Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Warum kleckern wir beim Kaffeetrin­ken?

Die kalte Jahreszeit ist die Zeit der heißen Getränke. Doch jeder kennt es: An der Kanne oder an der Tasse rinnen oft die Tropfen herunter und hinterlass­en Spuren. Und wie trägt man einen vollen Becher am besten? Wissenscha­ftler verspreche­n Rat

- VON CHRISTIAN SATORIUS

Eigentlich ist es ja ganz einfach: Wer seinen Kaffeebech­er nur etwa bis zur Hälfte auffüllt, kann ziemlich sicher sein, dass er beim Transport von der Kaffeemasc­hine bis zum Ess- oder Schreibtis­ch nichts von der kostbaren Flüssigkei­t verschütte­t – da müsste man schon ein arger Grobmotori­ker sein. Aber mal ganz ehrlich: Wer macht das schon? Selbstvers­tändlich gießt man den Becher randvoll und wundert sich dann, dass er alle paar Meter überschwap­pt. Aber das muss nicht sein, denn es gibt Wissenscha­ftler und Tüftler aus aller Welt, die sich dem Alltagspro­blem angenommen haben. Sie haben tatsächlic­h jede Menge Tipps und Tricks erforscht, die das Verschütte­n erfolgreic­h verhindern können.

Schon die erste große Herausford­erung auf dem Weg zum vollendete­n Kaffeegenu­ss kann ganz ohne Kleckern gemeistert werden: das Eingießen des Heißgeträn­ks. Das Problem hat Frieder Mugele, Fachmann für die Physik komplexer Flüssigkei­ten an der niederländ­ischen Universitä­t Twente klar erkannt: „Zu Beginn gelingt es, mit Schwung einzugieße­n. Wenn die Tasse dann aber beinahe gefüllt ist und man die Fließgesch­windigkeit reduziert, tritt ein unerwünsch­tes Strömungsm­uster auf und es tropft.“Genau hier setzt Mugeles Abhilfe ein: „Mit einer scharfen Abrisskant­e am Ausgießer landet mehr Kaffee in der Tasse.“Mit anderen Worten: Das eigentlich­e Problem ist der Ausgießer.

An einer scharfkant­igen Abrisskant­e reißt der Flüssigkei­tsstrom schneller und gezielter ab als an einer weichen, wulstigere­n und runden Ausgießerf­orm, an der nicht nur Heißgeträn­ke bei langsamere­m Ausgießen förmlich kleben bleiben. Vor allem Rotweintri­nker kennen das Problem, wenn nach dem Einschenke­n immer ein paar Tropfen in dünner Bahn die Flasche herunter rinnen und am Ende auf der Tischdecke oder der Tischoberf­läche hartnäckig­e Flecken hinterlass­en. Inzwischen hat die Zubehörind­ustrie Mugeles Entdeckung aufgegriff­en und dünne Kunststoff oder Aluminiump­lättchen, die eingerollt in die Flaschenöf­fnung einen tropffreie­n Ausgießer ergeben.

Forscher Mugele empfiehlt einen ähnlichen Trick auch bei Ausgießern mit weichen Formen, wie man sie etwa von Keramik- oder Glaskannen her kennt. Einfach einen Streifen Tesafilms an der Außenseite der Tülle anzubringe­n: An dessen scharfer Kante reißt der Flüssigkei­tsstrom dann besser und vor allem steuerbare­r ab. Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkei­t. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere ja noch daran, wie Oma das Problem früher gelöst hat. Sie befestigte nämlich einfach ein kleines Schwämmche­n unter dem Ausguss der Kanne, das die herablaufe­nden und kleckernde­n Tropfen kurzerhand aufgesaugt hat. Echte Hingucker sind aber wohl weder der Tesafilmst­reifen noch das kleine Schwämmche­n, sodass eine Edelstahlt­hermoskann­e mit scharfkant­igem Ausgießer vielleicht doch die ästhetisch ansprechen­dere Wahl ist. Oder man achtet beim nächsten Kannenkauf auf eine dünne, kantige Ausgießerf­orm.

Und wer immer beim Trinken an der Kaffeetass­e außen einen hässlichen brauen Tropfenfil­m hinterläss­t, kann es das nächste Mal mit einer dünnwandig­en Teetasse probieren, die ebenfalls eine härtere Kante besitzt. Aber wie geht es nach dem Eingießen weiter? Der amerikanis­che Professor Mathematik­er und Strömungsf­orscher Rouslan Krechetnik­ov und der Ingenieur Hans Mayer haben das an der Universitä­t von Kalifornie­n in Santa Barbara näher erforscht. Das eigentlich­e Dilemma beginnt den Wissenscha­ftlern zufolge nämlich schon gleich beim Laufen. „Das Losgehen aus dem Stand erzeugt eine initiale Welle im Becher“, hat Krechetnik­ov herausgefu­nden, „die sich immer mehr aufschauke­lt“.

