Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Ottonen kämpfen – bald auch im Internet

Die Schlacht auf dem Lechfeld des Jahres 955 soll zum Leben erweckt werden – für Einheimisc­he und für Touristen. Für die Videos schlüpfen Laiendarst­eller in die Rolle von Magyaren und Ottonen – aber nicht auf dem Lechfeld

- VON VERONIKA LINTNER

Region Die Ottonen müssen sich gedulden. In voller Rüstung sitzen die Krieger in den Campingstü­hlen, vor ihrem Zelt. Sie lehnen sich an ihre Speere oder gönnen sich einen Schluck Kaffee vor dem Kampf. Ein Ottone rückt sich den Helm zurecht und zündet sich eine Zigarette an. „Seit 7.30 Uhr sind wir hier. Das geht schon, aber diese Mücken nerven“, sagt David Petermeier. Der Mann in Rüstung ist IT-Spezialist und ist viel auf Mittelalte­rmärkten unterwegs. Er mag es auch, in Rollen zu schlüpfen – und so hat er für dieses Projekt schnell zugesagt. Nun steht er im historisch­en Gewand bereit – für die Filmaufnah­men zur Schlacht auf dem Lechfeld.

Das Projekt hat die Regio Tourismus Augsburg ins Leben gerufen: Mit einem digitalen Pfad will sie die Schlacht aus dem Jahr 955 zum Leben erwecken – für die Einheimisc­hen, aber auch für Touristen, um die die Region mit diesem historisch­en Thema mehr werben will. Es geht um jenen Kampf zwischen Ottonen und Magyaren, den deutschen und den ungarische­n Stämmen. „Wir wollen erklären, warum das ein Meilenstei­n der Geschichte war“, erklärt Projektlei­terin Sonja Wolf. Der Weg bis zum ersten Drehtag war mühsam: Machbarkei­tsstudien in Auftrag geben, Fördergeld beantragen, nach Laiendar- stellern und einer Filmcrew suchen. „Wir wollen aber nicht die ganze Schlacht darstellen. Es sind nur kleine Szenen“, sagt Wolf. „Wir versuchen, ein regionales Thema zeitgemäß aufzuarbei­ten. Historisch fundiert, aber zugleich spielerisc­h.“

Der Auftrag hat mehrere Ziele: Eine Website, die 2019 online gehen soll, wird die Schlacht mit Texten und diesen Videos präsentier­en. Begleitend­e Arbeitshef­te für Schüler sind geplant und sogar ein kleines Online-Spiel. Die ersten Schritte zu dem großen Rundum-Projekt sind bereits gemacht: Ein Geschichts­pfad mit mehreren Stationen in der Region ist in Planung. In Königsbrun­n gibt es seit Oktober 2015 den InfoPavill­on „955“, der als Herzstück die großen Dioramen mit Zinnfigure­n seitdem optisch ansprechen­d präsentier­t. Auch dort sollen die Videoaufna­hmen integriert werden.

Drehort ist eine Wiese bei Feldmochin­g. Regisseur Ilja Sallacz freut sich an diesem Tag über „die nötigen Wolken für die nötige Dramatik“. Für die Gewänder und Rüstungen ist Laszlo Turi verantwort­lich. Er legt Wert auf eine authentisc­he Ausrüstung, basierend auf wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen. Von der Heraldik der Wappen bis zur Nähtechnik und den Schnittmus­tern der Gewänder. „Auch sein Hobby sollte man profession­ell betreiben“, sagt Turi. Hauptberuf­lich baut er Bögen und hat sich auf das achte bis zehnte Jahrhunder­t spezialisi­ert – die Zeit von Otto dem Großen. Turis Fachgebiet ist die experiment­elle Archäologi­e: „Das bedeutet, dass die Dinge auch funktionie­ren, vom Helm bis zum Bogen.“Sieben Monate Arbeit hat Turi in dieses Projekt investiert – mit fast 400 Stunden Recherche und Tüftelei.

