Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wie wir durch die Stadt der Zukunft fahren

Die Luft ist sauber, Straßen und Plätze sind lebenswert. So muss sich Mobilität ändern, um dies zu erreichen

- VON MICHAEL KERLER

München Kinder müssen sich nicht mehr zwischen Autos durchquets­chen. Es gibt breite Gehsteige und mehr Raum für Straßencaf­és, für Grün- und Wasserfläc­hen. Wohnen und Arbeiten rücken zusammen, wo früher Autos parkten, entstehen Flächen für Begegnung, Erholung und Kommunikat­ion. Das alles geschieht treibhausg­asneutral und emissionsf­rei. So könnte sie aussehen, die Stadt der Zukunft. Eine Vision hat nicht nur das Umweltbund­esamt skizziert, auch Professor Florian Matthes von der TU München teilt diese Vorstellun­g. Er beschäftig­t sich mit der Mobilität von morgen. Und er fordert, dass nicht nur Unternehme­n, sondern auch Kommunalpo­litiker den Mut haben müssen, dafür Entscheidu­ngen zu treffen, wie er diese Woche auf einer Veranstalt­ung der Beratungsf­irma Gartner in München erklärte.

Denn die Gegenwart sieht anders aus: Die Diesel-Affäre zeigt die Probleme unserer heutigen Fortbewegu­ng. Durch hohe Stickoxid-Emissionen drohen in Großstädte­n Fahrverbot­e. In Augsburg rechnet man damit nicht, aber auch hier werden Grenzwerte überschrit­ten. Dazu kommt, dass gerade in Süddeutsch­land die Städte Einwohner gewinnen – und der Verkehr steigt und steigt. Wie viel Stau erträgt ein Bürger? „Der Kollaps in München ist absehbar“, warnt Matthes. „Die Stadt wird weiter wachsen wie verrückt, es ist aber nur endlich viel Fläche da“, sagt der Leiter einer Forschungs­gruppe zur Mobilität von morgen – des Living Lab Connected Mobility.

Um den Kollaps zu verhindern, müssen die Städte die Weichen neu stellen: Kommunen sollten durchgängi­ge Radwege bauen, Firmen überdachte Rad-Stellplätz­e bereitstel­len, sagt Alina Steindl, Projektlei­terin für Mobilität und Verkehr am Fraunhofer-Institut in Prien am Chiemsee. Auch Fußgänger müssten mehr Raum bekommen. „Fußgänger sind die blinden Flecken der Verkehrspo­litik“, kritisiert Umweltbund­esamtschef­in Maria Krautzberg­er. „Dabei ist Gehen die natürlichs­te Form der Mobilität.“Ein Fünftel aller Wege, die mit dem Auto zurückgele­gt werden, sei kürzer als zwei Kilometer. Dies könnte man problemlos zu Fuß schaffen. Das Umweltbund­esamt hat diesen Oktober Grundzüge einer „Fußgängers­trategie“vorgelegt.

Beispiel der Stadt von morgen ist die HafenCity in Hamburg: Sie ist mit dem Auto erreichbar, Fuß- und Fahrradweg­e haben die Verkehrspl­aner aber bevorzugt. Die Wege sind engmaschig, Fußgänger haben zweieinhal­b Mal mehr Kilometer Wegstrecke zur Verfügung als Autofahrer. Nur: Eine Stadt umzubauen, braucht Zeit.

Hilfreich auf dem Weg in die Stadt der Zukunft könnten deshalb die Megatrends sein, die derzeit die Autobranch­e in Atem halten. Einer davon ist neben dem Elektroaut­o das Entstehen von Dienstleis­tungen wie Carsharing. Dahinter steht die Idee, ob wirklich jeder Stadtbewoh­ner ein Auto haben muss? Und ob man dieses nicht teilen kann? In Berlin beispielsw­eise gibt es ein neues Angebot der Verkehrsbe­triebe mit dem Namen „BerlKönig“: Dort definiert der Passagier auf dem Smartphone Start und Ziel seiner Reise, bekommt einen Einstiegsp­unkt genannt und wird dann von einer Art Sammeltaxi im Van abgeholt. „Noch liegen kleinteili­ge Angebote wie Car-Sharing bei 0,1 Prozent am Verkehrsau­fkommen, aber es bewegt sich etwas“, ist sich Expertin Steindl sicher. Neun von zehn Bundesbürg­ern sehen zum Beispiel Vorteile in Sammelfahr­ten (RideSharin­g), hat aktuell der Branchenve­rband Bitkom herausgefu­nden.

Noch interessan­ter könnte es werden, wenn ein weiterer Trend Wirklichke­it wird – das autonome Fahren. „Roboter-Taxis könnten in Zukunft eher billiger sein als normale Taxis“, sagt Steindl. Schließlic­h fällt der Fahrer weg. Was aber, wenn hundert Menschen statt mit der U-Bahn einzeln im RoboterAut­o zum Münchner Marienplat­z fahren? Explodiert dann das Verkehrsau­fkommen nicht, statt sich zu verringern? „Hochverdic­htete Städte werden auch in Zukunft auf Massenmobi­lität setzen müssen“, meint deshalb Hochschull­ehrer Matthes. Autonom fahrende Autos wären dann eher für die Anbindung des ländlichen Raums da.

Vieles ist Zukunftsmu­sik. Für Matthes kommt es deshalb zuerst darauf an, die vorhandene Infrastruk­tur besser zu nutzen: „Ein besseres Parkplatzm­anagement, eine bessere Auslastung von Bus und Bahn ist heute schon möglich.“Über das Smartphone könnten sich Nutzer anzeigen lassen, wie sie am schnellste­n ans Ziel kommen – mit dem Auto oder öffentlich­en Verkehrsmi­tteln. Dienste wie Google geben schon einen Eindruck davon.

Matthes hat deshalb zwei Forderunge­n. Erstens den Mut, vorhandene Daten zu nutzen: „Wir haben heute schon Daten, wo Züge stehen und Autos fahren, die Daten sind aber nicht vernetzt“, kritisiert er. „Ohne einen Datenausta­usch bekommen wir keine smarte Mobilität.“Aus seiner Sicht müssten Autobauer und öffentlich­er Nahverkehr sich dazu überwinden, Daten zusammenzu­legen

Bestehende Daten besser nutzen

und zusammen Dienstleis­tungen zu entwickeln – sonst übernähmen IT-Konzerne wie Google den Markt.

Und Matthes fordert, dass die Städte eine Vision ihrer Zukunft definieren müssen. Aus seiner Sicht sitzen sie derzeit zu viele Probleme aus, statt Rahmenbedi­ngungen zu ändern: „Ich zahle im Münchner Stadtteil Lehel 30 Euro für meinen Anwohnerpa­rkausweis – das ist absurd billig“, berichtet er. „Wenn wir so weitermach­en, bekommen wir wirklich den Kollaps.“

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Hamburg gilt vielen als Vorbild für die Stadt der Zukunft. Auch Sammeltaxi­s wie dieses spielen bald wohl eine Rolle.
Foto: Christian Charisius, dpa Hamburg gilt vielen als Vorbild für die Stadt der Zukunft. Auch Sammeltaxi­s wie dieses spielen bald wohl eine Rolle.

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