„Nach sieben bis zehn Schritten, also etwa vier bis fünf Metern, kommt es dann in der Regel zum Überschwap­pen des Kaffees“, stellte Krechetnik­ov in seinen Experiment­en fest. Ein abruptes Loslaufen, eine starke Beschleuni­gung und eine ebensolche Endgeschwi­ndigkeit wirkten sich negativ auf das Erauch Illustrati­on: AdobeStock gebnis aus, was aber nicht weiter verwundert. Wie weit die Versuchste­ilnehmer in den Experiment­en kamen, ohne ihren Kaffee zu verschütte­n, hing aber auch davon ab, ob sie beim Gehen auf den Kaffeebech­er fokussiert waren und sich Mühe gaben, diesen keinen Moment aus den Augen zu lassen, um nichts zu verschütte­n. Das funktionie­rt deutlich besser, als einfach so draufloszu­laufen. „Der deutliche Unterschie­d zwischen fokussiert und nicht fokussiert deutet darauf hin, dass das Gehen mit einem Kaffeebech­er ein Kontrollpr­oblem ist“, sagt Krechetnik­ov. Demnach fragt sich also, ob und wie man diese Kontrolle maximieren kann. Hilfe kommt hier von koreanisch­en Forschern.

Der Physiker Jiwon Han von der Minjok-Leadership-Akademie in Gangwon-do hat gleich mehrere Antworten anzubieten. Zum einen hat er bei seinen Versuchen herausgefu­nden, dass der Kaffee im Becher deutlich niedrigere Wellen schlägt, wenn der Becher nicht wie gewohnt am Henkel getragen wird, sondern mit dem sogenannte­n „Klauengrif­f“mit leicht abgespreiz­ten und gekrümmten Fingern von oben am Becherrand angefasst und getragen wird. Vor allem die berüchtigt­e erste Welle, die beim Loslaufen entsteht, lässt sich seinen Forschunge­n nach auf diese Weise deutlich verringern. Jiwon Han hat aber noch einen weiteren Geheimtipp auf Lager: „Gehen Sie rückwärts!“

Zum einen fokussiere man sich so automatisc­h noch stärker auf den Kaffee im Becher und gehe dementspre­chend vorsichtig­er, meint Han. Zum anderen reduziere der Rückwärtsg­ang die Schwingung­en, die durch das Gehen auf die Flüssigkei­t übertragen werden und so das Getränk überschwap­pen lassen. „Vielleicht, weil wir es nicht gewohnt sind, rückwärts zu gehen, werden unsere Gehbewegun­gen unregelmäß­iger“, erläutert Han den positiven Effekt. Mit anderen Worten: Das systematis­che Aufschauke­ln der Flüssigkei­t im Becher, das durch die Regelmäßig­keit unserer Gehbewegun­gen beim Vorwärtsga­ng zustande kommt, wird durch die unregelmäß­igen Bewegungen des Rückwärtsg­ehens behindert.

Anderersei­ts ist das mit dem Rückwärtsg­ehen natürlich so eine Sache: Man sieht halt nicht, wohin man läuft, und so lauern nun ganz andere Gefahren auf dem Weg. Es gibt aber noch einen weiteren Trick, das Überschwap­pen des Getränkes beim Gehen zu verhindern: Milchschau­m auf dem Kaffee oder Kakao.

Jean Cappello von der Universitä­t Princeton in New Jersey, USA, und sein Team haben herausgefu­nden, dass schon eine Schaumschi­cht von nur sechs Millimeter­n Höhe ausreicht, um ein Aufschauke­ln des Getränkes effektiv zu unterbinde­n. Die Liebhaber von Kakao, Cappuccino, Latte macchiato und Co. sind demnach also klar im Vorteil.

Wenn all diese Tipps und Tricks dann doch nicht geholfen haben und dennoch Kaffeeflec­ken auf Auslegware oder Sofapolste­r gelandet sind, gibt es noch einen letzten Ratschlag: Zuerst die Flüssigkei­t mit einem saugfähige­n Papierküch­en-Tuch aufnehmen, dabei aber nur tupfen und nicht wischen. Anschließe­nd mit etwas lauwarmen Wasser vorsichtig nachreinig­en. Aber auch hier gilt wieder: nur tupfen und auf keinen Fall wischen.

Warum Cappuccino-Fans im Vorteil sind

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Kaffee- aber auch Weintrinke­r wissen es, oft rinnen die Tropfen herunter und enden als Flecken.

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