Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Die Kirche kann sich nicht versündige­n“

Geistliche schildern in Maria Vesperbild, wo sie den Ursprung der sexuellen Missbrauch­sfälle sehen. Sie wittern eine Kampagne

- VON CHRISTIAN GALL

Ziemetshau­sen „Es ist ein Thema, das unangenehm und peinlich ist“, sagte Erwin Reichart, der Wallfahrts­direktor von Maria Vesperbild, zu Beginn der Aussprache über sexuellen Missbrauch in der Kirche. Die Wallfahrts­direktion hatte dazu eingeladen unter dem Titel „Kann man den Priestern und der Kirche überhaupt noch trauen?“Rund 40 Leute waren dieser Einladung gefolgt – im Schnitt ein älteres Publikum, junge Leute kamen kaum.

Pfarrer Wilhelm Meir hielt dazu einen Vortrag. Er stellte klar, dass sich einzelne Priester mit ihrem Verhalten schwer versündige­n. „Doch die Kirche ist heilig und kann sich nicht versündige­n“, sagte Meir. Wenn ein Priester also eine schwere Untat wie einen sexuellen Missbrauch begeht, dann sei er kein Teil der heiligen Kirche mehr.

Der Pfarrer machte in seinem Vortrag klar, dass er eine Ursache für sexuellen Missbrauch in der Kirche in der Liberalisi­erung der Priesterau­sbildung sieht: „Die absolute Wahrheit des Glaubens und der Kirche wird dort infrage gestellt.“Verschiede­ne Aspekte des Glaubens würden Meir zufolge an Universitä­ten unterschie­dlich interpreti­ert. Als Beispiel führte er die Homosexual­ität an: „In der Bibel steht eindeutig, wie es mit Sodom und Gomorra ausgegange­n ist – mit der Zerstörung der lasterhaft­en Stadt.“Durch eine liberalere Auslegung entstehe der Eindruck, dass es keine feststehen­den Glaubenssä­tze mehr gibt. „Wenn etwa auf einer Synode die Aussage getroffen wird, dass auch Homosexuel­le Teil der Kirche sind, führt das die Priester auf Abwege“, sagte Meir. Allerdings lässt sich zu diesem Thema ein Wandel in der katholisch­en Kirche verfolgen. Papst Franziskus etwa sorgte 2013 für Aufsehen mit der Aussage: „Wenn eine Person homosexuel­l ist und Gott sucht und guten Willens ist, wer bin ich, über ihn zu richten?“Wallfahrts­direktor Reichart schloss sich den Aussagen Meirs an: „An Universitä­ten gibt es Professore­n, bei denen es nicht so genau zugeht, etwa beim sechsten Gebot. So kommt es dann zum Missbrauch.“

Doch nicht nur die Liberalisi­erung der Priesterau­sbildung wurde bemängelt, auch die Liberalisi­erung der Gesellscha­ft. Wallfahrts­direktor Reichart zufolge gebe es einen allgemeine­n moralische­n Niedergang, der auch Priester erfassen könne: „Es gibt Pfarreien, in denen klatschen die Gottesdien­stbesucher, wenn sich der Priester liberal gibt. Das ist dann eine arme Pfarrei.“Immerhin stehe auch ein Priester in der Gesellscha­ft und könne deshalb von ihr negativ beeinfluss­t werden. Auch auf den Zölibat kam die Sprache. „In der Diskussion über sexuellen Missbrauch wird er oft als Problem gesehen“, sagte Pfarrer Meir. Doch das sei nur der Fall, wenn der Zölibat nicht richtig gelebt wird, nämlich mit Christus an der Seite.

In ihrem Vortrag bezogen sich Reichart und Meir wiederholt auf eine kürzlich von der Deutschen Bischofsko­nferenz veröffentl­ichten Studie über sexuellen Missbrauch in der Kirche. Darin werden zwischen den Jahren 1946 und 2014 insgesamt 1670 Kleriker des Missbrauch­s beschuldig­t. Der Wallfahrts­direktor sagte dazu: „Nur 60 Prozent dieser Fälle sind tatsächlic­h bewiesen, und bei 30 Prozent dieses Anteils geht es nur um unangemess­ene Körperberü­hrungen.“Dennoch sei jeder einzelne Fall zu viel. „Es macht aber einen Unterschie­d, ob tatsächlic­h jemand vergewalti­gt wurde oder nicht“, sagte Reichart.

An den Vortrag schloss sich eine Diskussion zwischen Publikum und den Geistliche­n an. Eine Zuhörerin vertrat die Meinung, dass man über Priester nichts Schlechtes sagen solle. Wallfahrts­direktor Reichart entgegnete, dass eine Aufklärung unumgängli­ch sei, wenn eine Straftat vorliegt. Anders sehe es mit der Veröffentl­ichung der Vorfälle aus. „Wenn man schlecht über einen Pfarrer redet, könnten dadurch Menschen vom Glauben abfallen. Man muss also solche Verbrechen nicht in der Presse kundtun“, sagte Reichart. Er ergänzte, dass er eine Kampagne gegen die Kirche sehe. „Es ist durchaus auch eine Kampagne, wenn man immer wieder über dieses Zeug schreibt.“Ein weiterer Zuhörer äußerte sich kritisch: „Ich habe in meiner Kindheit selbst viel erlebt und wurde von einem Priester grausam gedemütigt. Er hat seine Macht ohne Bedenken ausgespiel­t.“Reichart antwortete, dass es sich dabei dann um einen bösen Priester gehandelt habe, und schloss: „Es ist so schwer, katholisch zu sein.“

 ?? Foto: Christian Gall ?? Pfarrer Wilhelm Meir (links) und Maria Vesperbild­s Wallfahrtd­irektor Erwin Reichart luden zu einer Diskussion­srunde zum Thema „Missbrauch in der Kirche“ein.
Foto: Christian Gall Pfarrer Wilhelm Meir (links) und Maria Vesperbild­s Wallfahrtd­irektor Erwin Reichart luden zu einer Diskussion­srunde zum Thema „Missbrauch in der Kirche“ein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany