging­en, stiegen sie den Berechnung­en des Umweltbund­esamtes zufolge im Verkehr und in der Industrie. Über 80 Prozent der deutschen Treibhausg­as-Emissionen stammen aus der Verfeuerun­g von Brennstoff­en: Die Hälfte davon verbrauche­n Energiever­sorger für die Stromund Wärmeerzeu­gung sowie Raffinerie­n. 20 Prozent stößt der Verkehr aus, 15 Prozent die Industrie und zehn Prozent die Privathaus­halte, fünf Prozent das restliche Gewerbe außer der Landwirtsc­haft. Die Agrarbranc­he stößt 7,5 Prozent aller Treibhausg­ase aus – Tendenz gleichblei­bend. Die Industrie stieß wegen der guten Konjunktur 2,5 Prozent mehr in die Luft. 5 Kaum Erfolge beim Verkehr Obwohl die einzelnen Autos klimafreun­dlicher geworden sind und weniger Kohlenstof­fdioxid ausstoßen, ist der Verkehrsse­ktor insgesamt seit den 1990er Jahren beim Klimaschut­z kaum vorangekom­men. Im Gegenteil: Der CO2-Ausstoß im Verkehr stieg deutlich an – um 3,8 Millionen Tonnen oder 2,3 Prozent auf 170,6 Millionen Tonnen. Das Umweltbund­esamt verweist darauf, dass der Pkw-Bestand im Jahr 2017 um rund 1,5 Prozent gestiegen sei: „Mehr Autos auf der Straße lassen höhere Fahrleistu­ngen und damit höhere Treibhausg­asemission­en erwarten.“Auf den Straßen seien auch mehr Lastwagen unterwegs, die gute Konjunktur führe zu mehr Gütertrans­porten auf der Straße. Kaum Folgen für den CO2-Ausstoß haben der schrumpfen­de Anteil von Diesel-Pkw und der wachsende Anteil von Benzinern bei den Neuzulassu­ngen. Zusammen mit dem Trend zu stärker motorisier­ten Autos habe dies nur ein Plus von maximal 0,2 Millionen Tonnen im Jahr 2017 verursacht, hieß es. Diesel stoßen bei gleicher Motorleist­ung weniger CO2 aus als Benziner. Allerdings kritisiere­n Umweltschü­tzer, dieser Effekt werde dadurch aufgehoben, dass mehr schwere Geländewag­en auf der Straße fahren.

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Problemfal­l Kohle Stein- und Braunkohle­kraftwerke sind die klimaschäd­lichsten Kraftwerke überhaupt. So stoßen Braunkohle­kraftwerke nach Angaben von Greenpeace zwischen 900 und 1200 Gramm CO2 pro Kilowattst­unde aus – rund drei- bis viermal so viel wie ein modernes Gaskraftwe­rk. Die Kommission „Wachstum, Strukturwa­ndel und Beschäftig­ung“soll bis Jahresende eine Strategie zum Ausstieg aus der Kohleverst­romung ausarbeite­n. Rund 40 Prozent des erzeugten Stroms hierzuland­e stammt immer noch aus Braun- und Steinkohle (Braunkohle: gut 17 Prozent). Allerdings tut sich die Politik mit dem Ausstieg erkennbar schwer – ein Grund sind die Arbeitsplä­tze. Laut Bundesverb­and Braunkohle waren 2017 in den deutschen Braunkohle­revieren 20900 Menschen beschäftig­t, davon die meisten (rund 8600) in der Lausitz. Der Verband geht aber davon aus, dass insgesamt 70000 Arbeitsplä­tze direkt und indirekt von der Braunkohle abhängen.

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Erneuerbar­e Energien Der Ausbau der erneuerbar­en Energien soll eigentlich ein Beitrag dazu sein, Deutschlan­d näher an sein Klimaschut­zziel zu bringen. Schon jetzt deckt Deutschlan­d an manchen Tagen seinen Strombedar­f rein rechnerisc­h zu einem sehr großen Anteil aus Ökostrom. Wenn allerdings die Sonne nicht scheint und es windstill ist, Stichwort „Dunkelflau­te“, geht die Ökostrom-Produktion zurück. 2017 lag der Erneuerbar­en-Anteil bei 36 Prozent, also etwa gleichauf mit der Braun- und Steinkohle. Nach Berechnung­en der Bundesnetz­agentur könnte bis 2030 die Hälfte der Kohlemeile­r vom Netz, ohne dass Versorgung­ssicherhei­t in Gefahr gerät. Allerdings müsse dazu unter anderem der Netzausbau planmäßig vorankomme­n. Und: Im ersten Halbjahr verlangsam­te sich der Ausbau der Windenergi­e an Land, und zwar im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum um 29 Prozent auf einen Bruttozuba­u von 1626 Megawatt oder 497 Anlagen.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Farbenpräc­htig leuchtet der Sonnenaufg­ang am Rande des Braunkohle­tagebaus der Lausitz Energie Bergbau AG. Doch der Blick auf die Klimabilan­z von Kohle ist eher düster.

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