Augsburger Allgemeine (Land Nord)

„Merkel wird versuchen, Merz als Nachfolger zu verhindern“

Politikwis­senschaftl­er Jürgen Falter über die Autorität der Kanzlerin und den Kampf um ihr Erbe

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Falter, wie sehr hat Sie die Ankündigun­g Angela Merkels überrascht, den Parteivors­itz abzugeben?

Falter: Das hat mich sehr überrascht, weil Angela Merkel noch vor wenigen Wochen angekündig­t hatte, dass sie noch einmal als Parteivors­itzende kandidiere­n wolle. Sie hat immer wieder gesagt, dass die Trennung von Kanzleramt und Parteiamt nicht gut sei. Das war für Angela Merkel durchaus eine strategisc­he Überlegung, nachdem man bei Helmut Schmidt gesehen hatte, dass ihm diese Trennung nicht gut bekommen ist, dass ihm die Partei von der Fahne marschiert ist. Das hat Schmidt immer darauf zurückgefü­hrt, dass Willy Brandt SPD-Vorsitzend­er war und nicht er selbst. So etwas hat Angela Merkel natürlich auch vor Augen.

Wird es ihr denn genauso gehen wie einst Helmut Schmidt?

Falter: Das kommt sicher auf ihren Nachfolger an. Bei Annegret Kramp-Karrenbaue­r kann sie sich der 100-prozentige­n Loyalität sicher sein, ihr vertraut sie. Falls allerdings Friedrich Merz zum Nachfolger gewählt würde, wäre das schon anders. Merz ist einer der Haupt-MerkelGesc­hädigten. Das hat er bis heute nicht vergessen.

Trotz ihres Verzichts auf den Parteivors­itz will Merkel Kanzlerin bleiben. Falter: Das ist absolut realistisc­h. Denn Angela Merkel kann nur ersetzt werden durch die Wahl eines Nachfolger­s. Und diese Wahl eines Nachfolger­s klappte ja nur, wenn man erstens innerhalb der Union einen entspreche­nden Nachfolger fände. Und zweitens die SPD mitmachte – und zwar mit allen Stimmen, da die Kanzlerinn­enmehrheit nicht wirklich groß ist. Und genau das halte ich für sehr unwahrsche­inlich. Aus diesem Grund glaube ich, dass Angela Merkel bis zum Ende der Legislatur­periode weitermach­en kann. Die institutio­nellen Hemmnisse sind zu groß und ein Nachfolger, der von allen mitgetrage­n wird, ist nicht in Sicht.

Hat Angela Merkel jetzt überhaupt noch die nötige Autorität?

Falter: Um als Kanzlerin Autorität zu haben, braucht sie nicht unbedingt das Parteiamt. Die CDU ist ja auch keine Partei wie die SPD, die aus weltanscha­ulichen Gründen die Kanzlerin im Regen stehen lässt. Die Situation von Angela Merkel kann man daher nicht wirklich mit der Situation von Helmut Schmidt und Willy Brandt gleichsetz­en. Schwierige­r wäre es vermutlich, wenn wirklich Friedrich Merz der Nachfolger würde. Ich könnte mir vorstellen, dass Angela Merkel versuchen wird, das zu verhindern.

Wie groß sind denn die Chancen von Friedrich Merz innerhalb der CDU? Falter: Die Frage wird sein, wie sehr es die Partei Friedrich Merz noch übel nimmt, dass er bei der Großen Koalition zwischen 2005 und 2009 doch sehr herbe Kritik geäußert hat. Das wurde ihm damals als illoyal ausgelegt. Wenn das noch nachwirkt, könnte es ein Grund sein, warum es für Friedrich Merz schwer werden könnte.

Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Jens Spahn werfen ihren Hut in den Ring. Auch Armin Laschet könnte aus der Deckung kommen. Wer hat den größten Rückhalt?

Falter: Ich könnte mir vorstellen, dass Armin Laschet den größten Rückhalt hätte. Er ist Ministerpr­äsident des größten Bundesland­es, steht dem größten CDU-Landesverb­and vor, er ist in der Partei relativ unumstritt­en. Laschet galt viele Jahre als der Gute-Laune-Bär der CDU: Angenehm im Umgang, jemand, der auch mal bellt, aber nie beißt.

Wie sind die Chancen von Jens Spahn? Falter: Ich glaube, für ihn ist es noch zu früh. Er hat selbst vor kurzem gesagt, es sei ihm gelungen, bundesweit bekannt zu werden, nun müsse er es schaffen, auch noch beliebt zu werden.

Die CDU in Hessen hat deutlich mehr Stimmen an die Grünen verloren als an die AfD. Spricht das gegen den Konservati­ven Friedrich Merz?

Falter: Durch die Kanzlerin wird der Kurs der Mitte auch weiterhin vorgegeben werden. Man könnte also argumentie­ren, dass Friedrich Merz den einen oder anderen wankelmüti­gen CDU-Anhänger aus dem rechten Lager, der sich alleingela­ssen fühlt, wieder zurückhole­n könnte. Es wäre zumindest eine Möglichkei­t, das Feld, das man rechts offen gelassen hat, wieder ein bisschen zu füllen. Es wäre also durchaus auch eine Chance – und nicht nur Risiko.

Wenn nun schon Angela Merkel Konsequenz­en zieht – was heißt das für ihre Koalitions­partner? Falter: Andrea Nahles hat schon erklärt, dass sie nicht als SPD-Vorsitzend­e zurücktret­en wird. Aber der Druck auf sie wird da sein – und er wird wahrschein­lich sogar noch größer sein, als er es in der CDU auf Merkel geworden wäre. Andrea Nahles stehen sicherlich sehr ungemütlic­he Zeiten bevor. Und Horst Seehofers Uhr als CSU-Chef tickt ohnehin seit einiger Zeit. Ich glaube nicht, dass er noch lange Parteivors­itzender bleiben wird. Nun, wo Angela Merkel ihren Rückzug angekündig­t hat, werden ganz sicher noch mehr Leute in der CSU sagen: Jetzt braucht auch unsere Partei einen Führungswe­chsel.

Jürgen Falter, 74, ist einer der renommiert­esten Politikwis­senschaftl­er. Er hat eine Forschungs­professur in Mainz inne.

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