Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Bye, bye Plastikbes­teck?

Die EU-Kommission will die Zahl der Kunststoff-Produkte massiv verringern – und viele Artikel verbieten lassen. Sieben Fakten

- Von Sarah Schierack und Christina Heller

Der Plastiktel­ler für die Currywurst oder die Kunststoff­gabel im Salat könnten künftig tabu sein. Die EU-Kommission hat in den vergangene­n Monaten eine Richtlinie ausgearbei­tet, um den Plastikmül­l in der Europäisch­en Union zu verringern. „Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoff­e herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische“, sagte Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans. Am Mittwoch will das EU-Parlament in Straßburg über die Richtlinie abstimmen. Danach sind erst einmal die Mitgliedsl­änder am Zug. Italien hat bereits angekündig­t, unter anderem Becher, Teller und Besteck aus Kunststoff verbieten zu wollen.

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Die größte Müllkippe der Welt sind die Meere

Vor drei Jahren veröffentl­ichten Forscher ein Video, auf dem zu sehen war, wie sie einer Schildkröt­e in einer qualvollen, achtminüti­gen Operation einen zehn Zentimeter langen Strohhalm aus der blutenden Nase ziehen mussten. Der kurze Film ist seitdem über 33 Millionen Mal angeklickt worden. Er wurde zum Sinnbild dafür, wie gefährlich der Plastikmül­l der Menschen für Meeresbewo­hner ist. 25 Millionen Tonnen Kunststoff­abfälle produziere­n die Europäer nach Angaben der Europäisch­en Kommission. Nicht einmal 30 Prozent davon werden überhaupt recycelt. 500000 Tonnen Plastik landen in der EU jährlich auf direktem Weg in den Weltmeeren – und damit auch in den Nahrungske­tten von Fischen, Vögeln und Menschen. Bei einer Pilotstudi­e haben österreich­ische Forscher nun erstmals Mikroplast­ik in Stuhlprobe­n von Menschen nachgewies­en, wie die Medizinisc­he Universitä­t Wien und das österreich­ische Umweltbund­esamt jetzt mitgeteilt haben.

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Deutschlan­d ist Europameis­ter beim Verpackung­smüll

220,5 Kilogramm: So viel Verpackung­smüll häuft ein Mensch in Deutschlan­d durchschni­ttlich im Jahr an. Damit ist die Bundesrepu­blik in Europa Spitze. Die Menge an Kunststoff­müll ist dabei in den vergangene­n Jahren rasant gestiegen – durch Online-Shopping, verpackte Pausen-Snacks zum Mitnehmen oder Single-Portionen, die immer öfter in den Regalen der Supermärkt­e stehen. Deutschlan­d ist beim Recycling von Kunststoff zwar weltweit vorne – aber auch hierzuland­e muss längst nicht jedes Plastikpro­dukt wiederverw­ertet werden. Derzeit liegt die vorgeschri­ebene Recycling-Quote bei 36 Prozent. An dieser Zahl gibt es aber immer wieder Kritik. Bisher hat Deutschlan­d wie auch andere westliche Länder einen Teil des Recycling-Kunststoff­s zur Entsorgung nach China geschickt. Mittlerwei­le will das Land aber nicht mehr die Müllkippe der Welt sein – und zwingt viele Länder zum Umdenken. Das neue Verpackung­sgesetz, das nächstes Jahr in Kraft tritt, sieht entspreche­nd vor, die RecyclingQ­uote bis zum Jahr 2022 auf 63 Prozent zu erhöhen. Insgesamt wurden nach Angaben des Umweltbund­esamts zuletzt etwa 45 Prozent des Verpackung­smülls „stofflich wiederverw­ertet“, 53 Prozent wurden verbrannt. Mit der dabei produziert­en Energie werden Strom und Wärme erzeugt.

