Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Pilot wollte noch umdrehen
Kurz nach dem Start merkt die Besatzung eines indonesischen Billigfliegers, dass etwas nicht stimmt. Sie bittet darum, landen zu dürfen. Doch es ist zu spät für die 189 Menschen an Bord
Der Flug mit Indonesiens größtem Billigflieger Lion Air aus der Hauptstadt Jakarta nach Pangkal Pinang, der größten Stadt der Nachbarinsel Bangka, kostet nicht viel. Am günstigsten ist die Frühmaschine um 6.20 Uhr. Der beste Preis: 393 400 Indonesische Rupiah. Das hört sich nach viel Geld an, sind umgerechnet aber nicht einmal 23 Euro. Und das für einen Flug von einer Stunde und zehn Minuten über die Javasee. Auf eben dieser Verbindung sind am Montag wahrscheinlich 189 Menschen ums Leben gekommen. Alle, die nach Behördenangaben auf Flug JT-610 an Bord waren: 178 erwachsene Passagiere, ein Kind, zwei Babys, zwei Piloten und sechs Flugbegleiter.
Die Maschine, eine Boeing 737, stürzte kurz nach dem Start ins Meer. Ursache war offenbar ein technisches Problem. Der indische Pilot Bhavye Suneja, ein erfahrener mit 6000 Flugstunden, bat noch um die Erlaubnis, umkehren zu dürfen. Aber da war es schon zu spät.
Der Kontakt mit der Maschine brach nach Angaben des Verkehrsministeriums gegen 6.30 Uhr morgens (0.30 Uhr MEZ) ab. Laut mehreren auf Flugdaten spezialisierten Internetseiten beschleunigte die Maschine kurz vorher nochmals, während sie gleichzeitig an Höhe verlor. Augenzeugen berichteten, wie sie offenbar kurz darauf ins Meer stürzte. Das Flugzeug sei in 30 bis 40 Meter tiefes Wasser gestürzt, sagte ein Behördensprecher. Auf Videoaufnahmen von der Unglücksstelle in der Javasee waren große Treibstoffschlieren zu sehen. Ein Sprecher der Katastrophenschutzbehörde veröffentlichte Fotos von Trümmern, möglichen Teilen einer Rettungsrutsche und Überresten zerstörter Handys. Inzwischen bar- gen Taucher auch die ersten sterblichen Überreste. Ihr Zustand lasse kaum noch Hoffnung, Überlebende zu finden, sagte der Leiter des Rettungseinsatzes, Bambang Suryo Aji. Rund 40 Taucher und 150 andere Bergungsspezialisten waren nach seinen Angaben an der Suche beteiligt. Lion-Air-Chef Edward Sirait sagte, die Unglücksmaschine sei vor kurzem wegen eines technischen Problems auf Bali repariert und dann nach Jakarta geflogen worden. Dort sei das Flugzeug vor dem Start am Montag erneut repariert worden. Um welches Problem es sich handelte, blieb am Montag unklar.
Unter den Passagieren waren rund 20 Mitarbeiter des indonesischen Finanzministeriums. Ein halbes Dutzend von ihnen waren Kollegen von Sony Setiawan, der ebenso wie sie normalerweise einmal wöchentlich den Flug nimmt, dieses Mal aber im Stau von Jakarta steMann cken geblieben war und deshalb mit der nächsten Maschine nachkommen musste. Er habe von dem Unglück erst nach seiner Ankunft in Pangkal Pinang erfahren, sagte Setiawan. „Meine Familie stand völlig unter Schock, meine Mutter weinte – aber ich konnte ihnen sagen, dass ich wohlauf bin. Ich bin dankbar.“Aber gleichzeitig sei er traurig: „Ich weiß, dass meine Freunde in der Maschine saßen.“
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach dem indonesischen Staatschef Joko Widodo und seinem Land ihr „tief empfundenes Beileid“aus. „Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Opfern und ihren Familien“, erklärte sie in einem Kondolenztelegramm an den Präsidenten.
Der indische Pilot und sein CoPilot hatten sich – zusätzlich zu ihrer Flugerfahrung – kürzlich einer Gesundheitskontrolle unterzogen. Der US-Flugzeugbauer Boeing bot technische Unterstützung bei der Untersuchung der Absturzursache an. Nach Informationen der Internetseite Airlineratings hatte Boeing im Mai 2017 die Auslieferung ihres neuesten Typs 737 Max 10 an Fluglinien wegen Triebwerksproblemen kurzzeitig wieder ausgesetzt.
Im Inselstaat Indonesien sind Flugzeuge ein wichtiges Transportmittel. Seit rund zehn Jahren steigt die Zahl der Inlandsflüge stetig an. Zu den Gewinnern des boomenden Markts gehört auch Lion Air: Erst vor wenigen Monaten hatte der stark expandierende Billigflieger den Kauf von 50 Boeing 737 Max 10 für umgerechnet 5,48 Milliarden Euro angekündigt.