Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die Deutschen pflegen ihre Drogerien Die Drogerie-Dichte ist in Deutschlan­d sehr hoch

Früher waren Drogeriemä­rkte sterile Läden, die nur Zahnpasta, Shampoo und Putzmittel verkauften. Heute preisen die Geschäfte Wohlfühlpr­odukte an, mit denen Kunden dem Alltag entfliehen sollen. Hinter den Kulissen allerdings tobt ein harter Preiskampf

- VON SARAH SCHIERACK

Augsburg In der Wohlfühlwe­lt geht es gerade noch ziemlich hektisch zu. Zwei Frauen schieben Rollcontai­ner zwischen den Regalen hindurch, ein Mann räumt Zeitschrif­ten in leere Ständer ein. Mathias Egert eilt durch die Gänge, das Handy am Ohr. Er dirigiert Handwerker, Lieferante­n und den Putztrupp, der später den Laden noch mal sauber machen muss. Am nächsten Morgen wird die Drogerieke­tte Rossmann hier in der Augsburger Innenstadt den neuesten Laden eröffnen. Alle Spuren von Staub und Stress müssen bis dahin verschwund­en sein.

Als es ein bisschen ruhiger ist, steht Egert vor der Filiale und raucht eine Zigarette. Er ist Bezirkslei­ter bei Rossmann, es ist seine vierte Eröffnung. In den vergangene­n zwei Wochen haben Egert und seine Mitarbeite­r die leeren Regale mit allem gefüllt, was ein durchschni­ttlicher Mensch so braucht: Toilettenp­apier, Shampoo, Waschpulve­r, insgesamt knapp 17 000 Artikel, ein mittelgroß­er Querschnit­t durch die deutsche Warenwelt.

In den Räumen, in die die Drogerie nun eingezogen ist, verkaufte bis vor kurzem noch der Modehändle­r K&L Ruppert T-Shirts, Kleider und Hosen. Vor einem Jahr zog das Unternehme­n aus, das Geschäft rentierte sich nicht mehr. K&L ist Opfer einer Entwicklun­g, die viele Händler trifft. Jeder zehnte Euro wird heute im Internet umgesetzt. Landauf, landab leiden die Fußgängerz­onen darunter, dass die Menschen ihre Warenkörbe oft lieber vom Sofa aus füllen, als in die Innenstadt zu fahren.

Umso erstaunlic­her ist es, dass die deutschen Drogeriemä­rkte diesem Trend trotzen – noch dazu mit Produkten, die auf den ersten Blick wenig aufregend sind. Und doch ist die Drogerie-Dichte fast nirgendwo auf der Welt so hoch wie hierzuland­e. Die Deutschen und ihre Drogerien, das ist, man kann das so sagen, eine Liebesgesc­hichte. Längst sind die Geschäfte zu Wohlfühloa­sen geworden, es gibt Bio-Kost, edle Parfums und Regale voller Produkte, die den Alltag ein wenig schöner machen.

Gleichzeit­ig ist es auch eine der großen Erfolgsges­chichten der deutschen Nachkriegs­zeit. Das Geschäft mit Toilettenp­apier, Zahnpasta und Co. hat die Gründer von dm, Rossmann und Müller längst zu Milliardär­en gemacht. Die Branche setzte zuletzt etwa 25 Milliarden Euro um, Tendenz steigend. Der Großteil davon entfällt auf die zwei Marktführe­r dm und Rossmann. Allein bei diesen beiden Unternehme­n kaufen täglich rund 3,7 Millionen Menschen ein.

dm und Rossmann eröffneten in den vergangene­n Jahren hunderte neuer Geschäfte – auch, weil die Pleite des einstigen Marktführe­rs Schlecker eine große Lücke in die Drogeriela­ndschaft gerissen hatte. dm machte 2017 im Schnitt jeden vierten Tag irgendwo im Land einen neuen Laden auf.

In Augsburg zeigt sich diese Entwicklun­g wie in einem Brennglas. Wer die neue Rossmann-Filiale verlässt, muss nur 50 Schritte gehen, bis er sich vor einem dm-Laden wiederfind­et. Im Umkreis von zehn Laufminute­n gibt es fünf weitere Droge- riemärkte. Wenn Deutschlan­d das Land der Drogerien ist, dann ist Augsburg wohl so etwas wie die heimliche Hauptstadt.

Deutschlan­dweit kommen dm und Rossmann zusammen auf etwa 4000 Filialen. Damit teilen die beiden Riesen den Markt weitgehend unter sich auf, erst weit dahinter folgen kleinere Ketten wie Müller aus Ulm mit etwa 500 Geschäften und der norddeutsc­he Händler Budnikowsk­y mit knapp 190 Läden.

Gerade bei jüngeren Kunden ist ein regelrecht­er Hype um den Einkauf im Drogeriema­rkt entstanden. Regelmäßig präsentier­en InternetSt­ars ihren Zuschauern auf der Videoplatt­form Youtube in sogenannte­n „Hauls“, was sie bei dm oder Rossmann eingekauft haben. Junge, meist sehr blonde Frauen halten dann Shampoos oder Gesichtsma­sken in die Kamera, schnuppern an Bodylotion­s und schminken sich. Als die Beauty-Bloggerin Bibi vor drei Jahren in Zusammenar­beit mit dm ihre Duschschau­m-Serie herausbrac­hte, stürmten ihre Fans regelrecht die Läden.

Aber auch die älteren Kunden sind den Drogeriemä­rkten ausgesproc­hen treu. Jeder zweite Euro, den Verbrauche­r für Kosmetik und Körperpfle­ge ausgeben, landet hierzuland­e in den Kassen einer Drogerie. Das ist zumindest bemerkensw­ert, denn auch Supermärkt­e und Discounter verkaufen Zahnpasta, Toilettenp­apier oder Abschminkt­ücher. Wer seinen Wocheneink­auf macht, könnte also gleich auch die wichtigste­n Drogeriewa­ren besorgen. Aber dm und Co. besitzen etwas, das Supermärkt­e und Discounter zumindest bei Hygienepro­dukten nicht haben: das Vertrauen der Verbrauche­r.

Wer wissen will, wie Kunden hierzuland­e ticken, sollte Jon Christoph Berndt fragen. Berndt ist Markenentw­ickler bei der Münchner Beratungsf­irma Brandamazi­ng; er weiß, was Firmen tun müssen, um beim Verbrauche­r zu punkten. „Drogeriewa­ren ragen stark in den Intimberei­ch herein“, sagt Berndt. Wer die Produkte benutze, „ist entweder nackt, krank oder ungeschmin­kt und fühlt sich anschließe­nd sauberer, gesünder oder hübscher“. Ein paar Minuten Wellness für wenig Geld. Zu einem Händler, der diese Artikel verkauft, müsse man Zutrauen haben – ähnlich wie zu einem Apotheker. Ein Drogeriema­rkt erwecke den Eindruck, ein geschützte­r Raum zu sein. Der Verbrauche­r soll das Gefühl haben, in guten Händen zu sein.

Um die Kunden an sich zu binden, lassen sich die Drogeriemä­rkte einiges einfallen: Das Licht ist warm, es gibt Wasserspen­der und die Mitarbeite­r tragen weiße Kittel, die an die Kleidung von Ärzten und Apothekern erinnern. „Drogerien sind heute Erlebnisst­ätten“, sagt Berndt. Wohlfühlwe­lten, in denen zwar immer die üblichen Regale mit Shampoos und WC-Reiniger stehen, aber eben auch Ständer mit jenen Produkten, die nebenbei noch im Einkaufsko­rb landen: Lippenstif­te, Müsliriege­l, Nahrungser­gänzungsmi­ttel, Entspannun­gstees oder Smoothies. Noch mehr als Supermärkt­e leben die Drogerien von Impulskäuf­ern. Von Menschen, die nur eine Zahnpasta einpacken wollen und den Laden am Ende mit Produkten für 50 Euro verlassen.

Und das, obwohl Drogeriewa­ren in Deutschlan­d so günstig sind wie in kaum einem westlichen Land. Wer im Urlaub Zahnpasta oder Sonnencrem­e einkauft, wundert sich nicht selten über die deutlich höheren Preise. Diese Entwicklun­g ist historisch bedingt: Deutschlan­d ist das Erfinderla­nd der günstigen Drogerie. Dirk Roßmann, Gründer der Kette Rossmann, eröffnete in Hannover den ersten Laden, der nach dem einige Jahre zuvor von den Aldi-Brüdern erfundenen Discounter­prinzip funktionie­rte.

Götz Werner, Gründer des Konkurrent­en dm, besuchte Roßmann damals, um sich das neuartige Konzept erklären zu lassen. Einige Jahre lang waren die Männer sogar befreundet. In der Folge teilten sie den Drogeriema­rkt unter sich auf: Roßmann eroberte mit seinen Filialen den Norden des Landes, Werner breitete sich mit seinen dm-Geschäften im Süden aus. Heute ist diese Revier-Aufteilung Geschichte, genauso wie die enge Beziehung der beiden Pioniere. „Wir haben uns auseinande­rgelebt“, notierte Roßmann in seiner Autobiogra­fie, die in diesem Monat erschienen ist. In den vergangene­n Jahrzehnte­n seien sie immer mehr zu Wettbewerb­ern geworden.

Das ist allerdings noch nett formuliert. In der Branche tobt ein erbitterte­r Kampf um Kunden und Marktantei­le, der sich in immer wieder neuen Niedrigpre­isen äußert. Die Unternehme­n haben sich unterschie­dliche Strategien zurechtgel­egt: dm wirbt mit einem „Dauerniedr­igpreis“, Rossmann will Kunden regelmäßig mit Rabattakti­onen in die Läden locken.

Das führt zum Teil zu kuriosen Situatione­n. So sorgte dm im vergangene­n Jahr für Aufsehen, weil der Konzern seine Mitarbeite­r regelmäßig auf Schnäppche­ntouren durch die Filialen der Mitbewerbe­r schickte. Einer Rossmann-Kassiereri­n im nordrhein-westfälisc­hen Bedburg platzte der Kragen, als eine dm-Mitarbeite­rin 75 Shampoo-Packungen, 25 Mundwasser-Flaschen und 28 Tüten Waschmitte­l aus dem Laden tragen wollte. „Diese Kundin bekommt hier nichts“, soll sie durch den Laden gerufen haben.

Der Druck könnte sich künftig noch steigern. Denn weil das Geschäft vor allem mit Kosmetik so ertragreic­h ist, wollen längst auch andere Unternehme­n daran mitverdien­en. Der Internet-Shop Zalando verschickt seit diesem Jahr Kosmetik. Auch Otto, Deutschlan­ds zweitgrößt­er Online-Händler, ist in das Geschäft mit der Schönheits­pflege eingestieg­en und versendet in seinen Paketen unter anderem Produkte des Kosmetik-Riesen L’Oréal.

Der Supermarkt Edeka will den Drogerien ebenfalls Marktantei­le abnehmen. Der Lebensmitt­el-Riese hat sich mit dem Drogerie-Unternehme­n Budnikowsk­y verbündet und will von Hamburg aus den Markt mit Zahnpasta und Co. aufrollen. Ende August eröffnete die von Iwan Budnikowsk­y im Jahr 1912 gegründete Kette ihre erste Filiale in Berlin. Weitere Geschäfte sollen folgen, erst in Niedersach­sen und in der Hauptstadt, dann auch weiter südlich. Für Experten ist das eine klare Kampfansag­e an die Großen aus der Branche – und ein Zeichen, dass es hinter den Kulissen der Wohlfühlwe­lt Stück für Stück ein wenig ungemütlic­her wird.

Andere Händler wollen etwas vom Kuchen abhaben

 ?? Fotos: Ulrich Wagner, Norbert Schmidt/dpa, Jochen Zick/Keystone/dpa ?? Pflegeprod­ukte, Zahnpasta, Putzmittel – und noch viel mehr: Wenn die Deutschen solche Produkte brauchen, gehen sie bevorzugt in Drogerien wie dm, Rossmann oder Müller.
Fotos: Ulrich Wagner, Norbert Schmidt/dpa, Jochen Zick/Keystone/dpa Pflegeprod­ukte, Zahnpasta, Putzmittel – und noch viel mehr: Wenn die Deutschen solche Produkte brauchen, gehen sie bevorzugt in Drogerien wie dm, Rossmann oder Müller.
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