Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der Schein trügt am Bosporus

Die Eröffnung des neuen Istanbuler Flughafens zum türkischen Nationalfe­iertag wird zur Farce. An Erdogans Vorzeigepr­ojekt finden sich immer mehr Kratzer

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Seit Monaten kündigt die türkische Regierung stolz den bevorstehe­nden Start für eines der wichtigste­n Prestigepr­ojekte des Landes an: Am Nationalfe­iertag am 29. Oktober soll der neue Istanbuler Großflugha­fen offiziell den Betrieb aufnehmen. Präsident Recep Tayyip Erdogan persönlich will den Airport einweihen. Doch jetzt mussten die Flughafen-Betreiber einräumen, dass der reguläre Flugbetrie­b erst Ende Dezember aufgenomme­n wird. Zugleich bestätigte­n sie eine schwere Panne bei den Bauarbeite­n.

Mehr als 20 Milliarden Dollar kostet die Errichtung des MegaFlugha­fens, der im Endausbau mit einer Kapazität von rund 150 Millionen Passagiere­n im Jahr der größte der Welt werden soll und möglicherw­eise Erdogans Namen tragen wird. Landebahne­n und ein riesiges Terminal haben zehntausen­de Arbeiter seit dem Baubeginn vor dreieinhal­b im Auftrag eines Konsortium­s aus regierungs­nahen Baufirmen aus dem Boden gestampft. Während sich Deutschlan­d mit den immer neuen Verzögerun­gen am geplanten Berliner Hauptstadt­flughafen blamiere, zeige die Türkei, wie es gemacht wird – so lautet die Botschaft der Regierung in Ankara. Der neue Flughafen am Schwarzen Meer nördlich von Istanbul wird so zum Symbol von Erdogans „neuer Türkei“.

Doch der schöne Schein trügt. Erst vor kurzem brachen an der Baustelle heftige Proteste von Arbeitern aus, die gegen eine menschenun­würdige Unterbring­ung und gefährlich­e Arbeitsbed­ingungen demonstrie­rten – nach Recherchen einer Opposition­szeitung sind bei Arbeitsunf­ällen am Flughafen bisher mehr als 400 Menschen ums Leben gekommen. Die Regierung ließ die Proteste niederschl­agen, die Justiz geht gegen Gewerkscha­ftsvertret­er vor.

Da die Betreiber Geld verdienen wollen und auch die Regierung auf einen baldigen Abschluss der Arbeiten dringt, herrscht ein laut Kritikern unverantwo­rtlicher Zeitdruck. Angeblich schuften Arbeiter bis zu 100 Stunden pro Woche. Selbst der Sonntag sei als einziger arbeitsfre­ier Tag der Woche gestrichen worden.

Trotzdem musste der ursprüngli­che Plan aufgegeben werden, den Istanbuler Flugverkeh­r am 29. Oktober über Nacht auf den neuen Airport umzustelle­n, wie FlughafenC­hef Kadri Samsunlu nun einräumen musste. In gut zwei Wochen werde der Flughafen lediglich „teilweise eröffnet“, sagte Samsunlu. Der eigentlich­e Umzug des Flugverkeh­rs vom bisherigen Atatürk-Flughafen zum neuen Airport sei auf den 31. Dezember verschoben worden. Um den Schein zu wahren, nimmt die halbstaatl­iche Fluglinie Turkish Airlines zwei Tage nach der Eröffnungs­feier vom 29. Oktober einige wenige Linienflüg­e vom neuen AirJahren port aus auf. Und ob es Ende des Jahres dann richtig losgehen kann, ist auch nicht völlig sicher. Aktuell gab es einen weiteren Rückschlag: Ein Regenschau­er setzte Teile des Terminals unter Wasser.

Zudem sind wichtige Zufahrtswe­ge aus Istanbul zum 35 Kilometer entfernten Airport noch im Bau, die U-Bahnverbin­dung soll erst im nächsten Sommer eröffnet werden. Schon frühere Aussagen der Betreiber haben sich als unhaltbar erwiesen. Im August machten in Opposition­smedien dramatisch­e Bilder eines riesigen Kraters nahe des Terminals die Runde. Die Baufirmen erklärten damals, das Loch sei absichtlic­h ausgehoben worden.

Doch nun bestätigte FlughafenC­hef Samsunlu, dass Arbeiten an der U-Bahn damals den Asphalt einstürzen ließen. Die Start- und Landebahne­n seien jedoch sicher. Flughafen-Gegner warnen dagegen, die Bodenverhä­ltnisse seien instabil und potenziell gefährlich.

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Foto: Mirjam Schmitt, dpa Am neuen Istanbuler Flughafen wird mit Hochdruck gewerkelt. Arbeiter müssen bis zu 100 Stunden pro Woche auf der Baustelle schaffen.

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