Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Barock trifft Minimal Music
Ricardo Fernando choreografiert „Vier Jahreszeiten“. Die Musik zur ersten Ballettpremiere dieser Spielzeit ist dabei eine besondere Kombination
Ein Experte für Jahreszeiten ist Ballettchef Ricardo Fernando von Haus aus nicht. „In Brasilien gibt es nur eine Jahreszeit“, verweist er lachend auf seine sommerliche Herkunft. Aber nun ist er seit vielen Jahren in Europa heimisch und hat reichlich Bekanntschaft mit lauen Frühlingslüftchen, klirrend kalten Wintern und buntem Herbst machen können. Doch will Fernando seine choreografische Interpretation der vier Jahreszeiten, die an diesem Samstag die erste Ballettpremiere der neuen Spielzeit ist, natürlich nicht nur als Bebilderung der Naturphänomene verstanden wissen. „Es geht auch um die symbolische Bedeutung, das Entstehen, Wachsen und Vergehen“, erklärt Fernando sein Konzept. „Jeder Zuschauer kann seine eigenen Bilder, Emotionen und Assoziationen finden.“
Ausgangspunkt für das Ballett „Vier Jahreszeiten“war allerdings die Musik – Vivaldis berühmtes gleichnamiges Violinkonzert, das eigentlich aus vier in sich geschlossenen Werken besteht. 40 Minuten dauert die Komposition, ist also zu kurz für eine abendfüllende Vorstellung, doch zu prägnant, um beliebig etwas anderes dazuzustellen. Nach vielen Stunden Musik hören und etlichen Gesprächen fand sich eine Lösung, die für den Ballettchef jetzt „eine Wucht“ist: Vivaldis Musik kombiniert er mit dem 2. Violinkonzert von Philip Glass, das den Untertitel „The American Four Seasons“trägt. 300 Jahre liegen die beiden Werke in ihrer Entstehungszeit auseinander, hier das barocke Meisterstück, dort Minimal Music. „Eine völlig unterschiedliche Musiksprache“, urteilt die Leitende Musikdramaturgin Sophie Walz, „aber trotzdem fügt es sich zusammen, weil der barocke Gestus auch bei Philip Glass zu ahnen ist.“Ferner ähnelten sich die beiden Werke in ihrer Struktur mit Passagen für Solovioline, Streichorchester und Cembalo oder Synthesizer (bei Glass). „Es ging darum, einen Spannungsbogen mit und zwischen diesen beiden Stücken aufzubauen“, stellt Fernando dar. Die „American Four Seasons“bilden in der Aufführung nun das Bindeglied zwischen den Vivaldi-„Jahreszeiten“. „Die Musik bekommt eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann“, ist sich Fernando sicher.
Ob er nicht befürchten muss, dass die Musik der Choreografie die Show stiehlt? „Nein, ich konkurriere nicht mit der Musik“, sagt Fernando ernst. „Bewegung, Kostüme und Licht ergänzen sich mit der Musik und schaffen dazu eine visuelle Ebene“, stellt er dar. Das Bühnenbild zum „Jahreszeiten“-Ballett entwarf Peer Palmowski, mit dem Fernando schon oft zusammengearbeitet hat. Die Kostüme stammen von Helena de Medeiros, einer Künstlerin aus Portugal, die viel Erfahrung in der Ausstattung von Balletten hat. „Jede Jahreszeit hat ihre eigene Form und Farbe“verrät Ricardo Fernando über die aufwendigen Kostüme, in denen Elemente der Natur ebenso verarbeitet seien wie barocke Zitate. Mit ihren klaren Formen erinnerten sie aber auch an Oskar Schlemmers Ausstattung des „Triadischen Balletts“. „Diese Kostüme sind wirklich etwas Besonderes“, macht der Ballettdirektor neugierig.