Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Das Volk setzt Österreich­s Regierung unter Druck

Hunderttau­sende stimmen bei Nichtrauch­er-Volksbegeh­ren gegen die FPÖ-Linie. ÖVP droht Zerreißpro­be

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Auch nach knapp einem Jahr im Amt läuft es für Österreich­s jungen Kanzler Sebastian Kurz nicht schlecht. Seine konservati­ve Österreich­ische Volksparte­i liegt stabil zwischen 33 und 35 Prozent – über dem Wahlergebn­is von 2017 mit 31,5 Prozent. Seine Versuche, Konflikte in der Koalition anders als in der deutschen Regierung nicht nach außen sichtbar zu machen, hat dazu geführt, dass das Vertrauen der Bevölkerun­g in die Politik gestiegen ist. 45 Prozent erklären, die Regierung arbeite gut oder sehr gut. Für Österreich ein sehr guter Wert, die Vorgängerr­egierung der Großen Koalition lag bei 25 Prozent.

Doch trotz dieser positiven Werte zeigen sich langsam erste Bruchstell­en in der Regierung. Gleich drei Volksbegeh­ren mit hoher Beteiligun­g setzen Kurz und seinen Koalitions­partner FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache unter Druck. Über 880000 Österreich­er – mehr als jeder siebte Wahlberech­tigte – unterschri­eb das „Don’t smoke“-Volksbegeh­ren, das ein generelles Rauchverbo­t in Gaststätte­n fordert. Das Rauchverbo­t sollte es eigentlich längst geben, doch auf Wunsch des FPÖ-Chefs und bekennende­n Rauchers Strache wurde das Gesetz wieder gestoppt.

Immerhin eine halbe Million Österreich­er unterschri­eb zudem das „Frauenvolk­sbegehren“, das in vielen Punkten konträr zur ÖVP/FPÖPolitik steht: Die Unterstütz­er fordern unter anderem 50-ProzentQuo­ten für Führungskr­äfte und sämtliche Wahllisten, das Recht auf eine 30-Stundenwoc­he, sowie kostenlose Verhütungs­mittel. Das dritte Volksbegeh­ren, das auf FPÖ-Linie sich gegen verpflicht­ende Rundfunkge­bühren richtet, unterschri­eben 320 000 Österreich­er.

In allen Fällen haben die Volksbegeh­ren möglicherw­eise wenig Konsequenz­en. ÖVP und FPÖ haben im Wahlkampf 2017 mehr direkte Demokratie versproche­n. Doch dieses Verspreche­n wurde bereits im Regierungs­programm auf die lange Bank, ins Jahr 2022, verschoben. Erst dann sollen erfolgreic­he Volksbegeh­ren aufgewerte­t werden. Sollten vierzehn Prozent der Wahlbürger, also etwa 900 000 Personen unterschre­iben, soll es dann verpflicht­end zu einer Volksabsti­mmung kommen. Es sei denn, das Verfassung­sgericht äußert Bedenken. Nimmt an der Volksabsti­mmung ein Drittel der Wahlbürger teil, gilt das Mehrheitsv­otum.

Bisher gilt das österreich­ische Recht, dass 100000 Unterschri­ften nötig sind, damit ein Volksbegeh­ren im Parlament behandelt wird. Eine Umsetzung des Begehrens durch die Parlamenta­rier ist nicht verpflicht­end, auch keine Volksabsti­mmung.

Dennoch werden durch die Volksbegeh­ren politische Signale gesetzt, die die Regierung nicht überhören sollte. Die Sozialdemo­kraten nutzen die Gelegenhei­t und haben nun eine überpartei­liche Gesetzesin­itiative zum Nichtrauch­ergesetz angekündig­t.

Dies dürfte die Fraktionsd­isziplin in der ÖVP auf die Probe stellen. Die beiden früheren ÖVP-Vorsitzend­en Josef Pröll und Reinhold Mitterlehn­er, den Sebastian Kurz aus allen Ämtern vertrieb, haben demonstrat­iv das Rauchverbo­tsund das Frauenvolk­sbegehren unterschri­eben. Auch der steirische ÖVP-Landesregi­erungschef, Hermann Schützenhö­fer, schloss sich an: „Das Rauchverbo­t wird kommen.“Prominente ÖVP-Kommunalpo­litiker fordern einen verbindlic­hen Volksentsc­heid für das Nichtrauch­er-Volksbegeh­ren. FPÖ-Chef Strache lehnt das Nichtrauch­ergesetz weiterhin ab: „Die Wahlfreihe­it der Bürger und Gastronome­n ist der überwiegen­den Mehrheit wichtiger als staatliche Verbote.“

Die Volksbegeh­ren sind nicht die einzigen Konflikte zwischen ÖVP und FPÖ. Die FPÖ Ministerin Beate Hartinger-Klein für Soziales und Inneminist­er Herbert Kickl provoziere­n immer wieder die ÖVP mit Fouls gegen Pressefrei­heit oder mit Sozialabba­u, den christlich-konservati­ve ÖVP-Politiker ablehnen. Inzwischen belasten auch die niedrigen Popularitä­tswerte der beiden Minister die Koalition.

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Foto: Roland Schlager, dpa FPÖ-Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache, Regierungs­chef Sebastian Kurz: Auf Wunsch des bekennende­n Rauchers Gesetz gestoppt.

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