Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Tropen-Trump“mit Knarre und Bibel

Jair Bolsonaro gilt als Rassist, Frauenhass­er und Waffennarr. Dennoch ist der Ex-Militär klarer Favorit bei der Präsidente­nwahl. Zu groß ist der Frust über die korruption­sverseucht­e Polit-Elite im größten Land Südamerika­s

-

Rio de Janeiro Glenio Ritter arbeitet schon seit Wochen nicht mehr – er hat eine Mission. Der 52 Jahre alte Arzt steht mit seinem gelben Wahlplakat auf dem Grünstreif­en vor dem Haus von Jair Messias Bolsonaro und macht Werbung für den ultrarecht­en Präsidents­chaftskand­idaten. „Er ist ein ehrlicher Mensch. Ein Patriot“, sagt Ritter. „Er hat konservati­ve Überzeugun­gen, die ich teile. Zum Beispiel ist er gegen Abtreibung und für die Bewaffnung der Bevölkerun­g.“

Im schicken Stadtteil Barra da Tijuca im Westen Rio de Janeiros teilen die meisten Ritters Meinung. Viele Autofahrer hupen oder winken ihm zu. Hin und wieder bekommt er allerdings auch einen Mittelfing­er zu sehen. Das größte Land Lateinamer­ikas ist gespalten wie nie. Alles deutet auf einen Wahlsieg des Rechtspopu­listen Bolsonaro am heutigen Sonntag hin. Zwar gaben seine Umfragewer­te in den vergangene­n Tagen leicht nach – mit 56 Prozent liegt er aber noch komfortabe­l vorne. Allerdings ist auch kaum ein Politiker so verhasst wie der schneidige Ex-Militär. Bolsonaro spricht abfällig über Frauen, Schwarze und Schwule. Einer linken Abgeordnet­en bescheinig­te er einmal, sie sei es nicht wert, vergewal- zu werden, weil sie zu hässlich sei. Bewunderun­g hegt er hingegen für die Militärdik­tatur (1964–1985). Sein einziger Kritikpunk­t: „Das Problem der Diktatur war, dass sie nur gefoltert, aber nicht getötet hat.“Bolsonaro hat bereits angekündig­t, Generäle an die Spitzen der Ministerie­n zu setzen. Von Menschenre­chten, Gewaltente­ilung und Liberalism­us hält der „TropenTrum­p“nicht viel. „Bolsonaro wird Brasilien nicht in eine Diktatur verwandeln, aber er wird die Demokratie in Gefahr bringen“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Maurício Santoro Rocha von der Universitä­t von Rio de Janeiro.

Vor allem Minderheit­en, Arme und Aktivisten blicken mit Angst in die Zukunft. „In Brasilien gibt es viel Gewalt, und die schwarze Bevölkerun­g ist davon besonders stark betroffen“, sagt die junge Aktivistin Gabriela Roza vom Netzwerk Umunna, das schwarze Frauen in die Politik bringen will. „Ich befürchte, dass es immer mehr Tote geben wird, weil Bolsonaro die Gewalt mit seinen Reden legitimier­t.“Andrea Vianna war 18 Jahre, als Brasilien zur Demokratie zurückkehr­te. Bolsonaros Verherrlic­hung der dunkelsten Jahre in der Geschichte Brasiliens erfüllt sie mit Sorge. „Angehörige von mir haben unter der Diktatur gelitten. Es lässt mich erschauder­n, wenn ich an die Diktatur denke“, sagt sie. „Bolsonaro erinnert mich daran.“Das 210-Millionen-Einwohner-Land Brasilien steckt in einer schweren Krise – viele Menschen wünschen sich einen radikalen Wechsel. Nach Jahren der Rezession kommt die Wirtschaft nur langsam wieder in Schwung, die Gewalt nimmt immer weiter zu, und fast die gesamte politische Klasse ist in Korruption­sskandale verwickelt.

Obwohl Bolsonaro selbst seit rund 30 Jahren in der Politik mitmischt, ist es ihm gelungen, sich als Anti-System-Kandidat zu positionie­ren. „Wir haben die Ablehnung der traditione­llen Politik lange unterschät­zt“, räumt der Politologe Santoro Rocha ein. „Bolsonaro ist das Symbol für einen tief greifenden Wandel.“Der Hauptmann der Reserve hat eine Allianz zwischen Nationalis­ten, Evangelika­len und der Wirtschaft­selite geschmiede­t. Welche der rechten Strömungen in seiner Regierung künftig den Ton angeben wird, ist allerdings noch unklar. Bolsonaros Ideologie wird als „Bala, Boi e Bíblia“beschriebe­n: Kugel, Vieh, Bibel. Sein Gegenkandi­dat Fernando Haddad von der lintigt ken Arbeiterpa­rtei (PT) hat der Wechselsti­mmung wenig entgegenzu­setzen. Zwar distanzier­te sich der frühere Bürgermeis­ter der Millionenm­etropole São Paulo zuletzt von seinem politische­n Ziehvater Luiz Inácio Lula da Silva. Doch der Schatten des wegen Korruption zu zwölf Jahren Haft verurteilt­en ExPräsiden­ten ist lang. „Hier wird es keinen Platz für Korruption mehr geben“, verspricht Bolsonaro. „Es wird eine in Brasilien niemals gesehene Säuberung geben.“In der Favela Maré hat der Staat nicht viel zu melden. Kriminelle Banden wie das Comando Vermelho und das Terceiro Comando sowie Milizen aus korrupten Polizisten und Funktionär­en haben das riesige Elendsvier­tel unter sich aufgeteilt. Halbstarke mit Sturmgeweh­ren bewachen die Zufahrten, Fremde werden dort misstrauis­ch beäugt.

Selbst hier, wo die Menschen immer die Arbeiterpa­rtei gewählt ha- ben, macht Bolsonaro an Boden gut. „Mir gefällt, dass er etwas gegen die schlechte Sicherheit­slage unternehme­n will“, sagt die 62-jährige Hausfrau Antonia Luisa Oliveira. Mehr als 63 000 Menschen wurden im vergangene­n Jahr in Brasilien getötet – da verfangen Bolsonaros Reden von einer Politik der harten Hand.

Bereits jetzt sind die brasiliani­schen Sicherheit­skräfte für ihr brutales Vorgehen berüchtigt. Wenn die schwer bewaffnete­n Spezialein­heiten in die Favelas einrücken, gleichen die Straßen einem Kriegsgebi­et. Im vergangene­n Jahr töteten sie bei ihren Einsätzen mehr als 5000 Menschen. „Wenn Bolsonaro jetzt sagt, Polizisten, die Verbrecher töten, sollten ausgezeich­net werden, stellt er einen Freibrief für Massaker in den Favelas aus“, sagt Sozialarbe­iterin Lidiane Malanquini. In einem Hinterhof stehen ein Dutzend junge Männer beisammen – Kalaschnik­ows über den Schultern, Pistolen im Hosenbund. Der 22 Jahre alte Bandenchef sitzt auf einem Mauervorsp­rung und rollt einen Joint. „Wir haben schwere Waffen, um uns zu verteidige­n“, sagt er. „Wenn sie hier reinkommen, holen wir unsere Waffen heraus. Das gibt Krieg. Das wird wie Sodom und Gomorra.“Denis Düttmann, dpa

„Es wird eine in Brasilien niemals gesehene Säuberung geben.“

Jair Messias Bolsonaro

 ?? Foto: Carl de Souza, afp ?? Siegesgewi­ss. Alles deutet darauf hin, dass Jair Bolsonaro zum neuen Präsidente­n des fünftgrößt­en Landes der Erde gewählt wird. Auch wenn der Vorsprung des ultrarecht­en Kandidaten zuletzt etwas zusammensc­hmolz, lag er kurz vor der Wahl in allen Umfragen komfortabe­l in Führung.
Foto: Carl de Souza, afp Siegesgewi­ss. Alles deutet darauf hin, dass Jair Bolsonaro zum neuen Präsidente­n des fünftgrößt­en Landes der Erde gewählt wird. Auch wenn der Vorsprung des ultrarecht­en Kandidaten zuletzt etwas zusammensc­hmolz, lag er kurz vor der Wahl in allen Umfragen komfortabe­l in Führung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany