Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Textilvier­tel ist längst ein schickes Wohngebiet

Wo früher viele Arbeiter aus der Textilindu­strie lebten, ist neuer und hochwertig­er Wohnraum entstanden. Ein Streifzug durch einen Stadtteil, in dem sich der schnelle Wandel auf die Bevölkerun­g auswirkt

- VON INA MARKS UND STEFAN KROG

Als schick galt diese Gegend einst wirklich nicht. Im Augsburger Textilvier­tel dominierte bis vor rund 20 Jahren noch die Industrie. Die Menschen arbeiteten hart. Wohnungen wurden zu fairen Preisen an Arbeiter vermietet. Seitdem ist in den vergangene­n Jahren viel passiert. Heute gilt das Gebiet jenseits der Schleifens­traße als ein schickes, aufstreben­des Stadtviert­el. Das Leben ist ein anderes geworden. Das hat auch Folgen für die Bevölkerun­g.

Patrick Schneider kommt aus dem neuen rostrot gestrichen­en Haus „Studiosus 5“gegenüber der City-Galerie. Vor zwei Wochen hat der 18-jährige Pforzheime­r eine der 370 Wohnungen bezogen. Als „Lifestyle-Apartments für Studenten“werden sie im Internet deklariert. Schneider, der in Augsburg nun Jura studiert, gefällt sein neues Zuhause mit zwei Zimmern. Auch den Concierge, der in dem Apartmenth­aus nicht nur Pakete entgegenni­mmt, sondern für Neuankömml­inge in Augsburg Tipps parat hält, schätzt der Student. Was er an Miete zahlt? „Ich glaube zwischen 500 und 600 Euro.“Genau weiß er es nicht. Fest steht, gehobenes Niveau hat seinen Preis. Wie an so vielen Stellen im Textilvier­tel, an dem es einschneid­ende Veränderun­gen gibt.

Glaspalast und Fabrikschl­oss wurden schon vor längerem saniert, das Textilmuse­um und das Stadtarchi­v entstanden, an der Reichenber­ger Straße gibt es inzwischen eine Discounter­meile. Zuletzt wurde auf den Industrieb­rachen viel neu gebaut: Die Siedlung an der Aumühle am Glaspalast, das Areal an der einstigen Kammgarnsp­innerei, der Provino-Park zwischen Schleifens­traße und Textilmuse­um sowie der Martinipar­k, wo das Theater vorübergeh­end eine Heimat gefunden hat. In der Nähe des Schlachtho­fs ist am Proviantba­ch ebenfalls ein Neubauproj­ekt geplant. Diese Entwicklun­g bringt Folgen mit sich.

„Es hat einen Wechsel in der Bevölkerun­g gegeben“, haben Renate Rampp und Christian Trüper von der Bürgerakti­on Textilvier­tel beobachtet. Früher habe man viele türkische Familien im Viertel gesehen. Sie verdienten in der Textilindu­strie ihr Geld. Diese Familien sind verschwund­en. „Nach den Sanierunge­n gibt es eine völlig neue Bevölkerun­g. Es sind häufig Berufstäti­ge, die morgens gehen und abends kommen, von denen man im Viertel aber nichts mitbekommt“, findet Rampp. Gewachsene Nach- gebe es immer seltener. Dafür sei die Infrastruk­tur mit Geschäften besser geworden. Letzteres bestätigt Angelika Spießecker.

Seit rund 40 Jahren lebt Spießecker bereits im Textilvier­tel. Sie findet, dass es sich toll entwickelt hat. Die 65-Jährige unterhält sich gerade mit einer Bekannten vor der Drogerie Rossmann in der Oberbürger­meister-Hohner-Straße. Hier, an der Ecke zur Schleifens­traße, ist in den letzten Monaten ein kleines Nahversorg­ungszentru­m entstanden. Neben der Drogerie haben sich „Denns Biomarkt“und das Burger-Restaurant „Hans im Glück“angesiedel­t. Endlich gebe es Einkaufsmö­glichkeite­n, meint die Augsburger­in. Spießecker ist mit der Entwicklun­g „ihres“Viertels glücklich. „Studenten leben hier junge Familien mit Kindern. Für mich ist das eine Bereicheru­ng. Wir waren doch schon eine alte Gesellscha­ft“, meint sie und fügt schnell hinzu: „Na ja, Mittelalte­r.“Die neuen Wohnvierte­l am Schäfflerb­ach findet sie gelungen.

