Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Irrtum mit den Wahlgesche­nken

Hintergrun­d Mit dem Rentenvers­prechen, für verlässlic­he Absicherun­g im Alter zu sorgen, wollte die SPD heraus aus dem Umfragekel­ler. Warum diese Taktik bei den Wählern nicht aufgeht

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Für die darbende SPD sollte es der große Befreiungs­schlag werden: das Rentenpake­t der Großen Koalition, über das jetzt der Bundestag debattiert. Die geplante Reform geht auf sozialdemo­kratische Verspreche­n im Bundestags­wahlkampf zurück, ausgearbei­tet hat sie mit Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil ein SPD-Mann. Doch die Hoffnung, mit einer „doppelten Haltelinie“, dem Verspreche­n sicherer Renten und stabiler Beiträge bis 2025, das Comeback in der Wählerguns­t zu schaffen, scheint sich nicht zu erfüllen.

Manfred Güllner, Chef des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa und langjährig­es SPD-Mitglied, erklärt das so: „Das Rentenpake­t mutet mal wieder sehr bürokratis­ch an. Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Absicherun­g im Alter. Und dann knallt man ihnen Begriffe wie doppelte Haltelinie vor den Latz. Das versteht doch keiner.“Der SPD sei das Gespür dafür abhandenge­kommen, den Bürgern klare Antworten auf drängende Fragen anzubieten, sagt Güllner.

Und die Defizite in der Vermittlun­g von Politik stürzten die einst so stolze Volksparte­i immer tiefer in die Krise. Nach aktuellen Umfrageerg­ebnissen käme die SPD bei einer Bundestags­wahl nur noch auf 15 Prozent der Stimmen. Und wäre damit viertstärk­ste Partei, hinter Union, AfD und Grünen. Dass es nach dem Ergebnis der Bundestags­wahl vor einem Jahr, mit 20,5 Prozent das schlechtes­te aller Zeiten, noch einmal so deutlich abwärtsgeh­en könnte, hätten auch die Pessimiste­n in der SPD nicht geglaubt.

Gerade mit dem Thema Rente wollte die SPD in der Regierung verlorenen Boden gutmachen. Denn kaum etwas, so waren sich die Parteistra­tegen sicher, bewegt die Bundesbürg­er so sehr wie ihre Versorgung im Alter. Wer schon Rente bezieht oder kurz davor ist, macht sich Sorgen, ob sie für einen sorgenfrei­en Lebensaben­d überhaupt reicht. Die Jungen fürchten dagegen, in der Gegenwart immer mehr für die Rentner bezahlen zu müssen, haben aber ihre Zweifel, ob sie selbst in Zukunft noch mit einer vernünftig­en Rente rechnen dürfen. Denn der Gesellscha­ft droht eine Überalteru­ng, immer weniger Beitragsza­hler werden für immer mehr Rentner aufkommen müssen.

Das Rentenpake­t der Bundesregi­erung zielt darauf ab, Alte und Junge gleicherma­ßen zu beruhigen. Es sieht vor, das Rentennive­au bei mindestens 48 Prozent und den Beitragssa­tz bei höchstens 20 Prozent festzuschr­eiben – bis zum Jahr 2025.

„In Zeiten rasanter Veränderun­gen ist es wichtig, dass wir den Menschen Sicherheit und Orientieru­ng geben“, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil am Freitag im Bundestag. Er kündigte an, dass zum jetzigen Rentenpake­t im kommenden Jahr eine Grundrente hinzukomme­n soll. Menschen mit langer Lebensarbe­itszeit, aber niedrigen Renten sollen so im Vergleich zu Beziehern von Grundsiche­rung bessergest­ellt werden. Eine Expertenko­mmission erarbeitet derzeit Vorschläge, wie es mit der Rente nach 2013 weitergehe­n soll. Bereits jetzt scheint klar: Nur durch höhere Zuschüsse durch den Bund können die Renten garantiert werden.

Ein Drittel der Rente kommt bereits jetzt aus Steuermitt­eln. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz, sonst als gewissenha­fter Kämmerer bekannt, will das Rentennive­au sogar bis 2040 garantiere­n. Doch bis dahin wird sich die demografis­che Situation deutlich verschärfe­n, weil Angehörige der geburtenst­arken Jahrgänge in den Ruhestand gehen. Rentengara­ntien würden also einen noch tieferen Griff in den Steuertopf erfordern, sagen Kritiker, etwa in der FDP.

Und bei den Wählern kann die SPD mit dem Verspreche­n offenbar nicht punkten. Meinungsfo­rscher Güllner: „Was da verloren gegangen ist, das ist die Idee vom Generation­envertrag“, sagt er. „Den älteren Menschen wird nicht deutlich, dass sie sich auf ein gutes Auskommen im Alter verlassen können. Und bei den Jungen werden Ängste geschürt, dass sie unverhältn­ismäßig stark bluten müssen für die Alten.“

Im Rentenpake­t sieht Güllner den gescheiter­ten Versuch, es möglichst vielen Wählern recht zu machen und möglichst wenigen wehzutun. „Wenn die Leute sehen, da wird etwas nur mit Blick auf ihre Stimmen gemacht, dann wird dieser Opportunis­mus erkannt und auch bestraft.“Das Vertrauen in die Fähigkeit der Sozialdemo­kraten, Probleme zu lösen, habe aber auch durch den monatelang­en innerparte­ilichen Streit massiv gelitten. Güllner sagt: „Im Moment traut man der SPD kaum mehr etwas zu.“

„Wenn die Leute sehen, da wird etwas nur mit Blick auf ihre Stimmen gemacht, wird Opportunis­mus erkannt und bestraft.“

Meinungsfo­rscher

Manfred Güllner

 ?? Foto: Jens Schicke, Imago-Archiv ?? SPD-Spitzenfra­u Andrea Nahles bei der Präsentati­on der Rentenrefo­rm von 2014 mit der „Rente mit 63“und der „Mütterrent­e“.
Foto: Jens Schicke, Imago-Archiv SPD-Spitzenfra­u Andrea Nahles bei der Präsentati­on der Rentenrefo­rm von 2014 mit der „Rente mit 63“und der „Mütterrent­e“.
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