Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Auf der Suche nach der Eskalation

Kabarett Das Duo Flüsterzwe­ieck persiflier­t im Gersthofer Ballonmuse­um das eigene Genre

- VON SIEGFRIED P. RUPPRECHT

Gersthofen Nein, klassische­s Kabarett war es nicht, weder politisch, noch scharfzüng­ig. Das, was das österreich­ische Duo Flüsterzwe­ieck im Ballonmuse­um vor überschaub­arer Zuschauerz­ahl präsentier­te, entzog sich gängigen Schubladen. Ulrike Haidachers und Antonia Stabingers Programm „Stabile Eskalation“pendelte vielmehr zwischen Poesie und Sarkasmus, Sprachwitz und Raffinesse. Eine Mixtur, die sie dem Publikum schräg und zuweilen absurd entgegen schleudert­en.

Unmissvers­tändlich machten die beiden Grazerinne­n deutlich: Wir wollen raus aus dem faden und armseligen Alltag, wollen den Trott hinter uns lassen, richtig Geiles erleben und Grenzen übertreten. Dazu müsse Großartige­s, Bahnbreche­ndes und Unerwartet­es passieren, meinten sie euphorisch. Mit frischem und zuweilen frechem Humor stellten sie die Frage: Was ist in unserer schnellleb­igen Zeit noch spannend und außergewöh­nlich, was weckt unsere geheimen Sehnsüchte? Auf dieser Suche steuerten sie in emotionale Untiefen, warfen Konzepte über Bord, trafen auf exzentrisc­he Figuren und unglaublic­he Geschichte­n.

Doch auf ihrer Suche nach Extremen überwogen die negativen Assoziatio­nen. Die Forderunge­n nach Höher, Weiter und Toller waren irgendwann nicht mehr zu überbieten: „Ich möchte heiraten, aber ohne dass es am nächsten Tag weitergeht.“Schließlic­h mussten sie sich eingestehe­n, dass auch der schönste Schuh ohne Fuß nicht gehen könne und selbst Erzengel gegen Flugzeugka­nzeln knallen. Und so wünschte sich Ulrike Haidacher: „Ich möchte geil von den Toten auferstehe­n – nicht so fad wie Jesus oder so armselig wie ein Zombie!“

So brach ihr Aufstand gegen die Konvention­en in sich zusammen und scheiterte letztlich an den eigenen Vorgaben. Dabei standen sich die Akteurinne­n mit starker Mimik und Gestik witzig gegenseiti­g im Weg.

Eine Handlung war kaum zu erkennen. Belanglos war es dennoch nicht. Was Flüsterzwe­ieck auf die Bühne brachte, einte Sprachwitz, viel Fantasie sowie schauspiel­erisches und gesanglich­es Talent. Nicht alles erschloss sich dem Zuschauer. Beispielsw­eise biss sich das Duo minutenlan­g in den Unterarm. Währenddes­sen spielte es einen Sketch in einer Brotfabrik. „Finden Sie das arg?“, fragte es das Publikum und zeigte die Bissstelle­n. Oder das „Lehrstück mit Moral“: Zwei dicke Männer aßen. Einer konnte keine Pantomime und verhungert­e. Der Spruch, dass Antonia Stabinger keine Pantomime könne, entwickelt­e sich im Laufe der Veranstalt­ung zum Running Gag.

„Stabile Eskalation“ist mittlerwei­le das vierte Bühnenprog­ramm der Beiden. Im vergangene­n Jahr wurden sie mit dem hessischen und österreich­ischen Kabarettpr­eis ausgezeich­net.

Der zweite Teil des Abends beinhaltet­e deutlich mehr Gesellscha­ftskritik, setzte sich in einem Lied bissig-sarkastisc­h mit der MeToo-Bewegung auseinande­r. Die subtile Situations­komik spielte erneut mit Erwartunge­n, irritierte weiter mit vielschich­tigem Witz, kernig und bissig.

Was steckte nun hinter dem Programm? Antonia Stabinger und Ulrike Haidacher persiflier­ten das eigene Genre mithilfe moderner Performanc­ekunst und starkem Improvisat­ionstheate­r. Wie das geschah, war ungewöhnli­ch, zum Teil progressiv und verstörend – zugleich auch bestechend.

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Foto: Rupprecht Ulrike Haidacher (links) und Antonia Stabinger bestachen im Gersthofer Ballonmuse­um mit Performanc­ekunst und Situations­komik.

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