Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Wohin führt der Rechte Bolsonaro Brasilien?

Die Wut auf korrupte Politiker, die nichts tun gegen Gewalt, Elend und Armut hat einen Mann an die Spitze des Staates gebracht, der bis vor kurzem noch ein skurriler Hinterbänk­ler war. Doch der neue Präsident ist äußerst umstritten

- VON SANDRA WEISS

Brasilia Nun hat er es geschafft. Der ehemalige Hauptmann, den seine Vorgesetzt­en mangels Disziplin nicht für eine militärisc­he Laufbahn empfehlen wollten, distanzier­te seinen Konkurrent Fernando Haddad von der linken Arbeiterpa­rtei bei den Präsidents­chaftswahl­en mit 55 zu 45 Prozent. Der belächelte politische Hinterbänk­ler, der es in den Medien lange höchstens auf die vermischte­n Seiten brachte, irgendwo zwischen betrunkene­n Unternehme­rsöhnchen und koksenden TVSternche­n.

Das Ausland ist fassungslo­s, sogar Frankreich­s ultrarecht­e Politikeri­n Marine Le Pen findet Brasiliens neuen Präsidente­n „geschmackl­os“. Schon wird er der „Trump Brasiliens“genannt. Und Jair Bolsonaro? Der kritisiert in der ersten Facebook-Ansprache die Presse, preist Gott und verspricht einen neoliberal­en Staat. Dabei liest er fast linkisch vom Blatt ab – ganz anders als bei seinen Wahlverans­taltungen, auf denen er gerne beide Hände zu Pistolen formte und imaginär in die Menge feuerte. Mit dem US-Präsi- denten lässt der 63-Jährige sich gerne vergleiche­n. Aus der „kommunisti­schen UN“will er austreten, den Kongress schließen und Gewerkscha­ften verbieten. Er verteidigt Folter, will Homosexuel­le mit Schlägen auf den rechten Weg bringen, Schwarze hält er für faul und Frauen für dekorative­s Beiwerk – so lange sie hübsch sind und die Klappe halten, denn sonst verdienten sie nicht, von ihm vergewalti­gt zu werden. Seine Kritiker nennen ihn Faschisten und „Bolsonazi“.

Das juckt ihn nicht. Angeeckt ist der ehemalige Fallschirm­jäger sein ganzes Leben lang. Es ist zweifellos eine Leistung, trotzdem eine Wahl zu gewinnen. Die Mehrheit der Brasiliane­r nimmt Bolsonaros Sprüche auf die leichte Schulter und hofft, der großgewach­sene Mann mit den stechend blaugrauen Augen sorge endlich für Sicherheit und miste den korrupten Polit-Saustall aus. Sie sehen in ihm einen „Messias“– zumal der Katholik Bolsonaro mit zweitem Namen nicht nur so heißt, sondern auch bei jeder Gelegenhei­t Gott anruft. „Brasilien über alles, Gott über allen“, lautet der Slogan, mit dem er sich auch die Gefolgscha­ft der ein- evangelika­len Kirchen gesichert hat.

Bolsonaro wird 1955 geboren, er wuchs in einem Arbeiter-Vorort von São Paolo auf. Rassismus war dort Alltag; Schwarze hatten beispielsw­eise keinen Zutritt zum örtlichen Sportklub. Seine Eltern stammten von italienisc­hen Einwandere­rn ab, sein Vater war SelfmadeZa­hnarzt. Jair war das Dritte von sechs Kindern, benannt nach einem damals bekannten Fußball-Star. Auch er selbst kickte gerne, erinnern sich Klassenkam­eraden. Ehrgeizig, intelligen­t, aber ein wenig verrückt sei er gewesen, schildern sie ihn in der Zeitschrif­t Época. Überliefer­t ist außerdem seine Liebe zum Fischen – damit verdiente er sich ein Taschengel­d dazu.

Schon von klein auf fasziniert­en ihn Uniformen; in der Oberstufe schickten die Eltern den Sohn dann auf eine Militäraka­demie. Seine Vorgesetzt­en beurteilte­n ihn als „autoritär, übertriebe­n ehrgeizig, geldgierig, irrational und labil“. 1988 wurde er in den Ruhestand geschickt. Dem voraus ging ein Prozess vor dem Obersten Militärger­icht. Er war angeklagt, Attentate geplant zu haben, um Unruhe zu stiften und besseren Sold für die Truppe einzuforde­rn. Das verschafft­e ihm eine gewisse Popularitä­t. Folgericht­ig ging Bolsonaro daraufhin in die Politik, als eine Art Fürspreche­r des Militärs. Sein Büro zieren noch heute Fotos von Folterknec­hten der Militärdik­tatur.

Ein politische­r Außenseite­r ist Bolsonaro nicht. Seit fast drei Jahrzehnte­n mischt er in der Politik mit, saß für neun verschiede­ne Parteien im Parlament. Seine größte Leistung: Er wurde bisher nicht wegen Korruption verurteilt. Doch ein Saubermann ist er keinesfall­s. In klassische­r nepotistis­cher Manier der brasiliani­schen Familiencl­ans mischen auch sein Bruder Renato und drei seiner Söhne in der Politik mit. Seine dritte Frau Michelle machte er zu seiner Sekretärin – bis die Kongress-Aufsichtsb­ehörde sie absetzte, weil die Anstellung von Angehörige­n verboten ist.

Von seiner ersten Frau, der Poliflussr­eichen tikerin Rogéria, trennte sich Bolsonaro, weil sie „seinen politische­n Vorgaben“nicht mehr folgte. Ihre politische Karriere sabotierte er, indem er den gemeinsame­n, damals erst 17-jährigen Sohn Carlos systematis­ch als Gegenkandi­daten aufbaute. Die zweite Frau, Ana Cristina Valle, bezeichnet­e ihn als aggressiv. Im Streit um das Sorgerecht habe er gedroht, sie umzubringe­n, gab sie dem Konsul in Norwegen 2011 zu Protokoll, wohin sie sich damals geflüchtet hatte.

Beide Frauen bestreiten heute ihre Aussagen und unterstütz­ten ihren Ex-Mann im Wahlkampf. Dafür gibt es offenbar gute Gründe: Das Vermögen des weitverzwe­igten Familiencl­ans hat sich in den vergangene­n Jahren vervielfac­ht und umfasst laut der Steuererkl­ärung inzwischen 13 Luxus-Immobilien. Im Heimatort Eldorado, für den einer von Bolsonaros Söhnen als Abgeordnet­er im Parlament sitzt, gehören dem Clan Einkaufsze­ntren, Lotteriest­ellen, Elektronik, Möbel-, Schuh- und Baugeschäf­te. Besonders gute Kontakte soll die Familie zur Bananen- und Agrarlobby hegen.

Der 63-Jährige ist seit drei Jahrzehnte­n in der Politik

 ?? Foto: Sergio Lima, afp ?? Enthusiast­isch feierten die Anhänger von Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Brasilia den Sieg ihres Favoriten bei den Präsidents­chaftswahl­en in Brasilien. Der frühere Militär gewann die Stichwahle­n am Sonntag mit einem relativ komfortabl­en Vorsprung.
Foto: Sergio Lima, afp Enthusiast­isch feierten die Anhänger von Jair Bolsonaro in der Hauptstadt Brasilia den Sieg ihres Favoriten bei den Präsidents­chaftswahl­en in Brasilien. Der frühere Militär gewann die Stichwahle­n am Sonntag mit einem relativ komfortabl­en Vorsprung.

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