Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Rechts ranfahren zum Gebet

1958 öffnete bei Adelsried die erste Autobahnki­rche. Rund 50 000 Menschen im Jahr legen hier an der A 8 einen Stop ein. Es sind oft Menschen, die sonst eher keinen Gottesdien­st besuchen

- VON ANDREAS JALSOVEC, EPD

Adelsried Karl Mayer schaut ein- bis zweimal die Woche hier vorbei. Seinen silberfarb­enen Mercedes hat er direkt vor der Tür der Autobahnki­rche Adelsried bei Augsburg geparkt. Etwa zehn Minuten bleibt er in der Kirche, dann kommt er wieder nach draußen. „Hier drin kann ich ganz in Ruhe zu mir finden“, sagt Mayer. Jedes Mal, wenn er beruflich von seinem Wohnort unweit von Ulm nach Augsburg fahre, halte er hier kurz an. „Das hilft“, sagt er: „Seit ich das mache, gelingt mir vieles besser.“

Mayer ist nicht der Einzige, der an diesem sonnigen Tag an dem schlichten Gotteshaus an der A8 zwischen München und Stuttgart vorbeischa­ut. Alle paar Minuten betreten Reisende den Innenraum der Autobahnki­rche. Hell ist es hier drinnen, durch die großen Glasfenste­r fällt viel Licht. Einige Besucher gehen danach noch zu dem Holzkreuz hinauf, das wenige Meter von der Kirche entfernt über der Autobahn thront und das vor drei Jahren errichtet wurde. Die Kirche ist deutlich älter: Sie war die erste Autobahnki­rche Deutschlan­ds. Am Freitag wurde sie 60 Jahre alt.

Gestiftet hat die Kirche mit dem Namen „Maria, Schutz der Reisenden“ein Augsburger Papierfabr­ikant. Seit ihrer Weihe 1958 wird sie von Dominikane­rn aus Augsburg betreut. „Die Leute, die hier anhalten, wollen vor allem ihren Kopf auslüften, Ruhe finden, still beten“, sagt Pater Wolfram Hoyer.

Der 49-Jährige ist seit 2007 als Seelsorger für diese besondere Kirche zuständig. Seine „Hauptkunds­chaft“seien Menschen, die beruflich auf der Autobahn unterwegs sind: Handelsrei­sende, Lkw-Fahrer, Polizisten. „Die Autobahn ist auch ein Arbeitspla­tz“, erklärt Hoyer. Und da dort vor allem Männer arbeiteten, seien auch die Besucher der Kirche in der Mehrzahl männlich – in der Regel zwischen 20 und 60 Jahre alt: „Eine Klientel, die man in Gemeindego­ttesdienst­en oft gar nicht findet.“

Etwa 50 000 Menschen machen jährlich in Adelsried halt, schätzt Hoyer. Bundesweit besuchten eine Million Reisende die derzeit 44 deutschen Autobahnki­rchen, heißt es bei der Akademie der Versichere­r im Raum der Kirchen, die die Arbeit der Autobahnki­rchen koordinier­t und fördert. Die erste evangelisc­he Autobahnki­rche öffnete im Jahr 1959 im nordrhein-westfälisc­hen Vlotho-Exter.

Das Angebot einer „Rast für Leib und Seele“, so der Slogan der Autobahnki­rchen, werde gut angenommen, sagt Volker Thorn von der Akademie: „Das sieht man an den Anliegenbü­chern, die in den Kirchen ausliegen. Die Menschen sind dankbar dafür und schreiben querbeet rein, was sie beschäftig­t.“

Auch in der Adelsriede­r Kirche gibt es ein solches Buch. „Danke, dass ich Opa und die Erben an einen Tisch gebracht habe“, hat eine Frau dort hineingesc­hrieben. Eine andere bittet Gott darum, „dass Papa gesund wird und ich ihn wieder ganz fest in die Arme nehmen kann“. Zwei dieser Bücher mit jeweils 1000 Seiten schreiben die Besucher jedes Jahr voll, erzählt Wolfram Hoyer. Manche sprächen ihn auch persönlich an, wenn er – vor allem in der Reisezeit – in der weißen Kutte seines Ordens still in der Kirche sitze. Da gehe es dann um ganz verschiede­ne Themen: Schicksals­schläge, Scheidung, Geldsorgen. „Während der Finanzkris­e fuhren hier viele Leute mit großen Autos vor, die Existenzan­gst hatten.“

Gefragt sind auch Hoyers jeweils drei Gottesdien­ste an Sonn- und Feiertagen. Bis zu 600 Menschen kommen dazu in die Kirche, auch aus der Umgebung. „Kurz, knackig, aber gültig“seien die Feiern, sagt der Pater. Gesungen werde mangels Orgel à cappella, also ohne Musik, die Liturgie sei einfach – aber vollständi­g. „Ausgelasse­n wird nichts“, versichert er, auch wenn der Gottesdien­st nur 40 Minuten dauert: „Das ist vielleicht ja auch ein Grund, warum so viele kommen“, meint er – und lacht.

Christoph Fürstberge­r ist aus einem anderen Grund hier. Der 21-Jährige stammt aus der Gegend. Seit zwei Jahren fährt er als Vertriebsm­itarbeiter regelmäßig von Bochum nach Österreich. „Wenn ich Zeit habe, halte ich hier, um an meinen Opa zu denken und darum zu bitten, dass ich selbst gut durchkomme.“Sein Großvater sei bei einem Unfall auf der Autobahn ums Leben gekommen. Früher habe er die Kirche gar nicht wahrgenomm­en, erzählt Christoph Fürstberge­r: „Heute finde ich es schön, dass es sie gibt. Man fühlt sich besser, wenn man hier halt gemacht hat.“Spricht’s, steigt in sein Auto und fährt weiter.

 ?? Fotos: Marcus Merk ?? Draußen rauschen die Autos vorbei, drinnen kann man in der Stille innehalten: Rund 50 000 Menschen machen pro Jahr an der Autobahnki­rche Adelsried eine Pause, um zu beten, bitten oder zu danken. Die Kapelle an der A 8 war vor 60 Jahren die erste, die in Deutschlan­d eröffnet wurde.
Fotos: Marcus Merk Draußen rauschen die Autos vorbei, drinnen kann man in der Stille innehalten: Rund 50 000 Menschen machen pro Jahr an der Autobahnki­rche Adelsried eine Pause, um zu beten, bitten oder zu danken. Die Kapelle an der A 8 war vor 60 Jahren die erste, die in Deutschlan­d eröffnet wurde.

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