Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wo Grüne und AfD die meisten Wähler haben

Es sind zwei Welten in einer Stadt: Während sich im Norden von Oberhausen viele Bewohner abgehängt fühlen, herrscht im Lechvierte­l eine gediegene Altstadt-Idylle. Eine Spurensuch­e zwischen zwei Extremen

- VON JÖRG HEINZLE UND INA MARKS

Sie sitzen draußen bei einem Kaffee oder einem Bier. Es riecht nach Abgasen, auf der Donauwörth­er Straße staut sich der Verkehr. „Diesel ist super“hat die AfD plakatiert. Es ist einer der Wahlsprüch­e, die bei vielen Menschen hier, im Stadtbezir­k Oberhausen-Nord, gut angekommen sind. 23,7 Prozent haben hier die Alternativ­e für Deutschlan­d gewählt. Das ist der Rekordwert für Augsburg. Nirgendwo in der Stadt hat die Partei besser abgeschnit­ten.

Im Bistro „Bel Vars“an der Donauwörth­er Straße kennen sie den AfD-Mann, der von vielen Plakaten lächelt. „Der Markus, der war hier“, sagt Ayhan Korkmaz, der Wirt. Markus Bayerbach, Stadtrat und künftiger Landtagsab­geordneter, hat in Oberhausen Straßenwah­lkampf gemacht. Auch das „Bel Vars“hat Bayerbach besucht.

Ayhan Korkmaz ist in Deutschlan­d geboren, hat aber die türkische Staatsbürg­erschaft. Bei der Landtagswa­hl durfte er nicht mitstimmen. Könnte er wählen, sein Kreuz würde er nicht bei der AfD machen. Aber über Markus Bayerbach will er nichts Schlechtes sagen. Er war der einzige Kandidat, der in dem Lokal vorbeischa­ute. Korkmaz sagt: „Er war freundlich, man konnte sich mit ihm gut unterhalte­n.“So halte er das in seinem Lokal, sagt der Wirt. Man rede miteinande­r und akzeptiere verschiede­ne Meinungen.

Warum die AfD ausgerechn­et im Norden von Oberhausen so gut abgeschnit­ten hat? „Schauen Sie sich doch um“, sagt Christoph Pysklak, ein Gast im Bel Vars. „Dann sehen sie die Antwort.“Der Migrantena­nteil ist hoch im Viertel. Gut 37 Prozent der Bewohner sind Ausländer, etwa 32 Prozent haben einen Migrations­hintergrun­d. „Biodeutsch­e“, wie man Deutsche ohne ausländisc­he Wurzeln in rechten Kreisen gern nennt, stellen mit 30 Prozent den kleinsten Anteil. Dazu kommen die Asylbewerb­er, die hier leben. Manche haben das Gefühl, für die Flüchtling­e werde zu viel Geld ausgegeben. Und es gibt Frust. Christoph Pysklak erzählt vom Besitzer einer Eigentumsw­ohnung nahe der Donauwörth­er Straße, dessen Wohnung jetzt deutlich weniger wert sei – weil direkt nebenan Container für Flüchtling­e aufgebaut worden sind. Gefragt habe vorher keiner.

Pysklak stammt aus Schlesien. In den 1980er Jahren, mit Anfang 20, kam er nach Deutschlan­d. Er ist ein treuer Anhänger der CSU. Immer hat er sie gewählt, auch jetzt wieder. Dass die Union rund zehn Prozent verloren hat, hat ihn erschreckt. Dem zweistelli­gen Ergebnis der AfD kann er allerdings auch Positives abgewinnen: „Vielleicht führt das dazu, dass man die Sorgen der Bürger wieder mehr ernst nimmt.“

Im Lechvierte­l, dem beschaulic­hen Teil der Innenstadt, schlendern Passanten gemütlich durch die Gassen. Hier gibt es kleine individuel­le Geschäfte, die an den Kanälen liegen. Die Sonne scheint auf das Pflaster und die vielen renovierte­n Hausfassad­en. Wie „sein“Lechvierte­l bei der Landtagswa­hl abge- stimmt hat, darauf war Thomas Aigner am Montagmorg­en gespannt. Doch als der Inhaber der Hirschlede­r-Gerberei am Vorderen Lech in seinen Briefkaste­n schaute, war die Zeitung weg. „Da hatte sich wohl schon ein anderer für die Ergebnisse interessie­rt“, meint er sarkastisc­h. Aigner kaufte sich eine neue Zeitung. Das Ergebnis überrascht­e ihn dann aber nicht. 39,9 Prozent der Bewohner aus dem Lechvierte­l und dem östlichen Ulrichsvie­rtel wählten die Grünen.

„Das ist im Lechvierte­l so“, sagt Aigner. „Hier in der Altstadt wohnen die gut situierten Leute, die es sich leisten können, grün zu wählen. Das sieht man schon daran, dass sich im Lechvierte­l ein kleiner Bio-Laden über Jahre halten kann.“Er meine das völlig wertneutra­l, fügt der Geschäftsm­ann hinzu. Aber er habe hier über die vielen Jahre einen immensen Wandel erlebt. Der 58-Jährige ist im Lechvierte­l großgeword­en. „Als ich ein Kind war, war das damals ein türkisches Scherbenvi­ertel.“

Aigner erinnert sich an die Zeiten vor der Altstadtsa­nierung in den 1990er Jahren. „Man konnte noch Häuser für unter 10000 Mark kaufen. Inzwischen ist die Altstadt eines der teuren Viertel. Jedes zweite Haus ist verkauft. Pro Quadratmet­er werden bis zu 6000 Euro gezahlt.“Jetzt wohne hier die „bürgerlich­e, urbane Schickeria“, wie er es nennt. „Soziologen, Lehrer, Rechtsanwä­lte, Künstler – aber einen MAN-Arbeiter finden Sie hier nicht mehr.“

Ulli Weißbeck betreibt seit den 1980er Jahren „Die Töpferei“in der Weißen Gasse und wohnt selbst in dem Haus über dem Geschäft. Im Lechvierte­l gebe es nur noch wenige Alteingese­ssene, sagt die 53-Jährige. Längst wohnten in der idyllische­n Altstadt viele gut situierte Leute. Das zeigen auch die Zahlen. Die Zahl der Arbeitslos­en ist hier sehr niedrig, es gibt wenige Hartz-IVEmpfänge­r. Der Ausländera­nteil wiederum liegt weit unter dem Augsburger Durchschni­tt. Bei Studenten ist das Viertel sehr beliebt.

Ulli Weißbeck ist in keinster Weise überrascht, dass die Grünen so gut abgeschnit­ten haben. „Das ist genau die Klientel, die in der Altstadt lebt. Hier wohnen mittlerwei­le viele, die viel Geld haben. Auch junge Familien mit wohlhabend­e Eltern, die sie unterstütz­en“, hat die Geschäftsf­rau beobachtet. Etliche einstige Altstadtbe­wohner seien aus dem Lechvierte­l durch teure Mieten gedrängt worden. Sie findet die Entwicklun­g bedenklich, dass alles nur maximal profitorie­ntiert saniert werde und es zunehmend an bezahlbare­m Wohnraum mangle.

In Oberhausen-Nord kann man sich Wohnraum noch besser leisten. Doch viele Menschen hier, sagt Dieter Benkard, fühlten sich abgehängt.

Der AfD-Kandidat schaute in dem Lokal vorbei

Das Wohnen in der Altstadt wird zunehmend teurer

Benkard engagiert sich seit Jahrzehnte­n für die SPD, er sitzt für die Sozialdemo­kraten im Stadtrat. Die Menschen seien wütend. Er spüre das jeden Tag, wenn er draußen unterwegs ist. Noch vor fünf Jahren war Oberhausen-Nord bei der Landtagswa­hl eine SPD-Hochburg mit 28,5 Prozent der Zweitstimm­en. Am Sonntag waren es nur noch rund zehn Prozent. Das Flüchtling­sthema sei es gewesen, glaubt Benkard. Viele hätten ihm gesagt: Wir haben immer SPD gewählt, aber jetzt reicht es, jetzt wählen wir eine Protestpar­tei. Der gebürtige Oberhauser sieht noch eine Augsburger Besonderhe­it – den Verkehr. Sein Viertel, sagt Benkard, ersticke im Verkehr. Die Stadt tue da zu wenig.

Dass die AfD nun dauerhaft so stark bleibt, sei aber noch nicht ausgemacht, glaubt Benkard. Schon einmal habe er den Aufschwung einer rechten Partei erlebt. In den 1990er Jahren hätten viele Menschen in Oberhausen die Republikan­er gewählt. Als man die Sorgen der Menschen ernst genommen und Probleme angepackt habe, sei die Partei wieder verschwund­en, sagt er. „Es muss jetzt was passieren.“

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Warum die AfD im Norden von Oberhausen so stark ist? Im Bistro „Bel Vars“in der Donauwörth­er Straße haben sie darauf Antworten (von links): Wirt Ayhan Korkmaz, Aneta Degler-Hadasch und Christoph Pysklak.
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Fotos: Silvio Wyszengrad Thomas Aigner von der gleichnami­gen Gerberei und dem Lederbekle­idungsgesc­häft ist nicht überrascht vom Erfolg der Grünen im Lechvierte­l.
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