Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Der Weltrekord-Traum ist eingefroren
Warum es mit dem Geschenk zum 90. Geburtstag von Franz Gries nicht geklappt hat. Nachdem beim jüngsten Versuch nur acht Zentimeter gefehlt haben, will es der rüstige Senior noch einmal versuchen
Wettenhausen/Lützelburg Es ist ein Wetter, bei dem man keinen Hund vor die Tür jagen würde. Nachdem man am Freitag seinen Kaffee noch im Freien genießen konnte, herrschen nun Temperaturen um den Gefrierpunkt und über Nacht hat sich eine geschlossene Schneedecke ausgebreitet. Auch über die Sportanlage des St. Thomas Gymnasiums in Wettenhausen, einem Ortsteil der Gemeinde Kammeltal im Landkreis Günzburg. Dort hat Jürgen Hinterstößer, der an dieser Schule Sportlehrer ist, einen kleinen Wettkampf im Kugelstoßen organisiert. Hintergrund: Franz Gries, sein Vereinskamerad bei der LG Reischenau-Zusamtal, wollte einen Tag nach seinem 90. Geburtstag einen neuen Weltrekord in dieser Altersklasse aufstellen. Doch aus diesem nachträglichen Geburtstagsgeschenk wurde nichts.
Bei den Deutschen Seniorenmeisterschaften in Mönchengladbach im Juli dieses Jahres hatte Franz Gries den deutschen Rekord im Kugelstoßen der Altersklasse M 90 mit 10,12 Metern förmlich pulverisiert. Die bisherige Bestmarke aus dem Jahr 2010 lag bei 9,14 Metern. Als Weltrekord konnte die Leistung jedoch nicht anerkannt werden, weil der 1928 im Sudetenland geborene Senior, der mit sportlicher Figur und vollem, ergrauten Haar nach wie vor ein gestandenes Mannsbild verkörpert, erst am 27. Oktober den 90. Geburtstag hat. Mittelmäßig habe er gefeiert, verrät Franz Gries: „Ich kann doch nicht zwei Flaschen Sekt trinken, wenn ich am nächsten Tag einen wichtigen Wettkampf habe.“
Doch der Tag der Tage war nicht nach dem Geschmack des ehemaligen Leichtathleten, Handballers und Tennisspielers. „Das hab ich gleich gemerkt. Das waren ja auch nicht nur schlechte, das waren gar keine Bedingungen“, sagt Rolf Kropka. Seit Franz Gries, der mit 55 Jahren seinen Beruf als Architekt an den Nagel gehängt hat, nach einem missglückten Ausstieg in die Türkei wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, ist der Inhaber des RelaxFitnessstudios in Zusmarshausen Trainer und Mentor des aktiven Seniors. „Seine Freizeitbeschäftigung war Spazierengehen und Pilzesammeln. Da habe ich gesagt: ,Komm, lass uns zusammen trainieren‘“, lacht Kropka.
Am Sonntag gab es für die beiden wenig zu lachen. Doch trotz des miserablen Wetters wollte man den Wettkampf unbedingt durchziehen. „Jetzt probieren wir es halt“, sagt Franz Gries, als er nach dem Aufwärmen, das in der Turnhalle erfolgte, im blauen Strickpullover und dicker Winterjacke durch den Schneeregen zum Kugelstoß-Ring marschierte. Und der erste Wurf war vielversprechend: „9,68 Me- ter!“, verkündete Jürgen Hinterstößer, der zusammen mit Gerd Auer von der LG ESV Augsburg-TSV Neusäß als Kampfrichter fungierte. Das waren nur acht Zentimeter weniger, als der offizielle Weltrekord von 9,73 Metern. „Eine im Internet kursierende Weite von 10,31 Metern kam unter unlauteren Bedingungen zustande“, erklärt Kropka.
Unlautere Bedingungen herrschen auch in Wettenhausen. Immer wieder muss Jürgen Hinterstößer den Kugelstoß-Ring vom Wasser befreien. Die Metallkugel ist kalt, die Hände klamm und feucht. „Ausgerutscht! Das wird nichts“, will Gries schon bald die Kugel in den Sand schmeißen. Doch Kropka lässt das nicht zu: „Du haust denen jetzt das Ding um die Ohren!“, fordert er seinen Schützling auf, es unter den Anfeuerungen der kleinen Trainingsgruppe, die diesen Wettkampf mitmacht, nochmals zu versuchen. „Wir stehen so kurz davor!“Als Franz Gries schließlich bei einer „Trockenübung“auch noch stürzt, schmilzt die Hoffnung auf den Weltrekord wie der Schnee am darauffolgenden Tag. Obwohl er sich leicht an der Hand verletzt hat, startet er einen letzten Versuch – 9,21 Meter. „Bei normalen Bedingungen habe ich die Kugel beim Training in der vergangenen Woche mindestens einen Meter weiter geworfen“, konstatiert Franz Gries, als er enttäuscht seine Kugel in den Rucksack packt. Doch der Traum vom Weltrekordversuch ist nicht erfroren, sondern nur eingefroren. Kropka: „Das versuchen wir im Sommer schon noch mal.“
Der 90-Jährige wird jetzt erst einmal in der Türkei überwintern und Wärme tanken, bevor es Ende März mit der Hallenweltmeisterschaft in Polen weitergeht. Dort zählen sowohl Franz Gries (AK 90) als auch Rolf Kropka (AK 55) zu den Favoriten. Ein Hallenweltrekord wäre ja schließlich auch ein gutes Trostpflaster.
„Das waren keine schlechten, das waren gar keine Bedingungen!“
Rolf Kropka