Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Hessen ist das politische Versuchsla­bor Deutschlan­ds

Vieles scheint möglich bei den anstehende­n Landtagswa­hlen in dem Bundesland. Sogar eine grün-rot-rote Regierung ist nicht auszuschli­eßen

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger-allgemeine.de

Wieder einmal richten sich alle Augen auf das wirtschaft­sstarke Land in der geografisc­hen Mitte Deutschlan­ds. Am Sonntag sind die Hessen aufgerufen, einen neuen Landtag zu wählen. Doch längst geht es mehr um die Frage, ob CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier weiter an der Spitze einer schwarz-grünen Koalition in Wiesbaden regieren kann, oder ob es sein SPD-Herausford­erer Thorsten Schäfer-Gümbel im dritten Anlauf gelingt, eine Mehrheit zustande zu bringen und in die Staatskanz­lei einzuziehe­n.

In Hessen könnten sich auch die Zukunft der Großen Koalition in Berlin und das Schicksal von CDUChefin Angela Merkel und ihrer SPD-Kollegin Andrea Nahles entscheide­n. Wahlen in Hessen waren schon immer spannend. Bis 1970 war die SPD stets stärkste Partei, von 1949 bis 1987 stellte sie durchgehen­d den Ministerpr­äsidenten, doch seitdem liefern sich CDU und SPD immer wieder ein Kopf-anKopf-Rennen, verbunden mit schwierige­n und langwierig­en Regierungs­bildungen. Mehrfach wurde in Hessen auch politische Geschichte geschriebe­n, gab es Weichenste­llungen, die nicht ohne Folgen für die Bundespoli­tik bleiben sollten. Ende 1985 bildete SPD-Ministerpr­äsident Holger Börner die erste rot-grüne Regierung mit dem späteren Außenminis­ter Joschka Fischer, 2013 schmiedete CDU-Ministerpr­äsident Volker Bouffier die erste schwarzgrü­ne Koalition auf Landeseben­e mit Tarek Al-Wazir.

Hessen war immer auch ein Versuchsla­bor und ein Vorreiter, wo Neues Gestalt annahm. Auf den Schultern des 66-jährigen Amtsinhabe­rs und seines 49-jährigen Herausford­erers lastet eine doppelte Herkulesar­beit. Zum einen müssen sie ihre Wahlen gewinnen, was in politisch angespannt­en und von starken Veränderun­gen geprägten Zeiten schon schwierig genug ist. Zum anderen sollen die beiden auch noch die Große Koalition in Berlin, ihre angeschlag­enen Partei-Chefinnen Angela Merkel und Andrea Nahles retten. Und das, obwohl ihnen das Negativ-Image der Großen Koalition in Berlin im Wahlkampf wie Blei an den Beinen hängt und Merkel wie Nahles sie in die Tiefe ziehen.

Eine schwere Niederlage des engen Merkel-Vertrauten Bouffier, der in der Flüchtling­spolitik den Kurs der Kanzlerin unterstütz­te, wird unverzügli­ch eine Debatte in der Union auslösen, ob Merkel nach 18 Jahren an der Spitze der CDU noch die Richtige ist. Und ein Debakel Schäfer-Gümbels, der dem linken Flügel seiner Partei angehört, gibt den zahlreiche­n Kritikern und Gegnern der GroKo in der SPD weiter Auftrieb.

Nach den aktuellen Umfragen haben Bouffier und seine schwarzgrü­ne Koalition keine Mehrheit, aber auch Schäfer-Gümbel könnte leer ausgehen. Denn nicht die schwächeln­den Sozialdemo­kraten, sondern die Grünen setzen ihren Höhenflug fort. Wie bereits in Bayern könnten sie auch in Hessen zur zweitstärk­sten politische­n Kraft werden. Ihr Spitzenkan­didat, Wirtschaft­sminister Tarek AlWazir, gilt als der beliebtest­e Politiker im Lande. Das hat Folgen. Während selbst die Große Koalition aus CDU und SPD keine Mehrheit mehr im Landtag hätte, könnte Bouffier wie sein Amtskolleg­e Daniel Günther in Schleswig-Holstein eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP schmieden.

Oder aber Hessen betritt wieder einmal politische­s Neuland und Tarek Al-Wazir wird als zweiter grüner Ministerpr­äsident nach Winfried Kretschman­n Chef einer grün-rot-roten Regierung. Unvorstell­bar? Nicht in Hessen. Das Land war schon immer für Überraschu­ngen gut. Nun könnte es wieder seinem Ruf als politische­s Versuchsla­bor gerecht werden.

Die Bundespoli­tik spielt eine wesentlich­e Rolle

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