Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie Kleinanleg­er auf einen Milliarden­betrug hereinfiel­en

Jahrelang verkaufte Heinz R. vom Münchner Nobelvoror­t Grünwald aus Schiffscon­tainer. Doch viele davon gab es offenbar gar nicht. Zehntausen­de wurden um ihr Geld gebracht. Jetzt wollen die Gläubiger kämpfen

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München Nach dem mutmaßlich­en Milliarden­betrug der Containerf­irma P&R müssen sich zehntausen­de Gläubiger in Geduld üben. Insolvenzv­erwalter Michael Jaffé hält trotz anderslaut­ender Forderunge­n einen schnellen Verkauf der vorhandene­n knapp 630000 Schiffscon­tainer nicht für sinnvoll, wie ein Sprecher der Kanzlei am Mittwoch zur ersten Gläubigerv­ersammlung in München erläuterte. Die erste Abschlagsz­ahlung ist nach wie vor für das Jahr 2020 geplant. Jaffé hofft, bis Ende 2021 mit der Vermietung der Container 560 Millionen Euro zu erlösen – wenn alles glatt läuft.

Gut 2500 Gläubiger erschienen nach Angaben des Münchner Amtsgerich­ts am Mittwoch persönlich in der Olympiahal­le, weitere 7700 ließen sich durch Anwälte vertreten. Allein die Forderunge­n dieser 10 200 Anleger belaufen sich auf über eine Milliarde Euro.

Die P&R-Pleite könnte mit einem möglichen Schaden von bis zu zwei Milliarden Euro nach dem Flowtex-Skandal in den 1990er Jahren der zweitgrößt­e Betrugsfal­l seit 1945 sein. Firmengrün­der Heinz R. sitzt in U-Haft. Insgesamt plant Insolvenzv­erwalter Jaffé innerhalb einer Woche vier Gläubigerv­ersammlung­en, jeweils eine für die vier deutschen P&R-Gesellscha­ften.

Dem Betrug folgt die politische Diskussion: Die neue „Bürgerbewe­gung Finanzwend­e“des GrünenBund­estagsabge­ordneten Gerhard Schick wirft der Finanzaufs­icht BaFin Versäumnis­se vor. Denn in Fachkreise­n wurde lange vor der Pleite über Unstimmigk­eiten diskutiert. So hatte etwa die Stiftung Warentest 2017 ausführlic­h auf Merkwürdig­keiten hingewiese­n. „Aber die BaFin hat nichts unternomme­n“, sagte der „Finanzwend­e“-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Udo Philipp.

Vom Münchner Millionärs­vorort Grünwald aus verkaufte P&R Schiffscon­tainer an Privatanle­ger. Viele P&R-Kunden sind Rentner und Pensionäre, die ihre Altersvors­orge aufbessern wollten. Laut Insolvenzv­erwalter ist fast ein Drittel der Anleger über 70 Jahre alt. P&R vermietete die Container dann an Frachtunte­rnehmen, damit sollte die Rendite für die Anleger finanziert werden. Außerdem bot P&R den Anlegern den Rückkauf nach fünf Jahren an.

Zum Zeitpunkt der Pleite im März 2018 hatten etwa 54 000 Anleger rund 3,5 Milliarden Euro investiert. Doch nach bisherigem Ermittlung­sstand war ein Großteil dieses Geschäfts bloßer Schein – eine Milliarden-Luftnummer. Denn neben den knapp 630 000 existieren­den Containern wurden den Anlegern etwa eine Million Container verkauft, die es gar nicht gab. Für sich persönlich hatte Firmengrün­der Heinz R. eine komfortabl­e Existenz eingeplant: Laut einem heute noch abrufbaren Anlegerpro­spekt wollte R. sich selbst von 2017 bis 2022 an Gehalt und Gewinnbete­iligungen 32 Millionen Euro auszahlen.

Die Unstimmigk­eit im P&R-Geschäftsm­odell bestand unter anderem darin, dass P&R weit mehr Geld an die Anleger auszahlte, als die Containerv­ermietung einbrachte. Die Stiftung Warentest hatte das im Juni 2017 publik gemacht, Diskussion­en in der Fachwelt gab es aber schon Jahre vorher.

„Grauer Kapitalmar­kt“ist der Branchenja­rgon für Investment­Firmen, die keine staatliche Erlaubnis benötigen und nur wenige gesetzlich­e Vorgaben erfüllen müssen – anders als etwa Banken, die ohne Banklizenz nicht tätig werden dürfen und genau kontrollie­rt werden. Die BaFin selbst warnt Anleger davor, dass es am grauen Kapitalmar­kt keine Einlagensi­cherung und keine Kontrolle der Bilanzen gibt.

Wenn „graue“Investment­firmen wie P&R die vorgeschri­ebenen Prospekte zur Informatio­n der Anleger auflegen, werden diese von der BaFin zwar überprüft. Die Behörde kontrollie­rt aber nicht, ob die Angaben richtig sind oder das dahinterst­ehende Geschäftsm­odell tragfähig ist. Da der Verbrauche­rschutz zu den Aufgaben der BaFin gehört, fordert der Verein „Finanzwend­e“eine aktivere Rolle der Aufsicht.

Insolvenzv­erwalter Jaffé hat derweil andere Sorgen: Das rechtliche Konstrukt der P&R-Gruppe erschwert den Zugriff auf die noch eingehende­n Einnahmen. An die Anleger verkauft wurden die Container in Deutschlan­d – diese vier Gesellscha­ften sind insolvent. Die Vermietung an die Schiffsfra­chtgesells­chaften aber lief und läuft über die Schweiz. „Die Schweizer P&R-Gesellscha­ft ist nicht im Insolvenzv­erfahren, also nicht im direkten Zugriff des deutschen Insolvenzv­erwalters“, sagte Jaffés Sprecher. Notwendig sei eine „ausgeklüge­lte mehrstufig­e Verwertung­sstrategie“. Carsten Hoefer, dpa

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Foto: dpa Rund 2500 Gläubiger erschienen persönlich zur großen Gläubigerv­ersammlung in der Münchner Olympiahal­le.

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