Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Mann mit dem Helden-Gen
Heino Ferch spielt in einem aufwühlenden TV-Film einen Kommissar, der ein abscheuliches Verbrechen an einem zehnjährigen Jungen aufzuklären hat
Sie spielen in dem auf einer wahren Begebenheit fußenden Krimi „Ein Kind wird gesucht“mit. Er handelt vom zehnjährigen Mirco im rheinischen Grefrath, der 2010 nicht mehr vom Fußballtraining heimkommt. Bald stellt sich heraus, der Bub wurde missbraucht und umgebracht. Wie sehr berührt Sie so eine Geschichte?
Heino Ferch: Mich berührt sie in erster Linie als Familienvater. Dass der Junge nämlich an einem Abend an einen Sexualtäter gerät, ist reiner Zufall. Ihm ist nicht aufgelauert worden, er wurde einfach zufällig Opfer eines Mannes, der sexuell aggressiv war. Das ist tragisch. Man hofft nur, dass die eigenen Kinder so ein Schicksal nie treffen möge.
Es wurde damals die größte Soko der Nachkriegsgeschichte auf die Beine gestellt, um den Fall zu klären, was am Ende auch gelang. Der Mörder wurde geschnappt, das Kind aber war tot – eine Tragödie oder doch auch Befriedigung für Ermittler und Familie? Ferch: Das müsste man Ermittler und Familie fragen. Ich denke, es ist auf jeden Fall eine Tragödie. Es war aber auch für die Familie wichtig, Gewissheit zu bekommen. Das ist auch der Antrieb des Ermittler-Stars Ingo Thiel, den ich spiele. Der hat eine nahezu hundertprozentige Aufklärungsquote. Ich denke, es ist eine Tragödie, die eine unglaubliche Familie bemerkenswert gemeistert hat.
Der Fall Mirco ist allerdings nicht typisch für Missbrauch: 80 Prozent aller Gewalttaten gegen Kinder sind familiär bedingt oder sie finden zumindest im Umkreis der Familie statt.
Ferch: Das ist in der Tat erschreckend.
Nachrichten über Verbrechen an Kindern, besonders sexueller Missbrauch, versetzen Eltern immer wieder in Angst und Schrecken. Kennen Sie dieses Gefühl auch selbst?
Ferch: Das Gefühl kenne ich glücklicherweise nicht. Aber wenn man Kinder hat, hat man auch Ängste, die man vorher nicht hatte. Das Wissen darum, das 80 Prozent aller Gewalttaten an Kindern im familiären Umfeld geschehen, ist eine furchtbare Statistik. Aber vielleicht muss man eben auch im engeren Umfeld sehr wachsam sein.
Der Vater im Film sagt: „Einem Mörder vergeben, das kann ich nicht.“Könnten Sie das?
Ferch: Das weiß ich nicht. Solche Fragen kann man nur beantworten, wenn man betroffen ist.
Man geht heute davon aus, dass jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder siebte bis achte Junge Opfer von sexuellem Missbrauch werden. Ist das nicht erschreckend für ein scheinbar zivilisiertes Land wie Deutschland?
Ferch: Das ist unglaublich erschreckend.
Kann man sein Kind auf solch brenzlige Situationen vorbereiten?
Ferch: Das kann man. Das wird auch in den Schulen trainiert. Es gibt Seminare, in denen Eltern und Kinder sensibilisiert werden. Das ist Teil der Erziehung und schrecklicher Teil der Bewusstseinsbildung, Kindern vor Augen zu führen, was alles möglich ist.
Sie haben zwar auch schon Bösewichte gespielt, werden in Filmen aber gerne als der Held besetzt, so auch in diesem. Haben Sie so eine Art „Helden-Gen“? Ferch: Das müssen Sie diejenigen fragen, die mich besetzen. Aber klar, über die Jahre hat sich durchgesetzt, dass solche Rollen mit mir ganz gut funktionieren. Ich übernehme diese Rollen auch gerne.
Die betroffene Familie findet bei aller Verzweiflung in ihrem tiefen Glauben an Gott Halt. Woran würden Sie in so einem Fall Halt finden?
Ferch: Sicher in meiner Familie. Aber auch das ist schwer zu beantworten, wenn man es nicht erlebt hat.
Sind Sie selbst religiös? Ferch: Nein, bin ich nicht. In einem anderen Interview haben Sie gesagt, eine Ihrer schlimmsten Vorstellungen wäre es, wenn Ihre Kinder vor Ihnen sterben würden. Ist das wahr? Ferch: Das ist richtig. Man hat ja zu seinen Kindern noch eine ganz andere Bindung als zu seinem Ehepartner. Das jüngere Leben durch was auch immer sterben zu sehen, ist das Schlimmste, was einem passieren kann. Wenn man sein Leben mal gelebt hat, ist der Tod, der ja zum Leben dazugehört, etwas ganz anderes.
Sie haben eine beachtliche Karriere hingelegt und als Grund dafür genannt: „Ich denke, wichtig war, sich treu zu bleiben, dass ich mich nicht schon vor zwanzig Jahren in eine Situation gebracht habe, Sachen zu machen, zu denen ich nur mit Magenschmerzen ,ja‘ gesagt hätte.“Was waren das für Sachen?
Ferch: Es gab tatsächlich Angebote, die ich hätte machen können, aber aus diesem Grund abgelehnt habe. Ich habe immer versucht, Rollen zu übernehmen, zu denen auch mein Herz Ja gesagt hat.
Was waren in Ihrer Karriere die entscheidenden Wendepunkte, in denen Sie sich selber sagen mussten: „Los, nutze den Augenblick!“
Ferch: Entscheidende Wendepunkte gab es eigentlich relativ wenige. Es gab mal einen Winter, da liefen vier Kinofilme mit mir: „Der Winterschläfer“, „Comedian Harmonists“, eine Komödie von Buenavista und noch eine Rockstar-Geschichte. Ich glaube, das war 1997 auf 1998. Das hat meiner Karriere schon einen richtigen Schub gegeben. Und dann im Jahr 2000 die Geburtsstunde des deutschen TV-Eventfilms, als ich mit Produzent Nico Hofmann den „Tunnel“gemacht habe, war auch besonders. Das waren Meilensteine.
Sie sind als jugendlicher Turner zum Schauspiel gewechselt.
Ferch: Ja, ich bin damals Turner gewesen und das Theater suchte Artisten für ein Musical. Und die haben mich und drei andere aus meiner Mannschaft gefragt, ob wir Lust hätten, das zu machen. So bin ich ins Theater sozusagen über den BurtLancaster-Weg gekommen, der ja auch von der Reckstange im Zirkus vor die Kamera gekommen ist. So begann alles, mit viel Artistik. Und so habe ich den Rest meiner Schulzeit neben dem täglichen Training und dem Turnen am Theater verbracht. Ich wusste schnell: Das ist Leidenschaft. Schon im Abiturjahr bin ich zum Vorsprechen an die staatlichen Hochschulen für Schauspiel gegangen. Interview: Josef Karg
OTV-Tipp Heino Ferch, („Vincent will Meer“, „Adlon“, „Spuren des Bösen“, „Allmen“) gehört zu den renommiertesten deutschen Schauspielern. Er lebt mit seiner Frau bei München. Der Film „Ein Kind wird gesucht“ist am Montag, 22. Oktober, um 20.15 Uhr im ZDF zu sehen.