Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Ein deutliches Zeichen gegen Kindergewalt
Gersthofer Gedenkstätte für getötete, misshandelte und vermisste Kinder wird unter großer Anteilnahme enthüllt. Sie soll Trost spenden, aber auch anklagen
Berührend, emotional und aufrüttelnd, aber auch anklagend: Die Gedenkstätte für getötete, misshandelte, missbrauchte und vermisste Kinder – nahe der Kapelle der Gersthofer Kolpingsfamilie an der Berliner Straße – gibt den jungen Gewaltopfern fortan eine Stimme, die ihnen versagt geblieben ist.
Allein in Bayern wurden letztes Jahr 26 Kinder ermordet, in ganz Deutschland 143. An der Gedenkstätte – ein Pendant zum in Oberstdorf errichteten Erinnerungsstein – sollen Betroffene und Hinterbliebene ihren Schmerz und ihre Trauer, ihre verlorene Kindheit und die Wut über die bleibenden Wunden ablegen können. „Der Gedenkstein rüttelt wach“, sagte die Vorsitzende des Opferschutzvereins Sicheres Leben, Gabriele Schmidthals-Pluta.
Bürgermeister Michael Wörle betonte, mit dem Mord an Vanessa sei die Stadtgemeinschaft gebrandmarkt worden. Vor zehn Jahren habe eine Mutter ihre zwei jüngsten Kinder in der Badewanne ertränkt.
Landrat Martin Sailer sah im Stein Solidarität mit den Opfern und deren Angehörigen und auch Mahnung. Mit der Gedenkstätte stehe Gersthofen nun in einer Linie mit Amsterdam, Madrid und London, bekundete der Sprecher für Kriminalprävention, Opferschutz und Prävention im Vorstand des Bundes der Deutschen Kriminalbeamten, Hermann-Josef Borjans aus Bonn.
Der Duisburger Kinder- und Jugendarzt und Mitinitiator der Risikokinderdatei RISKID Ralf Kownatzki forderte eine gesetzliche Regelung, die Ärzten ermöglicht, sich über ihre Befunde bei Verdachtsfällen von Kindesmisshandlung gegenseitig zu informieren. „Nach aktueller Rechtslage ist dies strafbar“, sagte er vor rund 200 ungläubigen Einweihungsgästen.
Werner Ostermöller – er ergriff für seinen gesundheitlich angeschlagenen Vater Lothar, dem Ideengeber des Gedenksteins und langjährigen Vorsitzenden des Vereins Sicheres Leben, das Wort – machte aufmerksam, dass Kinder in allen Bevölkerungsschichten täglich sexuell missbraucht und ihre Signale oft falsch gedeutet werden. Dabei sei die Dunkelziffer zehn- bis zwanzigmal so hoch.
Der Kemptener Steinmetz Thilo Probst, der bereits die Skulptur in Oberstdorf gestaltet hatte, erläuterte, der Riss im Stein spiegle die Zerrissenheit der Opfer wider, die einem fallenden Kind entgegengestreckten Arme eines Erwachsenen symbolisieren Hilfe und Schutz.
Die Segnung der Gedenkstätte nahmen Pfarrer Ralph Gössl und Dekan Stefan Blumtritt vor. Die Geistlichen konfrontierten die Gäste mit drastischen Fällen von Kindesmissbrauch und -tötung. Musikalisch umrahmt wurde die Feier von Klaus Jansen sowie Kindern der Goethe-, Franziskus- und Musikschule. Zum Ausklang stimmte Barbara Seiler das gefühlvolle „Testify to love“an. Während des Liedes stiegen unzählige herzförmige Luftballons in den Himmel.
Über die symbolische Geste freuten sich vor allem Ramona und Erich Gilg aus Gersthofen sowie Anette und Detlef Lehmann aus Göttingen. Sie alle verloren ihre Tochter durch einen Mord. Die zwölfjährige Vanessa Gilg starb durch unzählige Messerstiche. Die 17-jährige Denise Lehmann wurde nach einer Disco-Veranstaltung mit schweren Kopfverletzungen tot aufgefunden. Das Leid der Angehörigen sei lebenslänglich, so Anette Lehmann gegenüber unserer Zeitung. Schmidthals-Pluta appellierte an die Bevölkerung, das Thema Gewalt gegen Kindern nicht zu tabuisieren. Für alle Anwesenden gab es am Schluss noch ein Präsent: Ein kleiner Schutzengel, der vor Leid, Not und Unglück bewahren soll.