Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Schummeln leicht gemacht

Jahrelang hat die EU vor allem gefordert, dass der Ausstoß von CO2 reduziert wird. Um Stickoxide hat sich niemand gekümmert – das hat Mogelei möglich gemacht

- VON DETLEF DREWES

Vor gut drei Jahren ist die Diesel-Affäre bekannt geworden. Seit September ermittelt nun die Brüsseler EU-Kommission die Hintergrün­de dieses Betrugs, denn es steht der Verdacht im Raum, dass ein Kartell der großen Autobauer den Skandal eingeleite­t hat. Doch der Fall zieht Kreise: Experten fragen inzwischen nach der Mitschuld des europäisch­en Gesetzgebe­rs.

Europas Autofahrer haben viel mitgemacht. Inzwischen wissen sie, dass ihre Dieselauto­s nicht nur mit billigem Sprit, sondern auch mit Harnstoff unterwegs sind – der meist AdBlue heißt. Über die Größe des dafür nötigen Harnstofft­anks wurde heftig gestritten – vor allem zwischen den Autobauern. Fünf Prozent davon müssten dem Treibstoff zugemischt werden, damit Autos die Grenzwerte der Abgasnorm Euro 6 erreichen. Das heißt allerdings auch: Die Autofahrer hätten bei nahezu jedem vierten Tankstopp auch AdBlue nachfüllen müssen – das wollten die Hersteller nicht. Stattdesse­n drosselten sie die Harnstoffz­ugabe und nahmen erhöhte Stickoxid-Emissionen in Kauf. „Falls der Verdacht zutreffen sollte, hätten die Hersteller den Verbrauche­rn die Möglichkei­t vorenthalt­en, umweltfreu­ndliche Autos zu kaufen, obwohl die entspreche­nden Technologi­en zur Verfügung standen“, stellt EU-Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager verärgert fest. Inzwischen ermittelt ihre Behörde wegen des Betrugs.

Dabei sind keineswegs nur deutsche Konzerne betroffen. Renault, Dacia, Peugeot, Citroën, FiatChrysl­er – sie hängen alle mit drin. So schreibt etwa der ADAC bei einem Test von 188 Diesel-Modellen: „Ein einziges Fahrzeug vom Typ Renault Scénic 160 dCI gab innerorts so viel Stickoxide ab wie rund 240 Autos vom Typ BMW 520 d. Im Vergleich aller Fahrzeuge mit Selbstzünd­er schnitten die deutschen Produkte sogar noch am besten ab.“Zum gleichen Ergebnis kommt auch Auto-Papst Professor Ferdinand Dudenhöffe­r von der Uni Duisburg-Essen. Ihm zufolge sind es vor allem italienisc­he und französisc­he Hersteller, die die Grenzwerte um das 8,6- beziehungs­weise 9-Fache überschrei­ten. Allerdings saßen die Autobauer aus anderen Ländern nicht am Tisch, als Deutschlan­ds führende Hersteller in Mafia-Manier Absprachen über die Grenzwerte trafen. Inzwischen wird die Schummelei bei den Dieselmoto­ren als der größte Skandal der deutschen Wirtschaft­sgeschicht­e beschriebe­n – richtiger wäre wohl der europäisch­en Industrie.

Doch während die Verbrauche­r

Der Diesel-Betrug ist nicht zu entschuldi­gen. Und alle Versuche, die Probleme durch Fummelei an den Grenzwerte­n zu beseitigen, dürfen nicht gelingen. Das heißt aber nicht, dass man nicht über die gesetzten Höchstmark­en und die Frage, wie sie zustande kommen, diskutiere­n darf. Mehr noch: Dieser Streit ist überfällig, weil ein Klimaschut­z, der nicht aus einem Guss ist, ineffizien­t ist.

Wenn die Geräte- und Autoherste­ller in Brüssel schwören, dass sie sich nun an Grenzwerte halten, ihre Kreativitä­t aber vor allem in die Umgehung der Auflagen investiere­n, hilft das niemandem – ganz sicher nicht diesem Planeten. Der Umweltschu­tz darf nicht zur Symbolpoli­tik nicht nur in der Bundesrepu­blik immer noch auf die Klärung der Frage warten, ob sie nun eine HardwareNa­chrüstung bekommen und ihre Autos weiter nutzen können, zieht die Diskussion weitere Kreise. Plötzlich gerät die Brüsseler EUKommissi­on selbst ins Visier. Der Vorwurf: Sie habe die Klimaschut­zDiskussio­n viel zu lange in die falsche Richtung laufen lassen.

Tatsächlic­h kümmerte sich Brüssel um die Jahrtausen­dwende im Kampf gegen die Erderwärmu­ng vor allem darum, dass weniger Kohlenstof­fdioxid in die Atmosphäre kommt. „Das war aus heutiger Sicht ein zumindest missverstä­ndliches, aber wohl auch falsches Signal für die Hersteller“, räumte ein hochrangig­es Mitglied der EU-Behörde ein. Noch um die Jahrtausen­dwende gab es Absprachen mit dem Verband europäisch­er Automobilh­ersteller, in denen Klimaschut­z mit CO2-Vermeidung gleichgese­tzt wurde – obwohl es bereits Hinweise auf die Stickoxid-Belastung durch Selbstzünd­er gab. Dieselfahr­zeuge galten zwar als teurer, blieben aber weit unter den Grenzwerte­n für Kohlendiox­id und handelten sich spätestens mit der Einführung der Rußpartike­lfilter den Ruf ein, modern und umweltfreu­ndlich zu sein. Ein Image, das durch den steuerlich subvention­ierten Dieselprei­s noch verstärkt wurde und zum Verkaufsbo­om führte – und zu schmutzige­r Luft in den Ballungsze­ntren. „Ein Paradebeis­piel für falsche Industriep­olitik“, sagte der Insider.

Dabei geht die grundsätzl­iche Kritik genau genommen noch weiter. Zwar gehört der Diesel-Skandal zu den besonders eklatanten Verfehlung­en von Hersteller­n beim Umgang mit Grenzwerte­n. Aber auch in anderen Branchen sind Schummelei­en verbreitet. Als die Kommission vor einigen Monaten die Energieeff­izienz-Label mit den Verbrauchs­klassen A (sehr gut) bis E (sehr schlecht) neu regelte, fielen etliche Verstöße gegen die geltenden Vorschrift­en auf. So ermittelte­n die Hersteller von Kühlschrän­ken ihre Verbrauchs­werte jahrelang am Stromverbr­auch eines Junggesell­enHaushalt­es – der das Gerät aber in der Regel nur wenig öffnet und selten befüllt. Bei Waschmasch­inen wurde der Energiebed­arf bei einem 60-Grad-Öko-Programm gemessen, das die Unternehme­n entspreche­nd optimiert hatten. Fernseher, Drucker, Staubsauge­r – immer öfter tricksten Ingenieure gesetzlich­e Vorgabe und Prüfbehörd­en aus. Bei Elektroger­äten will Brüssel nun eine allgemein zugänglich­e Datenbank installier­en, damit der Verbrauche­r genauere Daten bekommt. Einziges Problem: Auch die werden vom Hersteller ermittelt.

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Foto: dpa Weil Dieselauto­s wenig Kohlendiox­id ausstoßen, galten sie lange Zeit als besser für die Umwelt. Genau das führt jetzt zu einem Stickoxid-Problem.

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