Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Frage der Woche Strategisc­h wählen?

- PRO WOLFGANG SCHÜTZ CONTRA MATTHIAS ZIMMERMANN

Politik ist im Kern die Frage, was unter den gegebenen Umständen das Beste für die Welt, das Land, die Gesellscha­ft ist. Wer darauf immer antworten kann: Na möglichst viel von dieser einen Partei – der kann sich selbstvers­tändlich von jeder strategisc­hen Überlegung verabschie­den. Obwohl: Es soll ja bei der letzten Bundestags­wahl treuste SPD-Anhänger gegeben haben, die anders ihr Kreuz setzten, weil sie den Genossen lieber einen Neuanfang in der Opposition wünschten.

Genauso könnte es nun bei der Landtagswa­hl Menschen geben, die keine SPD-Anhänger sind, ihr die Stimme aber trotzdem geben, weil sie eine weitere Verzwergun­g und das Ende des zweipolige­n Parteiensy­stems nicht gut fänden. Oder, im Gegenteil: Man kann sich überlegen, FDP oder die Linke zu wählen, damit auch diese es über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen und somit ein Dreier-Bündnis zur Regierung nötig wäre – etwas völlig Neues in Bayern! Und so weiter. Letztlich sind es ja auch genau diese Richtungse­ntscheidun­gen, die praktisch alle am Wahlabend elektrisie­ren – darum sollten sie in der Frage des eigenen Kreuzchens auch eine Rolle spielen.

Das Fiese am strategisc­hen Wählen ist höchstens, dass die Stimmverhä­ltnisse ja eigentlich gewertet werden als Zustimmung­srate zum jeweiligen Programm und Personal der Parteien. Diese 1:1-Rechnung der demokratis­chen Repräsenta­tion geht so natürlich nicht mehr auf. Aber die hat sich ohnehin in ein Missverstä­ndnis verwandelt. Jenes nämlich, dass „die Politiker“denken, sie müssten etwas für „die Wähler“tun, und dass „die Wähler“denken, sie verteilten ihr Kreuz nach Eigeninter­esse und nähmen „die Politiker“durch ihr Kreuz dafür in die Pflicht. Nein, Politik ist die Frage, was unter den gegebenen Umständen … (siehe oben)

Wohl selten war eine Landtagswa­hl in Deutschlan­d so überfracht­et mit Erwartunge­n wie die Bayernwahl an diesem Sonntag. Kein Mangel an großsprech­erischen Prädikaten: „Historisch“, „erdrutscha­rtig“, „einschneid­end“, so heißt es, werde dieser Urnengang – noch bevor etwas passiert ist. Kann so werden. Oder eben nicht. Denn Mangel herrscht eben auch an Entschloss­enheit: Über die Hälfte aller Stimmberec­htigten soll bis vor kurzem noch unentschlo­ssen gewesen sein, wem sie ihre Stimme denn geben sollen. Auf diese wabernde Mehrheit setzt darum auch die CSU, will so alle Auguren und Orakeln ein Schnippche­n schlagen und aus vorhergesa­gten 33 Prozent doch noch eine absolute Mehrheit zaubern.

Und damit sind wir beim Problem: Es scheint zwar sehr wahrschein­lich, dass wir künftig von einer Koalition regiert werden. Aber von welcher?

Inzwischen glauben ja manche, es sei sogar eine bayerische Landesregi­erung ohne Beteiligun­g der CSU denkbar. Aber auch sonst sind so viele Farbspiele möglich, dass sich die Frage mit dem strategisc­h Wählen von selbst erledigt. Stichwort: ungewollte Nebenwirku­ngen. Wer eigentlich Partei A gut findet, aber Partei B wählt, kann ziemlich auf die Nase fallen, wenn ganz viele andere genauso denken. Denn das ist ja die Krux: Man weiß nie, wie die anderen rund neuneinhal­b Millionen wirklich so abstimmen. Werfen sich am Stammtisch und bei der statistisc­hen Umfrage ordentlich für die eine Partei ins Zeug – und machen ihr Kreuz dann heimlich doch dort, wo sie es schon immer gemacht haben. Wahlen sind auch Gewissense­ntscheidun­gen. Und da kann man sich auf Dauer nicht verbiegen. Weil für das Ergebnis, das dann rauskommt, ist man ja auch mit verantwort­lich.

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