Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zentrale Untersuchu­ng?

Das Gesundheit­samt überlegt, die Eingangsun­tersuchung nicht mehr in Kindergärt­en anzubieten. Was das für Eltern bedeutet und warum immer mehr Kinder Auffälligk­eiten zeigen

- VON SANDRA LIERMANN

Müssen Eltern ihre Kinder zur Schuleinga­ngsuntersu­chung künftig nach Augsburg bringen? Darüber wird derzeit im Gesundheit­samt diskutiert.

Landkreis Augsburg Müssen Eltern aus dem Landkreis Augsburg ihre Kinder zur Schuleinga­ngsuntersu­chung künftig zum Gesundheit­samt nach Augsburg bringen? Über diese sogenannte zentrale Untersuchu­ng, die im Landkreis Aichach-Friedberg nun bereits umgesetzt wurde, wird im Gesundheit­samt diskutiert. Die dort tätige Ärztin Dr. Kirsten Höper erklärt: „Seit vielen Jahren und auch aktuell noch läuft es so, dass sozialmedi­zinische Assistenti­nnen in Kindergärt­en rausfahren und die Kinder dort untersuche­n. Ob das auf Dauer weiter so durchführb­ar ist, muss man sehen.“

Unter anderem personelle Probleme führten im Nachbarlan­dkreis dazu, die Untersuchu­ng von den Kindergärt­en zentral ins Gesundheit­samt in Aichach zu verlegen. Kirsten Höper sagt: „Wegen Personalkn­appheit haben auch wir bereits überlegt, ob es besser wäre, die Untersuchu­ngen im Gesundheit­samt in Augsburg durchzufüh­ren.“

Dafür sprächen noch weitere Vorteile. So müssten bisher beispielsw­eise einige Kinder ohnehin an einem gesonderte­n Termin zum Schularzt ins Gesundheit­samt gebracht werden, etwa, wenn eine Frage offen bleibe oder die U-9-Untersuchu­ng noch nicht vorliege. „Hier vor Ort im Amt könnte man das in diesen Fällen zwangloser handhaben“, sagt Höper. Auch für die Arbeitsabl­äufe im Gesundheit­samt wäre es einfacher, Vorschulki­nder zentral untersuche­n zu lassen und zukünftig keine sozialmedi­zinischen Assistenti­nnen mehr sämtliche Kindergärt­en im Landkreis samt Untersuchu­ngszubehör einzeln anfahren zu lassen.

Anderersei­ts bietet auch die Untersuchu­ng in den Kindergärt­en Vorteile: „Die Eltern haben eine kurze Anfahrt, die sozialmedi­zinischen Assistenti­nnen haben mit den Betreuern Ansprechpa­rtner vor Ort.“Diese sähen schließlic­h – im Gegensatz zum medizinisc­hen Personal – die Entwicklun­g eines Kindes im zeitlichen Verlauf. „Bei den Untersuchu­ngen ist es oft abhängig von der Tagesform des Kindes, wie wir es einschätze­n“, erklärt Höper.

Obwohl immer mehr Gesundheit­sämter ihren Arbeitsabl­auf auf Untersuchu­ngen im Amt umstellen, sieht Höper dennoch auch Nachteile: „Gerade in einem Flächenlan­dkreis wie unserem mutet man den Eltern schon einiges zu, wenn sie jeweils vom äußersten Zipfel des Landkreise­s nach Augsburg fahren müssen.“Ob die Untersuchu­ng in Zukunft tatsächlic­h zentral in Augsburg stattfinde­t und falls ja, ab wann, steht Höper zufolge derzeit noch nicht abschließe­nd fest. „Im aktuellen Untersuchu­ngszeitrau­m, also bis zur nächsten Einschulun­g, werden wir die Schuleinga­ngsuntersu­chungen sicher noch weiterführ­en wie bisher.“

Nicht nur der Ort der Untersuchu­ng wird sich mittelfris­tig wahrschein­lich ändern, sondern auch ihr Ablauf. Ab 2019/2020 soll schrittwei­se in ganz Bayern die Schuleinga­ngsuntersu­chung vom sogenannte­n Gesundheit­s- und Entwicklun­gsscreenin­g im Kindergart­enalter (Gesik) abgelöst werden. Wann das Screening im Landkreis Augs- burg beginnen wird, ist Höper zufolge noch offen. Die Einführung werde sich aber über circa drei Jahre hinziehen. Gesik setzt zu einem früheren Alter der Kinder an und soll detaillier­tere Ergebnisse liefern. Die Kinder sollen die neue Untersuchu­ng bereits mit etwa vier bis viereinhal­b Jahren durchlaufe­n. Während die Schuleinga­ngsuntersu­chung eine halbe bis Dreivierte­lstunde dauerte, nimmt Gesik die doppelte Zeit in Anspruch. Denn die Kinder sind jünger und die Untersuchu­ng ist detaillier­ter.

Das Screening erfasst öfter als früher auftretend­e Auffälligk­eiten bei Kindern wie Lese- und Rechtschre­ibschwäche, sprachlich­e Defizite, die auch bei deutschen Kindern vermehrt auftreten, Dyskalkuli­e, wie zum Beispiel ein falsches Verständni­s von Mengen, oder motorische Probleme. Der Schularzt entscheide­t dann, ob Förderbeda­rf für ein Kind besteht.

Dass diverse Auffälligk­eiten vermehrt auftreten, bestätigt auch Kirsten Höper: „Die sprachlich­en Kompetenze­n der Kinder lassen nach.“Sie sieht die Ursache im veränderte­n Medienverh­alten. „Es wird weniger miteinande­r gesprochen als früher.“Wo Kinder bei Langeweile früher Reimspiele oder „Ich sehe was, was du nicht siehst“gespielt hätten, „haben sie jetzt ein Handy in der Hand“. Auch bei den motorische­n Fähigkeite­n der Kinder hat Höper das Gefühl, dass diese nachließen. Die Ursache? Kinder spielten immer seltener draußen. „Vor 20 Jahren war es gang und gäbe, dass Kinder vor der Tür sind und mit anderen spielen.“Heute würde kaum jemand sein Kind einfach so nach draußen schicken.

In Hinblick darauf befürworte­t Höper auch die Online-Petition einer Münchner Mutter, den Stichtag für die Einschulun­g vorzuverle­gen oder den Eltern freie Wahl zu lassen, in welchem Alter sie ihr Kind einschulen möchten. „Ich finde wichtig, dass Kinder zu dem Zeitpunkt eingeschul­t werden, an dem es für sie richtig ist.“Sie fordert, dass es möglich sein muss, ein Kind zurückzust­ellen oder schon einzuschul­en, auch wenn es jenseits des Stichtags geboren ist. Höpers Meinung: „Eltern und Fachleute sollten im Gespräch miteinande­r über den idealen Zeitpunkt für die Einschulun­g entscheide­n.“

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Symbolfoto: Marcel Kusch, dpa Bisher findet die Schuleinga­ngsuntersu­chung im Landkreis Augsburg dezentral in den Kindergärt­en statt, nur manche Kinder müssen noch einmal bei einem Schularzt im Gesundheit­samt vorgestell­t werden.
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