Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Zentrale Untersuchung?
Das Gesundheitsamt überlegt, die Eingangsuntersuchung nicht mehr in Kindergärten anzubieten. Was das für Eltern bedeutet und warum immer mehr Kinder Auffälligkeiten zeigen
Müssen Eltern ihre Kinder zur Schuleingangsuntersuchung künftig nach Augsburg bringen? Darüber wird derzeit im Gesundheitsamt diskutiert.
Landkreis Augsburg Müssen Eltern aus dem Landkreis Augsburg ihre Kinder zur Schuleingangsuntersuchung künftig zum Gesundheitsamt nach Augsburg bringen? Über diese sogenannte zentrale Untersuchung, die im Landkreis Aichach-Friedberg nun bereits umgesetzt wurde, wird im Gesundheitsamt diskutiert. Die dort tätige Ärztin Dr. Kirsten Höper erklärt: „Seit vielen Jahren und auch aktuell noch läuft es so, dass sozialmedizinische Assistentinnen in Kindergärten rausfahren und die Kinder dort untersuchen. Ob das auf Dauer weiter so durchführbar ist, muss man sehen.“
Unter anderem personelle Probleme führten im Nachbarlandkreis dazu, die Untersuchung von den Kindergärten zentral ins Gesundheitsamt in Aichach zu verlegen. Kirsten Höper sagt: „Wegen Personalknappheit haben auch wir bereits überlegt, ob es besser wäre, die Untersuchungen im Gesundheitsamt in Augsburg durchzuführen.“
Dafür sprächen noch weitere Vorteile. So müssten bisher beispielsweise einige Kinder ohnehin an einem gesonderten Termin zum Schularzt ins Gesundheitsamt gebracht werden, etwa, wenn eine Frage offen bleibe oder die U-9-Untersuchung noch nicht vorliege. „Hier vor Ort im Amt könnte man das in diesen Fällen zwangloser handhaben“, sagt Höper. Auch für die Arbeitsabläufe im Gesundheitsamt wäre es einfacher, Vorschulkinder zentral untersuchen zu lassen und zukünftig keine sozialmedizinischen Assistentinnen mehr sämtliche Kindergärten im Landkreis samt Untersuchungszubehör einzeln anfahren zu lassen.
Andererseits bietet auch die Untersuchung in den Kindergärten Vorteile: „Die Eltern haben eine kurze Anfahrt, die sozialmedizinischen Assistentinnen haben mit den Betreuern Ansprechpartner vor Ort.“Diese sähen schließlich – im Gegensatz zum medizinischen Personal – die Entwicklung eines Kindes im zeitlichen Verlauf. „Bei den Untersuchungen ist es oft abhängig von der Tagesform des Kindes, wie wir es einschätzen“, erklärt Höper.
Obwohl immer mehr Gesundheitsämter ihren Arbeitsablauf auf Untersuchungen im Amt umstellen, sieht Höper dennoch auch Nachteile: „Gerade in einem Flächenlandkreis wie unserem mutet man den Eltern schon einiges zu, wenn sie jeweils vom äußersten Zipfel des Landkreises nach Augsburg fahren müssen.“Ob die Untersuchung in Zukunft tatsächlich zentral in Augsburg stattfindet und falls ja, ab wann, steht Höper zufolge derzeit noch nicht abschließend fest. „Im aktuellen Untersuchungszeitraum, also bis zur nächsten Einschulung, werden wir die Schuleingangsuntersuchungen sicher noch weiterführen wie bisher.“
Nicht nur der Ort der Untersuchung wird sich mittelfristig wahrscheinlich ändern, sondern auch ihr Ablauf. Ab 2019/2020 soll schrittweise in ganz Bayern die Schuleingangsuntersuchung vom sogenannten Gesundheits- und Entwicklungsscreening im Kindergartenalter (Gesik) abgelöst werden. Wann das Screening im Landkreis Augs- burg beginnen wird, ist Höper zufolge noch offen. Die Einführung werde sich aber über circa drei Jahre hinziehen. Gesik setzt zu einem früheren Alter der Kinder an und soll detailliertere Ergebnisse liefern. Die Kinder sollen die neue Untersuchung bereits mit etwa vier bis viereinhalb Jahren durchlaufen. Während die Schuleingangsuntersuchung eine halbe bis Dreiviertelstunde dauerte, nimmt Gesik die doppelte Zeit in Anspruch. Denn die Kinder sind jünger und die Untersuchung ist detaillierter.
Das Screening erfasst öfter als früher auftretende Auffälligkeiten bei Kindern wie Lese- und Rechtschreibschwäche, sprachliche Defizite, die auch bei deutschen Kindern vermehrt auftreten, Dyskalkulie, wie zum Beispiel ein falsches Verständnis von Mengen, oder motorische Probleme. Der Schularzt entscheidet dann, ob Förderbedarf für ein Kind besteht.
Dass diverse Auffälligkeiten vermehrt auftreten, bestätigt auch Kirsten Höper: „Die sprachlichen Kompetenzen der Kinder lassen nach.“Sie sieht die Ursache im veränderten Medienverhalten. „Es wird weniger miteinander gesprochen als früher.“Wo Kinder bei Langeweile früher Reimspiele oder „Ich sehe was, was du nicht siehst“gespielt hätten, „haben sie jetzt ein Handy in der Hand“. Auch bei den motorischen Fähigkeiten der Kinder hat Höper das Gefühl, dass diese nachließen. Die Ursache? Kinder spielten immer seltener draußen. „Vor 20 Jahren war es gang und gäbe, dass Kinder vor der Tür sind und mit anderen spielen.“Heute würde kaum jemand sein Kind einfach so nach draußen schicken.
In Hinblick darauf befürwortet Höper auch die Online-Petition einer Münchner Mutter, den Stichtag für die Einschulung vorzuverlegen oder den Eltern freie Wahl zu lassen, in welchem Alter sie ihr Kind einschulen möchten. „Ich finde wichtig, dass Kinder zu dem Zeitpunkt eingeschult werden, an dem es für sie richtig ist.“Sie fordert, dass es möglich sein muss, ein Kind zurückzustellen oder schon einzuschulen, auch wenn es jenseits des Stichtags geboren ist. Höpers Meinung: „Eltern und Fachleute sollten im Gespräch miteinander über den idealen Zeitpunkt für die Einschulung entscheiden.“