Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Große Städte haben länger Grippesaison als kleine
Forscher analysieren die Situation in den USA. Und kommen zu interessanten Schlussfolgerungen
Corvallis Grippewellen verlaufen in kleineren Städten anders als in Metropolen. Während in kleineren Städten sehr viele Menschen in einem kurzen Zeitraum erkranken, sind die Infektionen in Metropolen eher über die gesamte kalte Jahreszeit verteilt. Zu diesem Ergebnis kommen amerikanische Forscher, die die Arztbesuche wegen grippeähnlicher Erkrankungen von 2002 bis 2008 in 603 Städten der USA untersuchten. Das Team um Benjamin Dalziel von der Oregon State University in Corvallis (Oregon) veröffentlichte seine Ergebnisse nun in der Fachzeitschrift Science.
Die Verbreitung und Veränderung der Grippe werde durch Wechselwirkungen beeinflusst, schreiben die Wissenschaftler. Dazu gehören etwa die Entwicklung der Viren und Antigene sowie die klimatischen Bedingungen, die das Übertragungsaufkommen beeinflussen. Dalziel und Kollegen suchten nach einer Möglichkeit, anhand möglichst weniger Faktoren den Verlauf einer Grippewelle vorherzusagen. Mithilfe der wöchentlichen Daten zu den Arztbesuchen erstellten die Forscher ein Simulationsmodell. Sie gelangten zu guten Simulationsergebnissen, indem sie nur zwei Kriterien sehr genau beachteten: das Basisübertragungspotenzial (also wie schnell kann die Grippe in einem bestimmten Umfeld Menschen anstecken) und die Feuchtigkeit der Luft. Das Basisübertragungspotenzial wird vor allem dadurch beeinflusst, wie eng die Menschen zusammenleben und wie nah sie sich im öffentlichen Nahverkehr oder in anderen Alltagssituationen kommen. Denn je räumlich näher sich die Menschen kommen, desto eher kann die Übertragung durch Tröpfcheninfektion erfolgen, erklären die Forscher.
In Metropolen gibt es eher Situationen mit Gedränge, in denen durch Husten oder Sprechen die Viren weitergegeben werden können. Außerdem sind Großstädte oft gut mit anderen Regionen vernetzt, sodass es einen zusätzlichen Austausch von Grippeviren gibt. All dies sorgt dafür, dass die Grippewellen in Metropolen weniger durch das Wetter beeinflusst werden und sich zeitlich stärker verteilen als in kleineren Städten. Kleinere Städte aber, die sehr dicht besiedelt sind, zeigen ähnliche Erkrankungsmuster wie Metropolen.
In kleineren Städten besteht wiederum ein starker Zusammenhang mit der Feuchtigkeit der Luft. Sinkt die Luftfeuchtigkeit, können sich die virenbeladenen Tröpfchen länger in der Luft halten und das Infektionsrisiko steigt. Auch trockene Heizungsluft lässt dieses Risiko größer werden.
In kleineren Städten, in denen das Basisübertragungspotenzial geringer ist, weil es weniger Gedränge gibt, ist also das Wetter entscheidender: Bei einer für die Virusübertragung günstigen Witterung steigt die Zahl der Erkrankungen sehr schnell an. In einem Kommentar in Science schreibt Jacco Wallinga vom National Institute for Public Health and the Environment in Bilthoven (Niederlande): „Die Studie legt nahe, dass man über die Infektionskontrolle neu nachdenken sollte.“
So sollten öffentliche Gesundheitskampagnen die Bevölkerung in kleineren und großen Städten womöglich unterschiedlich ansprechen. „Metropolregionen sollten sich darauf konzentrieren, die Ausbreitung der Grippe zu stoppen, während Kleinstädte sich auf die Verringerung der gesundheitlichen Folgen fokussieren sollten.“
Stefan Parsch, dpa