Die Herausford­erung liegt im Stand der Forschung, die Quellenlag­e ist dünn. Zumal sich die Experten uneins sind, wo diese Schlacht überhaupt stattgefun­den hat. Im Süden von Augsburg auf eben jener Hochebene, die man als Lechfeld kennt. Oder doch woanders? Im Jahr 2013 wurde jedenfalls bei Todtenweis ein Pferdegesc­hirr gefunden, das auf die Schlacht hindeutet – doch das ist nur eine von vielen Spuren in der Region. Das Lechfeld ist weit, flach und undefinier­t in seinen Grenzen – und so erscheint es geradezu symbolhaft, dass die Filmaufnah­men in Feldmochin­g entstehen, wo weit und breit kein Lech in Sicht ist ...

Doch die Ebene dort kommt dem Blick der Kamera entgegen. Die Magyaren kämpfen mit Ledermütze, Speer, Bogen und Waffenrock. Während die Steppenpfe­rde der Ungarn einst gedrungen waren, gibt heute ein stämmiger Haflinger das Schlachtro­ss. Der Helm des Reiters sitzt, der graue Rauschebar­t und die lockige Mähne ergänzen das Gewand.

Zwölf Szenen mit etwa 20 Darsteller­n stehen auf dem Tagesplan. Die meisten Ottonen und Magyaren sind Mitglieder im Bogenschüt­zenverein, dem das Gelände gehört. In einem blauen Zelt ziehen sich die Darsteller um. „Ich wundere mich, wie die damals gekämpft haben, mit 30 bis 40 Kilogramm Ausrüstung“, sagt Harald Rupp. Und doch: Er will Helm und Harnisch gar nicht ablegen, er genießt den Dreh. „Diese Schlacht ist ein Stück Kultur und Völkervers­tändigung. Somit haben wir heute quasi Deutschlan­d gegründet“, sagt er. In der Tat: Im Kampf gegen die Ungarn vereinte König Otto die Stämme der Sachsen, Bayern, Böhmen, Schwaben und Franken – und er siegte. In den Drehpausen fachsimpel­n die Schauspiel­er über Bögen und Schusstech­nik. Lederhaut, Holz, Rinde und 30 Ochsensehn­en – daraus bestand die Waffe. Für ein Schwert hat man damals den Wert eines Bauernhofs bezahlen müssen.

Um dieser Epoche nachzuspür­en, hat das Projekt einen wissenscha­ftlicher Beirat einberufen. „Die Experten klären in jedem Schritt die Frage: Kann das so gewesen sein? Dabei gibt es auch kontrovers­e Diskussion­en“, sagt Sonja Wolf. Manches sei Mutmaßung, doch die enorme Tragweite dieser Schlacht scheint für die Projektlei­terin fraglos: „Diese Schlacht war ein Meisterwer­k an Diplomatie und ein wichtiger Schritt in Richtung Europa.“Mit den Filmaufnah­men soll diese Geschichte nun greifbar werden.

Von Schülerhef­ten bis zum Online-Spiel

 ?? Foto: Veronika Lintner ?? So könnte es gewesen sein, als im Jahre 955 die Schlacht auf dem Lechfeld tobte, an deren Ende König Otto die Ungarn vertrieb und erstmals die deutschen Stämme vereinte. Das historisch­e Ereignis stellen derzeit Laiendarst­eller für Filmaufnah­men nach, die als Teil des geplanten Geschichts­pfads im Infopavill­on 955 in Königsbrun­n und auch im Internet zu sehen sein werden.
Foto: Veronika Lintner So könnte es gewesen sein, als im Jahre 955 die Schlacht auf dem Lechfeld tobte, an deren Ende König Otto die Ungarn vertrieb und erstmals die deutschen Stämme vereinte. Das historisch­e Ereignis stellen derzeit Laiendarst­eller für Filmaufnah­men nach, die als Teil des geplanten Geschichts­pfads im Infopavill­on 955 in Königsbrun­n und auch im Internet zu sehen sein werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany