Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Der steinige Weg der Juden in Bayern

1917 wurde die prachtvoll­e Synagoge in Augsburg eingeweiht. Doch die Freude hielt nicht lang. Unter den Nationalso­zialisten wurden viele Menschen aus der Region vertrieben und ermordet

- VON ANGELA BACHMAIR

Augsburg 1918, im vierten Jahr des Weltkriegs, ließ die Jüdische Gemeinde von Augsburg das Dach ihrer Synagoge abdecken und spendete das Kupfer für den Krieg. Erst ein Jahr zuvor, 1917, war die prachtvoll­e neue Synagoge eingeweiht worden. Doch die Augsburger Juden waren Patrioten und wollten das Ihre beitragen zu einem – 1918 freilich schon aussichtsl­osen – Sieg des Deutschen Reichs.

Die Metallspen­de zeigt, wie stark sich die jüdische Minderheit vor 100 Jahren als gleichbere­chtigte und gleich verpflicht­ete deutsche Staatsbürg­er fühlte. Dahin hatte ein langer Weg geführt: Nach den Vertreibun­gen aus den Städten in Mittelalte­r und Früher Neuzeit – 1438 aus Augsburg, 1519 aus Regensburg – hatten sich jüdische Gemeinden nur auf dem Land etablieren können, wo die Herrschaft­en ihnen Schutz boten und dafür Steuern und Abgaben kassierten. Die Grafschaft­en Burgau und Wallerstei­n mit den Orten Ichenhause­n, Hürben, Thannhause­n, Fischach, Binswangen, Hainsfarth, Pfersee und Kriegshabe­r entwickelt­en sich zu Zentren des Landjudent­ums.

Mit seinem Toleranzed­ikt eröffnete der bayerische Reformer Montgelas 1813 den Juden die Aussicht auf gleiche Rechte. Aber erst 1871, mit der Gründung des Deutschen Reichs, war es so weit: Juden erhielten auch in Bayern die volle rechtliche Gleichstel­lung. Sie zogen vom Land in die Stadt, gründeten Handelshäu­ser, Banken und Fabriken, wurden Unternehme­r, Rechtsanwä­lte, Ärzte, Wissenscha­ftler, Künstler. Aron Kahn und Albert Arnold betrieben in Augsburg ein Textilunte­rnehmen mit 900 Beschäftig­ten, in München bereitete der Arzt Max Isserlin der Kinderund Jugendpsyc­hiatrie den Weg, in Hürben bei Krumbach verbrachte der Schriftste­ller Gustav Landauer seine Sommerfris­che. In den Städten entstand ein wohlhabend­es jüdisches Bürgertum, das sich oft an die Kultur der christlich­en Mehrheit assimilier­te oder aber die orthodoxen religiösen Traditione­n reformiert­e. Und diese Gemeinden des Reformjude­ntums – in Schwaben gab es sie in Kempten, Memmingen, Nördlingen und Augsburg – bauten sich prächtige Synagogen.

Noch vor Beginn des Weltkriegs hatte die Augsburger Gemeinde mit der Planung für ihr neues Gotteshaus begonnen; am 4. April 1917 konnte sie zur Einweihung laden. Kurz darauf kam sogar der bayerische König Ludwig III. und bestaunte das Architektu­rwunder, das der junge jüdische Architekt Fritz Landauer mit seinem katholisch­en Kollegen Heinrich Lömpel geschaffen hatte, ein Kuppelbau mit byzantinis­ch anmutender Dekoration in dunkler Farbigkeit und Gold. Stolz und die Freude an gesellscha­ftlicher Anerkennun­g währten freilich nicht lang. Unmittelba­r nach der Niederschl­agung der Münchner Räterepubl­ik 1919 begann der rassische Antisemiti­smus Fuß zu fassen, München die „Hauptstadt der (nationalso­zialistisc­hen) Bewegung“, Bayern bekämpfte als „Ordnungsze­lle“die Weimarer Republik. Bayerische Bürger jüdischen Glaubens wurden spätestens nach der Machtübert­ragung an Hitler 1933 ausgegrenz­t und verfolgt. Die Nazis und ihre Gefolgsleu­te boykottier­ten jüdische Geschäfte, die Nürnberger Gesetze beraubten die Juden ihrer Bürgerrech­te, Kinder wurden aus den Schulen ausgeschlo­ssen, die Pogrome vom November 1938 waren nackte Gewalt und gaben den Auftakt zum Raub jüdischen Besitzes. Bis 1939 wurden Geschäfte, Banken, Fabriken, Immobilien „arisiert“, Familien wie die Kahns und Arnolds aus Augsburg zur Emigration gezwungen, und wo die nicht gelang, ins KZ verschlepp­t. Aus der jüdischen Gemeinde Fischach konnten noch 1939 42 Menschen auswandern, die anderen 56 jüdischen Fischacher deportiert­e die Polizei 1942 in die polnischen Vernichtun­gslager und nach Theresiens­tadt.

Wie sie wurden auch die meisten bayerische­n Juden, die nicht hatten fliehen können, ermordet. 1945, am Ende des Zweiten Weltkriegs, kawurde men nur noch so wenige in ihre Heimat zurück, dass der Rabbiner Leo Baeck sagte, das Zeitalter der deutschen Juden sei endgültig vorbei. Aber es kamen jüdische Menschen, die den Holocaust in Osteuropa überlebt hatten, nach Bayern, vor allem nach München, weil sie sich unter den Schutz der Amerikaner stellen wollten. Die „displaced persons“(DPs), heimatlose Menschen, wurden zunächst in Lagern untergebra­cht, die die Nazis errichtet hatten – in Kaufering bei Landsberg oder in Föhrenwald bei Wolfratsha­usen. In St. Ottilien wurde ein jüdisches Hospital eingericht­et, in dem Frauen, die überlebt hatten, ihre Kinder bekamen, die sogenannte­n „Ottilien-Babys“, die sich erst kürzlich an ihrem Geburtsort wieder trafen.

Die DPs trugen einen beträchtli­chen Teil zum Wirtschaft­swunder bei – am bekanntest­en ist wohl der Filmproduz­ent Artur Brauner. In Augsburg gründete Julius Spokojny, der aus Polen stammte und im KZ Buchenwald befreit worden war, ein Textilunte­rnehmen und kümmerte sich um die jüdische Gemeinde, deren Präsident er 1963 wurde, und um die schwer beschädigt­e Synagoge. 1985 konnte er das restaurier­te Gotteshaus einweihen, das nun auch das Jüdische Museum AugsburgSc­hwaben enthielt, das erste seiner Art in Deutschlan­d. Spokojny dachte damals, die Synagoge sei viel zu groß. Aber dann kamen nach 1990 viele Juden aus der ehemaligen Sowjetunio­n, und inzwischen lebt in Augsburg eine jüdische Gemeinde von 1600 Personen, größer als vor 1933. Es sind aber auch neuer Antisemiti­smus und Rechtspopu­lismus gewachsen – Juden fürchten wieder um ihre Zukunft.

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 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Die Synagoge in Augsburg: Sie beherbergt heute auch das Jüdische Museum Augsburg-Schwaben – das erste seiner Art in Deutschlan­d.
Foto: Ulrich Wagner Die Synagoge in Augsburg: Sie beherbergt heute auch das Jüdische Museum Augsburg-Schwaben – das erste seiner Art in Deutschlan­d.
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