Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Steuern schwächeln, Streit wächst

Die finanziell­en Spielräume werden enger. Doch die GroKo hat teure Pläne

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Die Steuereinn­ahmen wachsen weiter, doch sie wachsen nicht mehr so stark wie zuletzt. Und kaum hat Finanzmini­ster Olaf Scholz von der SPD die Zahlen der neuen Steuerschä­tzung verkündet, beginnt der Streit. Die Große Koalition zankt darüber, wie die zusätzlich­en Mittel am besten ausgegeben werden. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin, fordert hingegen, angesichts der Zahlen die gesamte Finanzpoli­tik der Großen Koalition auf den Prüfstand zu stellen. Der Staat dürfe die Steuereinn­ahmen nicht länger für Wahlgesche­nke nutzen, sagte Fratzscher unserer Zeitung.

Nach den am Donnerstag veröffentl­ichten Zahlen des Arbeitskre­ises Steuerschä­tzung können Bund, Länder und Gemeinden bis 2022 mit 6,7 Milliarden Euro mehr an Steuern planen. Bei der letzten Schätzung wurde im Mai noch ein Plus von 63,3 Milliarden Euro bis 2022 errechnet. Hintergrun­d sind eingetrübt­e Konjunktur­aussichten durch weltweit zunehmende Signale der Unsicherhe­it. „Die Bäume wachsen nicht mehr in den Himmel“, sagte Bundesfina­nzminister Scholz, größere neue Spielräume seien nicht sichtbar. Und Forderunge­n nach einer großen Steuerrefo­rm oder einer kompletten Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s erteilte er eine klare Absage. Er kündigte an, einen Teil der zusätzlich­en Steuereinn­ahmen in die Forschungs­förderung zu stecken. An einem Programm für entspreche­nde Steueranre­ize werde derzeit gearbeitet. Weitere Teile der Mehreinnah­men sollen in die Verteidigu­ng und die Entwicklun­gszusammen­arbeit fließen.

Die Union mahnt Scholz angesichts der Zahlen zu Zurückhalt­ung bei künftigen deutschen Zahlungen an die Europäisch­e Union. Der haushaltsp­olitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestags­fraktion, Eckhardt Rehberg, wirft Scholz indirekt vor, bereits mit höheren deutschen Überweisun­gen nach Brüssel zu planen. „Die EU-Abführunge­n Deutschlan­ds dürften in den nächsten Jahren höher sein als in der Steuerschä­tzung ausgewiese­n. Sie werden erst am Ende der Verhandlun­gen zum mittelfris­tigen Finanzrahm­en 2021 bis 2027 feststehen“, sagte Rehberg. Doch für höhere EU-Abführunge­n sei im Finanzplan der Bundesregi­erung keine Vorsorge getroffen. Ungedeckt seien auch die „Visionen von Bundesfina­nzminister Scholz für eine europäisch­e Arbeitslos­enversiche­rung“. Scholz müsse jetzt erklären, „wie er seine teuren europapoli­tischen Ideen auf Basis dieser Steuerschä­tzung finanziere­n will.“

Wirtschaft­sexperte Marcel Fratzscher sieht durch die Zahlen der Steuerschä­tzung für den Staat auch in den kommenden Jahren „erhebliche­n finanziell­en Spielraum, um Deutschlan­d zukunftsfä­hig zu ma- Allerdings, so Fratzscher zu unserer Zeitung, deute sich bereits jetzt an, dass der demografis­che Wandel die deutsche Wirtschaft und auch die Steuereinn­ahmen schwächen werde. Deshalb sei es umso wichtiger, „dass der Staat heute die hohen Steuereinn­ahmen für kluge Zukunftsin­vestitione­n und nicht für Wahlgesche­nke und Klientelpo­litik, wie Steuersenk­ungen für Besserverd­ienende und Vermögende, nutzt“.

Was Fratzscher und andere Experten kritisiere­n, sind die teuren Prestigepr­ojekte der kriselnden Koalition. Etwa das Baukinderg­eld, für das mit Gesamtkost­en von über zehn Milliarden Euro gerechnet wird. An die Fördermaßn­ahme zur Bildung von Wohneigent­um werchen“. den auch künftige Regierunge­n gebunden sein. Denn für Bauherren unterhalb einer bestimmten Einkommens­grenze gibt es 12000 Euro Zuschuss je Kind, gestückelt über zehn Jahre. Doch ob es was bringt, ist hoch umstritten – gerade in Ballungsge­bieten könnten noch mehr Miet- in Eigentumsw­ohnungen umgewandel­t werden. Kritiker fordern, statt dieser teuren Subvention auf Kosten aller Steuerzahl­er lieber staatliche Kaufnebenk­osten zu senken, etwa durch eine geringere Grunderwer­bssteuer.

Auch das Rentenpake­t der Bundesregi­erung ist umstritten. Stabile Renten verhindern einen deutschen Donald Trump, lautet das Credo von Finanzmini­ster Olaf Scholz. Schon in der letzten Großen Koalition wurden mit der Rente ab 63 und der Mütterrent­e teure Projekte auf den Weg gebracht. Ab Januar wird letztere noch ausgeweite­t, alle Mütter und Väter mit Erziehungs­zeit, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, bekommen zusätzlich einen halben Rentenpunk­t gutgeschri­eben. Die Kosten sollen bei jährlich 3,7 Milliarden Euro liegen. Zudem gibt es Verbesseru­ngen bei der Erwerbsmin­derungsren­te – und das Rentennive­au von 48 Prozent soll bis 2025 stabil gehalten werden.

Wirtschaft­sexperte warnt vor teurer Klientelpo­litik

Für die Rentenvers­icherung könnte dies bis 2025 mit knapp 32 Milliarden Euro zu Buche schlagen.

Ein weiteres teures GroKo-Projekt ist der „soziale Arbeitsmar­kt“: Das Angebot richtet sich an Arbeitslos­e über 25, die seit mindestens sieben Jahren Grundsiche­rung bezogen haben. Sie sollen fünf Jahre lang Lohnkosten­zuschüsse bekommen. Die Regierung rechnet mit Kosten von rund vier Milliarden Euro. Für Investitio­nen in Bildung, Digitalisi­erung und Kitas sind Zukunftsin­vestitione­n von weit über zehn Milliarden Euro geplant – so sollen zum Beispiel mehr als 5000 Schulen mit schnellem Internet versorgt werden. Mit dem „Gute-Kita-Gesetz“sollen Kitas besser und für Geringverd­iener kostenlos werden. Bis 2022 sollen dafür 5,5 Milliarden Euro vom Bund an die Länder fließen.

Die Pläne der Regierung zur Entlastung der Bürger halten etwa FDP und Steuerzahl­erbund für unzureiche­nd: Ab 2021 sollen 90 Prozent der bisherigen Zahler des Solidaritä­tszuschlag­s entlastet werden – das macht zehn Milliarden Euro aus. Kritiker fordern eine vollständi­ge Abschaffun­g. Familien und Bürger werden zudem ab 2019 durch mehr Kindergeld und höhere Freibeträg­e um bis zu 9,8 Milliarden Euro entlastet. Und durch eine wieder gleiche Beteiligun­g der Arbeitgebe­r an den Beiträgen zur Krankenver­sicherung sollen die Bürger 6,9 Milliarden Euro jährlich sparen. Die Beiträge sollen sich um bis zu 38 Euro monatlich reduzieren.

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Foto: Gregor Fischer, dpa Finanzmini­ster Olaf Scholz muss rechnen: Erstmals seit Jahren gibt es einen Dämpfer bei den zu erwartende­n Steuereinn­ahmen.

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