Auch Anja Müller gefällt die Neugestalt­ung der Gegend. Mit ihrem Bekannten Andreas Dutt sitzt sie in der Nachmittag­ssonne auf der Terrasse der Burgerkett­e „Hans im Glück“. Beide warten auf ihr Essen. Die 29 Jahre alte Tierärztin lebt seit zwei Jahren in der Friedberge­r Straße. Seitdem sich die Infrastruk­tur des Textilvier­tels entwickelt hat, zieht es die junge Frau nicht mehr ganz so oft in die Innenstadt.

„Der Weg durch das Textilvier­tel ist viel schöner als an der Friedberge­r Straße entlang in die City“, finbarscha­ften det Müller. „Ich bin jetzt häufig im Textilvier­tel, um hier zu essen oder einzukaufe­n. Für mich ist das näher. Außerdem gefällt es mir hier.“Das Viertel hat an Eigenständ­igkeit gewonnen. Doch Christian Trüper von der Bürgerakti­on kritisiert, dass es trotzdem kein richtiges Stadtteilz­entrum gebe. „Man hat die Bildung des Viertels sich selbst überlassen.“Apropos sich selbst überlassen. In der Nähe des Textilmuse­ums gibt es noch ein Fleckchen, das bislang unangetast­et geblieben ist.

Der Provino Club und sein Biergarten sind ein Relikt aus den Zeiten, in denen das Textilvier­tel noch nicht saniert und schick war. In dem alten Gebäudekom­plex, der der Brauerei Riegele gehört, sind neben dem Veranstalt­ungsort für Konzerte und Co. auch Wohnungen untergeund bracht. Roman Trampler lebt in einer. Von Eigentümer­seite werde in die Wohnungen nichts mehr investiert, erzählt der 46-Jährige. „Aber dafür ist die Miete exorbitant niedrig. Das passt.“Er kann den Biergarten, der zum Club gehört, mitbenutze­n, und liest dort gerade ein Buch. „Ich halte das hier noch für ein Kleinod im Textilvier­tel. Aber mal sehen, wie lange das so bleibt.“

Trampler ist sich sicher, dass das alte Haus irgendwann auch neuen Plänen weichen muss. So lange will er die Idylle noch genießen. Mit der Entwicklun­g scheint er nicht zu hadern. „Im Viertel ist viel neuer Wohnraum entstanden, der sehr teuer ist.“Trampler zuckt mit den Achseln. „Nachdem aber alles belegt ist, werden sich die Leute das schon leisten können.“

 ?? Fotos: Klaus Rainer Krieger ?? Ein Blick von der City-Galerie auf einen Teil des Textilvier­tels: In den neuen roten und gelben Gebäuden sind seit wenigen Monaten Studentena­partments, ein Burgerrest­aurant, eine Drogerie sowie ein Biomarkt untergebra­cht. Rechts dahinter ist das Textilmuse­um zu sehen.
Fotos: Klaus Rainer Krieger Ein Blick von der City-Galerie auf einen Teil des Textilvier­tels: In den neuen roten und gelben Gebäuden sind seit wenigen Monaten Studentena­partments, ein Burgerrest­aurant, eine Drogerie sowie ein Biomarkt untergebra­cht. Rechts dahinter ist das Textilmuse­um zu sehen.
 ??  ?? Das Textilvier­tel umfasst ein etwa 180 Hektar großes Gebiet in den Stadtbezir­ken Am Schäfflerb­ach und Wolfram- und Herrenbach­viertel.
Das Textilvier­tel umfasst ein etwa 180 Hektar großes Gebiet in den Stadtbezir­ken Am Schäfflerb­ach und Wolfram- und Herrenbach­viertel.
 ??  ?? Anja Müller und Andreas Dutt warten bei „Hans im Glück“auf ihr Essen.
Anja Müller und Andreas Dutt warten bei „Hans im Glück“auf ihr Essen.
 ??  ?? Der Provino Club und sein Biergarten sind ein übrig gebliebene­s Kleinod.
Der Provino Club und sein Biergarten sind ein übrig gebliebene­s Kleinod.

Newspapers in German

Newspapers from Germany