Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Mit den letzten Zeitzeugen bis nach Polen
Michael Kalb arbeitet weiter an einem besonderen Landkreis-Projekt. Interviewpartner zu finden, ist nicht leicht. Doch es gibt noch ein ganz anderes Problem
Landkreis Augsburg Heinz und Günther Barisch sind echte Schwaben: Hier leben ihre Familien, früher gingen die Brüder, inzwischen weit über 80 Jahre alt, gern zum AEV, wie Heinz Barisch erst vor wenigen Tagen in einem Leserbrief verriet. Doch das war nicht immer so. Bobingen ist die zweite Heimat der beiden. Die Barischs stammen aus dem ehemaligen Oberschlesien. Als Jugendliche sind sie am Ende des Zweiten Weltkriegs von dort geflohen.
Ihre Geschichte haben sie zuerst unserer Zeitung, später dann auch Filmemacher Michael Kalb erzählt. Sie handelt davon, wie die beiden zwölf und 14 Jahre alten Jungen gemeinsam mit der Mutter und der 17-jährigen Schwester vor der heranrückenden Ostfront im letzten Moment in Richtung Westen fliehen konnten. Wie sie das Kriegsende in einem Flüchtlingslager in Pilsen erlebten und danach eigentlich in die oberschlesische Heimatstadt Zülz zurückwollten. Als ihnen klar wurde, dass das nicht ging, entschloss sich die Mutter, für ihre Familie eine neue Heimat in Bayern zu suchen. Noch heute erinnert sich Heinz Barisch an die spontane Hilfe der Bobinger, die sie mit dem Nötigsten in ihrem neuen Behelfsheim versorgten. Doch im Laufe ihres Lebens zog es die Brüder immer wieder zurück ins ehemalige Zülz. Jetzt waren sie sogar begleitet von einer Filmkamera dort.
Heinz und Günther Barisch sind zwei der inzwischen 26 betagten Bürger aus dem Landkreis Augsburg, die Michael Kalb für das Projekt eines digitalen Gedächtnisses im Auftrag des Landkreises filmt. Dabei erzählen Zeitzeugen, wie sie den Alltag im Dritten Reich erlebt haben, oder Heimatvertriebene von ihrem Start in der neuen Heimat in den Vierzigerjahren. Vor eineinhalb Jahren hatte Kalb sein Projekt erstmals im Schul- und Kulturausschuss des Landkreises vorgestellt. Mit 10 000 Euro sollte das Projekt gefördert werden, hatte Landrat Martin Sailer dem Ausschuss vorgeschlagen, der das so auch annahm. Es sollte Material für ein filmisches Ar- chiv des Landkreises entstehen, zudem ein Film, der beispielsweise in Schulen gezeigt werden könnte. Die Fördersumme wurde kurz darauf verdoppelt unter der Vorgabe, dass Kalb 35 Interviews abliefert.
Doch inzwischen kommt das Projekt nicht mehr so schnell voran wie zunächst erhofft. Eigentlich sollte der Film bereits fertig sein. Und die Zeit drängt, erinnert Kalb immer wieder. Gleich nachdem die ersten Berichte über sein Projekt öffentlich wurden, habe er Hinweise auf etwa 50 Interviewpartner bekommen. Doch nicht jedes Gespräch kam zustande – einige Zeitzeugen sind inzwischen schlichtweg gestorben.
Doch in seiner Arbeit kommt es ihm heute nicht auf die Zahl der Interviews alleine an, sondern vor allem auf das, was die Partner erzählen können. Der Mehrwert des Archivs solle schließlich aus der Qualität der Erzählungen resultieren. „Im Mittelpunkt steht die Frage, was bleibt, wenn es niemanden mehr gibt, der aus diesen Zeiten erzählen kann“, beschreibt Michael Kalb. Weil aber individuelle Erinnerungen nicht immer das wiedergeben, was damals tatsächlich politisch geschehen ist, führt Kalb die Interviews gemeinsam mit dem Historiker Christoph Lang. Interessiert an dem Projekt ist inzwischen auch die Universität Augsburg.
Was Michael Kalb überrascht: Nach der anfänglichen Euphorie im Landkreis fühlt er sich heute fast wie ein „Bittsteller“. Rund 3000 Euro habe er inzwischen für das Filmmaterial aufgewendet, erhalten hat er vom Landkreis noch nichts. Ende des Monats sei im Landratsamt ein Gespräch geplant, bei dem das weitere Vorgehen besprochen werden solle, teilt die Pressestelle des Amtes mit. Zurückhaltend äußert sich aktuell auch die Bürgerstiftung im Augsburger Land. Grundsätzlich wolle man das Projekt zwar unterstützen. „Allerdings legen wir Wert auf eine wissenschaftliche Begleitung und stimmen das weitere Vorgehen mit den Gremien des Landkreises ab“, so Stiftungsvorsitzende Mathilde Wehrle. Schon zuvor war überlegt worden, den Film sein zu lassen und stattdessen die einzelnen Interviews allein für das Archiv zu sammeln. Doch Michael Kalb will den Film auf jeden Fall machen. Mit im Boot ist nun auch ein zweiter Filmemacher, Timian Hopf. Heinz und Günther Barisch kommt darin übrigens eine Hauptrolle zu. Ihre Geschichte solle sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Szenen und Interviews spannen, verrät Michael Kalb bereits. Mitmachen Michael Kalb sucht weitere Zeitzeugen, die vor 1930 geboren sind und noch gute Erinnerungen an diese Zeit haben. Sie können sich per E-Mail melden unter der Adresse info@kalbmedia.com.