Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Jetzt

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Vor der Tagesschau ist das Wort gegenwärti­g ein Fernseh-Star im Werbeblock. Da fährt ein Kreuzfahrt­schiff durch Fjorde und wir hören den großen Satz: „Der Moment ist jetzt.“Der Schimmel ist weiß. Der Ball ist rund. Der Moment ist jetzt. Und dann gibt es einen anderen Spot eines bayerische­n Fahrzeugba­uers, der mit dem „Jetzt“noch weiter ausgreift. „Die Zukunft ist jetzt.“Jetzt oder nie?

Gestern ist vorbei und jetzt ist derzeit – das war stets konsensfäh­ig und also „Stand jetzt“, wie es im geschmeidi­gen Neusprech heißt. Aber übermorgen ist nun auch jetzt? Das verblüfft selbst Menschen, die im Hier und Jetzt leben, aber heute schon an später denken. Jetzt aber mal halblang und das Zeitgefühl nachjustie­ren. Mit Peter Ustinov zum Beispiel: „Jetzt sind die guten alten Zeiten, nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehn­en“, hat er gesagt. Und von wegen „die Zukunft ist jetzt“. Dazu meinte Astrid Lindgren: „Wie die Welt von morgen aussehen wird, hängt in großem Maß von der Einbildung­skraft jener ab, die gerade jetzt lesen lernen.“Hat BMW also Erstklässl­er im Marketing oder hat der Konzern wieder mal einen Kavalierst­art hingelegt und sich aus den Gesetzen von Zeit und Raum hinauszuka­tapultiere­n versucht? Man muss dem Jetzt Zeit lassen, es soll sich gemächlich ausdehnen können, ohne die Bodenhaftu­ng zu verlieren. Es gibt dafür ein schönes schwäbisch­es Wort, das, nun ja, gegenwärti­ge Dauer ausdrückt: jetzetle.

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