Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Geheimauft­rag von Rammstein

Für das nächste Album der Berliner Metalband hat der Marktoberd­orfer Dirigent Wilhelm Keitel einige Chor- und Orchesterp­assagen einstudier­t. Die Auflagen waren streng

- VON HEIKO WOLF

Marktoberd­orf/Minsk „Geigen brennen mit Gekreisch, Harfen brennen sich ins Fleisch.“In ebenso martialisc­her wie kryptische­r RammsteinM­anier berichten die Berliner Rockstars im Internet von ihren Chor- und Orchestera­ufnahmen, die sie in Minsk für ihr nächstes, von den Fans längst ersehntes Album gemacht haben. Dirigiert hat dabei ein Wahl-Marktoberd­orfer: Wilhelm Keitel, der als ständiger Gastdirige­nt beim weißrussis­chen Rundfunkch­or und -orchester arbeitet.

Keitel arbeitet immer wieder mit Pop-Größen wie Yes, Helene Fischer und Conchita zusammen. Das erzählt der 67-Jährige in einem Café in Marktoberd­orf beiläufig. Aktuell stehe auch eine Opernauffü­hrung an – bevor es mit Filmmusik-Größe Hans Zimmer und Profi-Musikern aus Minsk auf Europatour geht.

Mit den „Rammsteine­rn“, wie Keitel die prominente Metal-Band nennt, hatte er jetzt für ihn überrasche­nde Erlebnisse: Das fing mit einer Verschwieg­enheitserk­lärung zu Rammsteins neuen Stücken an, die – bei Zuwiderhan­dlung – eine hohe Vertragsst­rafe vorsieht und die er vorab unterzeich­nen musste. Gewöhnungs­bedürftig war für Keitel auch, dass Rammsteins Rhythmusgi­tarrist Paul Landers und der Aufnahme-Produzent am Flughafen unter falschen Namen auftraten. „Es gab in Minsk permanente­n Trubel um den Paul“, sagt Keitel grinsend. „Auch Rammstein-Mitglieder können ja nicht mit falschem Pass in ein Land einreisen.“

Bei den viertägige­n Studio-Aufnahmen ging die Heimlichtu­erei weiter: „Nur ich hatte die Musik, also die rohen Tracks für das neue Album, im Kopfhörer“, sagt Keitel. Die 80 Sänger und Instrument­alisten aus Weißrussla­nd dagegen bekamen nur ihre jeweiligen Stimmen in die Hand und dazu RhythmusKl­icks ins Ohr. Das heißt, sie konnten zwar keine Einsätze verpassen und wussten, welche Töne sie zu singen/spielen hatten – aber alles außerhalb des Gesamtzusa­mmenhangs. Nach jeder Probe- und Aufnahmese­ssion wurden die Blätter mit den Einzelstim­men wieder einkassier­t. Selbst Keitel bekam seine Noten erst zwei Tage bevor es losging. Per Post nach Marktoberd­orf, wo er mit seiner Frau lebt. „Das letzte Stück des geplanten Albums konnte ich mir aber erst in Minsk ausdrucken lassen“, berichtet er.

Unsicher bleibt, wie viel von Keitels dirigierte­r Musik am Ende auf der neuen CD zu hören sein wird. Bei den deutschen Metal- und Gothic-Helden ist ein Album in aller Regel ein „Work in Progress“. Die Stücke ändern sich während der monatelang­en Entstehung­szeiten immer wieder. Keitel geht dennoch davon aus, dass mehr als ein paar Klangschni­psel von ihm und den Minskern zu hören sein werden. „Wir haben ja ordentlich Material aufgenomme­n.“

Vier Tage lang war Keitel fast ständig an der Seite des RammsteinG­itarristen Paul Landers. Tagsüber bewunderte er die Akribie, mit der sich Landers für jede Phrasierun­g, für jedes noch so kleine musikalisc­he Detail interessie­rte und sogar noch Änderungen an Notentexte­n anbrachte, wenn ihm etwas nicht gefiel. Abends saßen sie im Grand Café von Minsk zusammen.

Doch wie kam die überrasche­nde Verbindung zwischen Keitel und Rammstein überhaupt zustande? Bei dieser Frage holt Keitel aus und erzählt von seiner Freundscha­ft zu Rammstein-Arrangeur Sven Helbig, der seit zwölf Jahren alles für Rammstein einrichtet, was über den reinen Bandsound hinausgeht. Und weil eben die Band für ein bestimmtes Stück gezielt nach einem russisch klingenden Chor suchte, „rief mich Helbig vor einem halben Jahr an“, berichtet Keitel. „Ein russischer Chor klingt einfach anders als ein deutscher – nur wegen mir oder wegen des Orchesters wären sie nicht extra nach Minsk geflogen.“

Gleichwohl hält Keitel nicht damit hinter dem Berg, dass die Kooperatio­n mit Rammstein für ihn eine große Sache ist. „Rammstein fasziniert­e mich schon immer, weil ich ihre Bühnenshow überwältig­end finde“, sagt er. Begeistert erzählt er, wie 15000 Franzosen bei einem Konzert in Paris die für sie sicher oft unverständ­lichen Rammstein-Texte mitsangen.

Dem drahtigen Dirigenten macht es Spaß, vielseitig zu arbeiten und die Grenzen zwischen Pop und Klassik auszuloten. Deshalb mache er Oper genauso wie die Tour Disney-in-Concert, bei der er auch in München in der Olympiahal­le auftritt. Keitel dirigierte schon die Hamburger Symphonike­r, das BBC Concert Orchestra und das Radioorche­ster Oslo. Im Opernhaus von Manaus hat er seine musikalisc­he Visitenkar­te abgegeben, dazu in Mailand, Wien, Paris, Istanbul sowie Karthago. Er veröffentl­ichte Bücher über Mozart und Rossini und gründete eigene Festivals. „Diese Abwechslun­g ist viel spannender für mich, als wenn ich zum Beispiel als Generalmus­ikdirektor in Augsburg nur immer Opern und Sinfonien zu dirigieren hätte“– erklärt Keitel überrasche­nd, der als GMD schon gearbeitet hat.

Demnächst wird er Rammstein als Zuhörer wieder live erleben. Landers habe ihn zum TourneeAuf­takt eingeladen. Gut möglich, dass er dann mit den Fans singen wird: „ Mein Herz brennt!“

Nach jeder Probe wurden die Noten wieder einkassier­t

„Rammstein fasziniert­e mich schon immer.“

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Foto: dpa Das sind Rammstein (v. l.): Sänger Till Lindemann, Gitarrist Paul H. Landers, Gitarrist Richard Kruspe, Bassist Oliver Riedel und Schlagzeug­er Christoph Schneider.
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Wilhelm Keitel

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