Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Ein Fiasko für den Thronfolge­r

Der gewaltsame Tod des kritischen Journalist­en Kaschoggi bedeutet für das ölreiche Land einen kaum wiedergutz­umachenden Imageschad­en. Die Wahrheit wird nur häppchenwe­ise zugegeben. Wie Kronprinz Mohammed bin Salman seine eigene Politik torpediert

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Der Mord an Dschamal Kaschoggi wird zum Fiasko für den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman. Das Verbrechen sollte einen lästigen Kritiker aus dem Weg räumen – erschütter­t nun aber die gesamte Politik Saudi-Arabiens. Die immer neuen Versionen aus Riad zum Fall Kaschoggi bestätigen nicht nur, dass der Thronfolge­r fast drei Wochen lang gelogen hat und dass er mit rücksichts­loser Brutalität gegen Dissidente­n vorgeht. Nach Einschätzu­ng von Experten steht wegen des Mordes auch die westliche Unterstütz­ung für den wirtschaft­lichen Umbau Saudi-Arabiens infrage. In den politische­n Beziehunge­n zum Westen könnte die vom Prinzen verschulde­te Krise am Ende dem Rivalen Iran nützen.

Der Mord an Regimekrit­iker Kaschoggi schockt die Welt: Allein das Entsetzen ist ein politische­r Mühlstein für Saudi-Arabien. Selbst wenn die erste Abscheu der internatio­nalen Gemeinscha­ft abgeklunge­n sein wird, dürfte der Mord im Konsulat dauerhafte Folgen haben.

Neben dem Imageschad­en für das Land ist da zunächst die Selbstzers­törung der politische­n Glaubwürdi­gkeit einer bisher sehr selbstbewu­ssten Regionalma­cht. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Kaschoggi geworden ist. Am Samstag erklärte sie, Kaschoggi sei bei einer „Schlägerei“im Konsulat gestorben. Einen Tag später schob Riad eine andere Version nach: Der Regimegegn­er sei in einen „Würgegriff“genommen worden, weil er bei einem Streit laut geworden sei. Dabei sei er gestorben.

Die ständig wechselnde­n Darstellun­gen zeugen entweder von amateurhaf­ten Vertuschun­gsversuche­n oder davon, dass sich die saudischen Behörden von ihren eigenen Geheimdien­sten immer neue Märchen auftischen lassen. Ganz gleich, was nun dahinterst­eckt: Wer soll dann noch saudischen Stellungna­hmen glauben? Saudi-Arabien habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminie­rt“, schrieb der Nahost-Experte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik RUSI auf Twitter.

Nach wie vor ist unbekannt, was mit Kaschoggis Leiche geschehen ist. Nach der neuesten Version wurde sie in einen Teppich eingewicke­lt und einem türkischen Helfer übergeben, der sie verschwind­en ließ – doch niemand erwartet, dass die saudische Regierung jetzt die Wahrheit sagt. Auch deren Versuch, Thronfolge­r Mohammed bin Salman aus der Schusslini­e zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinze­n ist ein Bauernopfe­r, das im Westen nicht überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige, kurz MBS genannte Kronprinz nun einmal der Verantwort­liche.

Die Konsequenz­en reichen weit über Ansehensfr­agen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprog­ramm des Kronprinze­n zeigt, wie groß der wirtschaft­liche Schaden sein dürfte. Der anvisierte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustri­e löst und führend im Hightech-Bereich wird, erfordert Milliarden­investitio­nen und die Hilfe von westlichen Technologi­ekonzernen. Schon vor den diversen saudischen Stellungna­hmen vom Wochenende hatten führende Banker, Politiker und Unternehme­r aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investoren­konferenz in Riad abgesagt – eine Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profiliere­n wollte. Plötzlich meide jeder den Kontakt mit MBS, meldete die Agentur Bloomberg.

Aus dem erhofften Investitio­nsschub dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangene­n Jahr gingen die ausländisc­hen Direktinve­stitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit der Unberechen­barkeit des Kronprinze­n zu tun, der Rivalen aus der Königsfami­lie unter dem Vorwand der Korruption­sbekämpfun­g interniere­n ließ. Durch den Mord an Kaschoggi dürfte der Ruf des Investitio­nsstandort­es Saudi-Arabien noch mehr leiden.

Auf politische­r Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Selbst US-Präsident Donald Trump ist mit den Erklärungs­versuchen unzufriede­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und andere europäisch­e Spitzenpol­itiker sind ohnehin unbeeindru­ckt von den saudischen Volten. Westliche Rüstungsli­eferungen an die Saudis liegen auf Eis.

Über ihre Anhänger in den Medien ließ die Führung des Königreich­s den Westen wissen, dass etwaige Sanktionen mit einer drastische­n Anhebung der Ölpreise beantworte­t würden. Ein solches Zerwürfnis diene am Ende dem Gegner Iran, meint Sanam Vakil von der Denkfabrik Chatham House.Teheran werde vom saudischen Verhalten im Fall Kaschoggi „geopolitis­ch profitiere­n“, schrieb sie in einer Analyse: Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Westen könnte die internatio­nalen Bemühungen um eine Eindämmung des iranischen Einflusses in Nahost hemmen.

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Foto: dpa Internatio­nal umstritten: der 33 Jahre alte saudische Kronprinz Mohammed bin Salman.

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