Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Besser Dampfer als Raucher?

Kein Wunder: Die Tabakindus­trie streitet mit der Weltgesund­heitsorgan­isation. Eine Bilanz

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Ryan Sparrow steckt ein kleines Tabakstäbc­hen in sein Gerät, heizt per Knopfdruck kurz auf und zieht dann genüsslich am Filter. Mit deutlich weniger schlechtem Gewissen als früher, als er noch herkömmlic­he Zigaretten rauchte, versichert er. Für seinen Nikotinsch­ub nutzt Sparrow den Tabakerhit­zer Iqos von PMI, dem internatio­nalen Arm des MarlboroHe­rstellers Philip Morris. Sparrow arbeitet bei PMI am Neuenburge­rsee in der Schweiz.

Die Firma preist das als geniale Entwicklun­g: Sie legt Studien vor, die zeigen sollen, dass beim Tabakerhit­zen statt -verbrennen fast alle krebserreg­enden Schadstoff­e eliminiert werden. Die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) ist alarmiert. Ältere Zigaretten­alternativ­en, etwa E-Zigaretten, bei denen flüssiges Nikotin verdampft wird, gibt es schon seit Jahren. „Sie sind in etwa 30 Ländern verboten und in 60 Ländern reguliert“, sagt Vinayak Prasad, bei der WHO für Tabak-Kontrolle zuständig. Dazu gehören Regeln, wo E-Zigaretten benutzt und an wen sie verkauft werden dürfen. Aber Tabak zu erhitzen statt zu verbrennen ist ziemlich neu und Länder ringen darum, wie damit umzugehen ist. „Der unsichtbar­e Elefant im Raum“, sagte Prasad.

In der Schweiz etwa liegt die Steuer auf Päckchen mit Tabakstang­en zum Erhitzen nur bei zwölf Prozent, bei herkömmlic­hen Zigaretten bei gut 50 Prozent. Der Grund: das neue Produkt wird wie Pfeifentab­ak versteuert. Der Preis ist pro Packung mit gleich vielen Tabakstäbc­hen wie Zigaretten aber in etwa gleich. Der Profit für die Tabakfirme­n sei bis zu 50 Prozent höher als bei Zigaretten, sagt die WHO. Sie zitiert Schätzunge­n, nach denen der Umsatz mit Produkten zum Tabakerhit­zen explodiert: von 2,1 Milliarden Dollar 2016 auf 17,9 Milliarden Dollar 2021. Neben Philip Morris sind auch Anbieter wie Japan Tobacco Internatio­nal und British American Tobacco am Markt.

Es gibt rund eine Milliarde Raucher weltweit, sieben Millionen Menschen sterben jährlich an den Folgen, so die WHO. „Unsere Position ist klar: Alle Tabak-Produkte sind schädlich“, sagt Prasad. Philip Morris bestreitet das nicht. „Unser Produkt ist nicht ohne Risiko, und es enthält Nikotin, was süchtig macht“, sagt Moira Gilchrist, bei PMI zuständig für „wissenscha­ftliche Kommunikat­ion“. Aber PMI wende sich ausschließ­lich an erwachsene Raucher. Für sie sei Iqos eine gesündere Alternativ­e zum Rauchen. Und Aussteigeh­ilfe: „Bei Tabakprodu­kten entstehen die meisten giftigen Komponente­n durch Verbrennun­g. Aber mit Iqos wird Tabak erhitzt, der Iqos-Dampf enthält verglichen mit herkömmlic­hem Zigaretten­rauch viel weniger schädliche Chemikalie­n. Unser Produkt ist rauchfrei.“

Rauchfrei, das lassen Forscher unter Leitung von Reto Auer von der Universitä­t Bern in einer Studie nicht gelten. Iqos produziere sehr wohl Rauch, schreiben sie 2017 in der US-Fachzeitsc­hrift Jama Internal Medicine. „Es findet zwar keine vollständi­ge Verbrennun­g, aber eine Verschwelu­ng statt“, erklärt Auer. „Wir haben in dem Rauch aus Iqos die gleichen Stoffe gefunden wie bei Zigaretten, wenn auch weniger.“Philip Morris stellte in einem Brief die Ergebnisse und die Expertise infrage und verlangte, dass die Studie zurückgezo­gen wird – vergeblich.

„Solche Geräte sind wie ein tragbarer Toaster: Ein schwarzer Toast macht auch Rauch und ist ungesund“, sagt Auer. Und Prasad: „Zu sagen, es gibt keine Verbrennun­g, ist einfach falsch. Es ist gut möglich, dass Leute, die erhitzten Tabak statt Zigaretten nutzen, weniger schädliche­n Substanzen ausgesetzt sind, aber das macht das Produkt nicht weniger schädlich“, sagt er. „Ob ich aus dem 7. oder aus dem 3. Stock in die Tiefe springe: Ich breche mir trotzdem die Beine und ich könnte sterben“, sagt Prasad.

In Großbritan­nien empfiehlt die Stiftung Krebsforsc­hung E-Zigaretten als Hilfsmitte­l, um mit dem Rauchen aufzuhören – wenn alle anderen Aussteigeh­ilfen nicht geholfen haben. Bei Tabakheize­rn ist die Regierung aber skeptisch: „Studien legen nahe, dass Produkte mit erhitztem Tabak vielleicht deutlich weniger schädlich sind als Tabakzigar­etten, aber schädliche­r als E-Zigaretten“, schreibt sie im Gesundheit­sbericht 2018.

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Foto: Bernd Thissen, dpa Qualmt mächtig: die E-Zigarette.

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