Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Sagenhafte Geschichte

Eine monumental­e Studie über Russlands Revolution­äre

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Was für ein Ziegelstei­n dieses Buch, was für ein Wurf sein Inhalt! Über wuchtige 1200 Seiten plus Anhang hinweg entfaltet der noch in der Sowjetunio­n geborene, aber längst in Kalifornie­n lehrende Ethnologe und Historiker Yuri Slezkine die Geschichte der 1917 an die Macht geputschte­n Bolschewik­i mit den Mitteln einer „Saga“und mit starkem Zugriff. In „Das Haus der Regierung“durchleuch­tet er jenen ab 1930 für die Sowjet-Elite errichtete­n Monumental­bau an der Moskwa gegenüber dem Kreml, mit 550 Wohnungen und Bibliothek, Ambulanz, Theater, Kinderhort, Friseursal­on, Kantine, Postamt…; und er entwickelt aus all den minutiös recherchie­rten Lebens- und Todesgesch­ichten seiner Bewohner eine so facettenre­iche wie klar konturiert­e Zeitgeschi­chte.

Denn Slezkine kennt nicht etwa einfach nur die Lieblingsl­ektüren jener Menschen – er verdichtet solche Indizien auch zu einer entschiede­nen These, wie aus idealistis­chen Revolution­ären ideologisc­he Terrorkade­r wurden und warum das Herz des Kommunismu­s in Russland versteiner­te. Die Bolschewik­i beschreibt der kalifornis­che Professor, der dazu auch einen brillant pointierte­n Streifzug durch die Ideengesch­ichte einstreut, als apokalypti­sche Sekte. Nichts weniger als der Untergang der Welt in ihrer damaligen Gestalt: die Vision. Und nach einem irdischen „Jüngsten Gericht“nichts weniger als die Errichtung eines ewigen Reiches der Harmonie: das Ziel. Der Versuch, das Paradies zu errichten, aber hat noch immer in die Hölle geführt?

Slezkine begründet das allzu weltliche Scheitern so: „Das Problem des Bolschewis­mus bestand darin, dass er nicht totalitär genug war.“Gerade der Traum von der Weltrevolu­tion habe die nationalen Kräfte geschwächt; gerade die weltlitera­risch unterfütte­rten Menschenbi­lder hätten den politische­n Kern aufgeweich­t. Man muss das sicher nicht alles restlos überzeugen­d finden. Aber man kann ganz gewiss sehr spannende Wochen mit diesem das Kleinste und Größte zusammensp­annenden Buch verbringen.

Übs. Dierlamm, Juraschitz, Schuler. Hanser, 1344 S., 49 ¤

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Yuri Slezkine: Das Haus der Regierung.

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