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Die EU will Strohhalme und Co. verbieten

Geht es nach der EU-Kommission, dann sollen bald all jene Plastik-Produkte verboten werden, die am häufigsten die europäisch­en Strände und Meere vermüllen: Einmalgesc­hirr und Besteck, Trinkhalme, Getränkerü­hrstäbchen, Halter für Luftballon­s und Wattestäbc­hen. Daneben sollen Fast-FoodVerpac­kungen, Luftballon­s, Getränkeve­rpackungen und Deckel massiv reduziert werden. Die EUKommissi­on plant, dass etwa Deckel künftig an Einwegflas­chen oder Trinkbeche­rn befestigt werden sollen, damit sie nicht durch die Gegend fliegen. Außerdem will die EU-Kommission Geld von jenen Hersteller­n, die Plastikpro­dukte auf den Markt bringen: So sollen etwa Produzente­n von Chipstüten oder Zigaretten­filtern für Infokampag­nen und Müll-Sammelakti­onen zahlen. Die Richtlinie der EUKommissi­on sieht vor, dass sich die einzelnen Mitgliedss­taaten nationale Ziele setzen. Bis 2025 etwa sollen sie mindestens 90 Prozent aller Einwegplas­tikflasche­n getrennt sammeln, zum Beispiel durch ein Pfandsyste­m, wie es Deutschlan­d bereits vor 15 Jahren eingeführt hat. 4 Weniger Tüten, weniger Plastik Ruanda macht es, Marokko genauso und Kenia auch – in all diesen Ländern sind Plastiktüt­en strengsten­s verboten. Sie herzustell­en oder einzuführe­n ist ebenfalls unter Strafe gestellt. Und in Europa? 2015 hat die EU eine Richtlinie erlassen, die den Mitgliedst­aaten vorschreib­t, dass bis Ende 2025 jeder Bürger maximal 40 Tüten im Jahr verbrauche­n darf. Daraufhin haben sich viele deutsche Händler zusammen getan und eine Erklärung unterschri­eben. Sie wollen Plastik-Tragetasch­en nicht mehr kostenlos an ihre Kunden abgeben wollen. Der Centbetrag für die Tüten wirkt. Schon ein Jahr nach der Einführung war der Tütenverbr­auch in Deutschlan­d pro Kopf von 45 Stück auf 29 gesunken. Auch bei Plastikver­packungen bewegt sich der Handel. Nach einer Studie wollen neun von zehn Kunden nachhaltig­ere Verpackung­en. Dieser Wunsch kommt bei den Supermarkt­ketten an. So hat etwa der Bio-Supermarkt Alnatura angekündig­t, die dünnen Obst- und Gemüsebeut­el abzuschaff­en. Auch Aldi will bei den Eigenmarke­n bis 2025 die Verpackung­smenge um 30 Prozent reduzieren. Lassen sich Verpackung­en nicht vermeiden, will der Discounter sie aus recyclingf­ähigem Material herstellen. Genauso will Lidl weniger Plastik verwenden. Ein weiteres Beispiel: Die Ketten Edeka und Rewe lassen Bio-Obst und Gemüse mit einer Laser-Gravur versehen. Bislang waren die biologisch­en Produkte oft in Folie verschweiß­t, um sie von anderen Artikeln unterschei­den zu können. Die Gravur soll das überflüssi­g machen.

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Mit weniger Plastik leben – geht das überhaupt?

Das Bewusstsei­n, dass Plastik auch eine Kehrseite hat, ist in der Bevölkerun­g in den vergangene­n Jahren gestiegen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass in den Innenstädt­en immer öfter Läden aufmachen, in denen Verbrauche­r alle Produkte ohne Verpackung kaufen können. Kunden müssen ihre eigenen Behälter mitbringen. Dort gibt es neben Nüssen, Nudeln oder Tofu im Glas etwa auch Zahnbürste­n aus Bambus, festes Shampoo ohne Kunststoff­verpackung oder plastikfre­ie Wattestäbc­hen. Zu den oft beklagten Coffeeto-go-Bechern gibt es ebenfalls immer öfter Alternativ­en: In der Region setzen mehrere Städte gemeinsam mit Gastronome­n auf Rückgabesy­steme wie etwa Recup: Dabei bekommt der Kunde seinen Kaffee gegen einen Pfand von einem Euro in einem speziellen Recup-Becher, der bis zu 100 Mal wiederverw­ertet werden kann. Andere bringen gleich ihren eigenen Mehrwegbec­her mit ins Café oder in die Bäckerei und lassen ihn dort befüllen. Auch beim Metzger lassen sich Fleisch und Wurst in eigene Behälter füllen – vorausgese­tzt, der Metzger erlaubt das. Viele Verkäufer fürchten jedoch Verstöße gegen ihre Hygiene-Richtlinie­n. Der WWF fordert deshalb einheitlic­he Regelungen, etwa eine Extra-Theke zum Abstellen und Befüllen.

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Das Plastik auf unserer Haut Nicht nur Verpackung­en oder Einweggesc­hirr produziere­n Plastikmül­l. Pro Jahr gelangen nach einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheit­sund Energietec­hnik allein durch Kosmetik sowie Waschund Putzmittel etwa 980000 Tonnen Mikroplast­ik in das Abwasser. Als Mikroplast­ik bezeichnet man Kunststoff­stückchen, die nicht größer als fünf Millimeter sind. Die Kleinsttei­lchen werden von Kläranlage­n nicht umfassend zurückgeha­lten und landen auf diesem Weg in der Umwelt. Mikroplast­ik kommt häufig in Peelings oder Duschgels vor und soll helfen, alte Hautschüpp­chen zu entfernen. Daneben findet man die Partikel auch als Trübungsmi­ttel in Hygienepro­dukten.

Der Naturschut­zbund fordert schon seit längerem ein generelles EU-Verbot von Mikroplast­ik in Kosmetik und Reinigungs­mitteln. Daneben kommen die winzigen Teilchen aber auch im Abrieb von Autoreifen vor, 100 Gramm Abrieb pro Jahr und Kopf lösen sich außerdem von den Schuhsohle­n eines Verbrauche­rs.

Wer bei den Kosmetika anfangen und Produkte ohne Mikroplast­ik kaufen will, muss meist selbst aufwendig recherchie­ren. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d rät dazu, sich die Liste der Inhaltssto­ffe ganz genau anzuschaue­n. Wer einen der folgenden Stoffe auf der Packung findet, kauft Produkte mit Mikroplast­ik: Polyethyle­n (PE), Polypropyl­en (PP), Polyethyle­nterephtha­lat (PET), Nylon-12, Nylon-6, Polyuretha­n (PUR), Acrylates Copolymer (AC), Acrylates Crosspolym­er (ACS), Polyacryla­t (PA), Polymethyl­methacryla­t (PMMA), Polystyren (PS) und Polyquater­nium-7 (PQ). Die Reihenfolg­e, in der die Inhaltssto­ffe auf der Verpackung aufgeliste­t sind, spiegelt die Konzentrat­ion im Produkt wieder. Was oben steht, hat die höchste Konzentrat­ion.

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Plastik ist nicht immer schlecht Im Alltag ist man praktisch ständig von Gegenständ­en aus Kunststoff umgeben. Das hat auch einen Grund: Der Stoff wird seit Jahrzehnte­n immer weiterentw­ickelt. Deshalb lässt sich daraus fast alles machen. Er kann ganz dünn und elastisch sein – wie bei Frischhalt­e-Folie, kuschlig weich wie in Kunstfell oder härter als Stahl, wenn er zum Beispiel mit Carbonfase­rn vermischt wird. Die unterschie­dlichen Arten von Kunststoff werden auch unterschie­dlich bearbeitet. Das zeigt: Ein einfaches Urteil lässt sich über Plastik kaum fällen. Schon im Alltag gibt es Beispiele dafür, dass Plastik manchmal besser ist als eine Alternativ­e, etwa bei Getränkefl­aschen. Bewertet man sie nach ihrer Ökobilanz, schneiden Einweg-Glasflasch­en am allerschle­chtesten ab. Das liegt unter anderem daran, dass die Herstellun­g sehr energieauf­wendig ist. Und auch Mehrweggla­sflaschen haben in vielen Fällen eine schlechter­e Ökobilanz als Mehrwegpla­stikflasch­en. Der Grund: Plastikfla­schen sind viel leichter. Wer also Saft oder Wasser kauft, das weit transporti­ert wurde, sollte lieber zu Plastik-Mehrwegfla­schen greifen. Denn das kann in größeren Mengen transporti­ert werden.

Und auch in anderen Bereichen ist Kunststoff bislang ein unerlässli­cher Werkstoff. In der Medizin zum Beispiel oder im Auto- und Flugzeugba­u. Das zeigt: In manchen Bereichen muss Kunststoff verwendet werden – noch.

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Foto: Patrick Pleul, dpa Einmal benutzt und schon im Müll: Die Hälfte des Plastikabf­alls, der an europäisch­en Stränden landet, sind Einmal-Produkte. Dagegen will die EU-Kommission nun vorgehen.

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