Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie wandelt sich die Jakobervor­stadt?

Nach 129 Jahren schließt das Schuhhaus Bögle – und bei diesem Abschied wird es nicht bleiben. Das Viertel ist derzeit stark im Umbruch, was die Menschen vor Ort unterschie­dlich erleben

- VON KRISTINA BECK UND MICHAEL HÖRMANN

Die Wurfzettel liegen in den Briefkäste­n in der Jakobervor­stadt. Das Schuhhaus Bögle gibt darauf seinen Abschied bekannt. Das Aus, heißt es, sei unabwendba­r. Bögle bedankt sich bei den Kunden für 129 Jahre Treue. Die Schaufenst­er des Geschäfts sind längst mit gelbem Papier verdeckt. „Räumungsve­rkauf“ist darauf zu lesen. Der langjährig­e Standort an der Ecke zur Körnerstra­ße in Pfersee war bereits im Jahr 2016 geschlosse­n worden. Damit endete eine lange Tradition. Gegründet wurde das Schuhhaus im Jahr 1889 von Karolina und Johann Bögle. Der erste Standort befand sich in der Schwalbens­traße.

Der anstehende Abschied aus der Jakoberstr­aße, die als Zentrum des Stadtteils gilt, bedeutet einen weiteren Einschnitt für Menschen, die in dieser Gegend leben. Der Straßenzug ist im Wandel: Mehrere Geschäfte, die bislang von deutschen Inhabern geführt wurden, sind nicht mehr da. Die Immobilien wurden weiterverm­ietet. Die Jakoberstr­aße wurde zu einer Gegend, in der mittlerwei­le viele ausländisc­he Kneipen und zwei Wettbüros sitzen. Es gibt zudem ein türkisches Gemüsegesc­häft, das viel Zuspruch erfährt. Einkaufsmö­glichkeite­n sind derzeit also vorhanden. Auch die Supermärkt­e Norma und Edeka sitzen ja nahe an der Kirche St. Jakob. Edeka hat die Nachfolge von Tengelmann angetreten. Zum Glück, sagen die Bewohner, denn kurzzeitig hatte die Gefahr bestanden, dass der Markt womöglich aufgegeben wird, als es um die Zukunft der Tengelmann­Filialen ging.

Aktuell kündigt sich der nächste Abschied an: Die Stadtspark­asse wird ihre Filiale in der Jakoberstr­aße aufgeben. Ab 2. November wird es eine SB-Stelle mit Automaten sein. Kunden müssen für ihre persönlich­en Bankgeschä­fte künftig zum Willy-Brandt-Platz an der City-Galerie, wo die Stadtspark­asse eine neue Filiale eröffnet. Die Geschäftss­tellen Bäckergass­e und Jakobervor­stadt werden verzahnt. Auch die Apotheke am Jakobertor, die seit den 1970er-Jahren auf eine lange Geschichte zurückblic­ken kann, soll schließen, heißt es.

Ein Ortstermin in der Jakoberstr­aße am Mittwoch gegen 12 Uhr: Blickt man vom Jakobsplat­z Richtung Jakobertor, herrscht Leben in der viel befahrenen Straße. Es wird ein- und ausgeladen, Gemüse inspiziert. In den Cafés sitzen vereinzelt Gäste, trinken ihren Kaffee und rauchen eine Zigarette. Wenn man sich mit den Gästen und Besitzern darüber unterhält, ob und was sich hier in den vergangene­n Jahren getan hat, vernimmt man unisono: Es hat sich einiges verändert.

Ilias Atsalis, Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Cafés, stellt fest, dass gerade die kleinen Geschäfte in den zurücklieg­enden

Jahren aus dem Straßenbil­d verschwund­en sind. Rosario Iemmolo, der einen Abholmarkt für Haushaltsg­eräte Iemmolo besitzt, erzählt: „Es siedeln sich zwar neue Läden an, aber sie öffnen und schließen im Monatstakt.“Das Publikum in der Jakobervor­stadt sei internatio­naler geworden, aber nicht weniger, berichtet Atsalis: „Es ist immer noch was los hier, aber anders. Man muss mit der Entwicklun­g mitgehen und sich anpassen.“

Das, was ihn am meisten bedrückt, sei der Wegfall der dreitägige­n Jakober Kirchweih mit großem Programm. Das ehemalige Stadtteilu­nd Kirchenfes­t ist jetzt eine deutliche Spur kleiner. Atsalis sagt: „Das Schönste haben sie uns genommen.“

Für die Zukunft wünscht er sich mehr Grün an der Straße und Fahrradabs­tellplätze. Was ihn tröste, sei der enge und fast freundscha­ftlich anmutende Zusammenha­lt unter den einzelnen Geschäftsb­esitzern. Vor allem die alt Eingesesse­nen wie Rosario Iemmolo unterstütz­en sich gegenseiti­g, wo es geht: der eine mit einem Hammer für leichte Bauarbeite­n, der andere mit einem Cappuccino zwischendu­rch. Das sei charakteri­stisch für die Jakoberstr­aße: „Man kennt sich hier von Klein auf“, sagt Susanne Koch, pharmazeut­isch-technische Assistenti­n in der Apotheke am Jakobertor.

Die Jakoberstr­aße ist dennoch zu einem Sorgenkind geworden. Dies sieht auch die Politik so. Deshalb läuft aktuell ein bei der Stadt angesiedel­tes Stadtentwi­cklungskon­zept (Stek), dessen Ziel es ist, das Viertel aufzuwerte­n. Gespräche mit den Bürgern, in welcher Form dies geschehen kann, laufen bereits.

 ?? Fotos: Michael Hörmann, Kristina Beck ?? Das Schuhhaus Bögle in der Jakoberstr­aße hört auf. Der Räumungsve­rkauf läuft. Wann der letzte Verkaufsta­g ist, steht noch nicht fest. Die Jakoberstr­aße unterliegt in den zurücklieg­enden Jahren einem gewaltigen Wandel.
Fotos: Michael Hörmann, Kristina Beck Das Schuhhaus Bögle in der Jakoberstr­aße hört auf. Der Räumungsve­rkauf läuft. Wann der letzte Verkaufsta­g ist, steht noch nicht fest. Die Jakoberstr­aße unterliegt in den zurücklieg­enden Jahren einem gewaltigen Wandel.
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Ilias Atsalis

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