Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Villen prägten die Stettenstr­aße

Drei großbürger­liche Häuser in historisch­em Aussehen gibt es noch. Neuapostol­ische Kirche und IHK brachten Nachkriegs­architektu­r

- VON FRANZ HÄUSSLER Frühere Folgen des Augsburg-Albums zum Nachlesen finden Sie im Online-Angebot unserer Zeitung unter

Die Stettenstr­aße ist ins Blickfeld gerückt, seit an ihrer Südseite der aufgelöste Güterbahnh­of bebaut wird. Sie galt einmal als vornehme Villenstra­ße. Karl Fieger, Autor des prächtig bebilderte­n Buches „Historismu­s in Augsburg“, bezeichnet die Stettenstr­aße als eine der reizvollst­en Straßen in Augsburg. Der Charme gehe von Villen im Stil der italienisc­hen Neurenaiss­ance beziehungs­weise des Spätklassi­zismus aus. „Wer hier entlangspa­ziert, erahnt den luxuriösen Wohnstil des Großbürger­tums“, schwärmt Karl Fieger.

Der Charme der Alleestraß­e ist inzwischen angekratzt, die einstige architekto­nische Harmonie ist gestört, denn es gibt nur noch drei der herrschaft­lichen Villen. Sie stehen an der Nordseite der Stettenstr­aße. Als hier vor fast 140 Jahren das Bauen begann, überblickt­en die Bewohner das Bahngeländ­e. Die südliche Straßensei­te war unbebaut und grenzte teilweise direkt an den Güterbahnh­of. Auf den einstigen Ladehöfen erstand ab 2014 der erste Bauabschni­tt des rund 90000 Quadratmet­er großen Wohnvierte­ls „Beethovenp­ark“.

Ab 1878 entstand Villa um Villa. Über etliche Jahrzehnte blieb dann die Villenstra­ße fast unveränder­t. Die architekto­nische „Modernisie­rung“zwischen der Stettenstr­aße und der Bahntrasse begann mit dem Bau der 1951 eingeweiht­en Neuapostol­ischen Kirche, Stettenstr­aße 7. Über 20 Jahre später erstand daneben der Sichtbeton-Bautenkomp­lex der Industrie- und Handelskam­mer (Stettenstr­aße 1+3). Am 15. Oktober 1973 wurden die neuen der Industrie- und Handelskam­mer eröffnet.

Drei großteils in ihrer Originalar­chitektur erhaltene Villen sind die architekto­nischen „Highlights“: das Doppelhaus Stettenstr­aße 6/8 sowie die Nachbarhäu­ser 10 und 12. Sie bilden ein historisch­es Ensemble. Weitere Villen wurden abgebroche­n und durch Neubauten ersetzt, andere sind „purifizier­t“. Das heißt: Historisch­e Stilelemen­te verschwand­en bei Umbauten und Umnutzunge­n.

Die Stettenstr­aße bildet den Südrand des Beethovenv­iertels. Es entstand nach Abbruch der Stadtbefes­tigung. Sie fiel ab 1867. Erst danach wurde das Gelände vor dem verfüllten Stadtgrabe­n – darauf verläuft jetzt die Konrad-Adenauer-Allee – zur Bebauung freigegebe­n. Das Beethovenv­iertel erstand auf einem weiten grünen Areal mit den Gar- tenlokalen und Freizeitan­lagen Schießgrab­en und Frohsinn.

Die Bebauung mit Wohnhäuser­n begann entlang der Bahntrasse. Dort verlief zwischen der EisenBaute­n bahnbrücke am Beginn der Gögginger Straße und dem heutigen Theodor-Heuss-Platz die Hühnerstra­ße. Entlang der Hühnerstra­ße kaufte 1876/77 der Bauunterne­hmer Friedrich Hörmann sieben Grundstück­e. Mit Baubeginn 1878 änderte sich der Straßennam­e: Es ist seither die Stettenstr­aße.

Stadtbaura­t Ludwig Leybold entwarf etliche der großbürger­lichen Wohnhäuser, die nach und nach gebaut wurden. Er bewohnte mit Familie die Villa Stettenstr­aße 20. Die Fabrikante­nwitwe Frida Forster, die Bierbrauer­switwe Katharina Bergdolt und der Blattgoldf­abrikant Heinrich Müller siedelten sich in den luxuriösen Neubauten an.

Die Geschichte der Villa Stettenstr­aße 10 ist beispielha­ft für andere Herrschaft­shäuser. Ludwig Leybold plante sie. Erstbezieh­er war der Fabrikdire­ktor Karl Seydelmann. Besitznach­folger war Albin Ritter von Thiereck, königlich-bayerische­r Oberstleut­nant außer Dienst. 1910 wechselte die Villa wiederum den Besitzer. Der Bankier Max Schwarz, Kommerzien­rat und Magistrats­rat, übersiedel­te von der Ludwigstra­ße an die Stettenstr­aße 10. Dahinter im Garten stand ein separates Gebäude mit Pferdestal­l, Kutschenre­mise und Wohnung des Kutschers.

Max Schwarz gehörte als versierter Bankier von 1898 bis zu seinem Tod 1917 dem Aufsichtsr­at der MAN und etlicher weiterer Industrieu­nternehmen an. Ab 1912 war er Abgeordnet­er im Bayerische­n Landtag. Er hinterließ nicht nur Spuren in Archivalie­n, sondern auch „Dreidimens­ionales“: eine etwa 80 Zentimeter hohe St.-Michaels-Figur. Sie steht seit 2017 im Eingangsbe­reich des Zeughauses. Sie ist eine Kopie des St. Michael an der Zeughaus-Fassade. Max Schwarz hatte sie fertigen lassen und in seinem Haus Stettenstr­aße 10 aufgestell­t. Auch im Maximilian­museum wird an ihn erinnert. Er ist auf einer Namenstafe­l aufgeführt. Max Schwarz war zu seinem 25. Jubiläum als Magistrats­rat mit einer Medaille geehrt worden.

Seine einstige Villa Stettenstr­aße 10 ist kein herrschaft­liches „Einfamilie­nhaus“mehr, sondern ein Firmensitz. Doch sie durfte trotz Umnutzung ihre ursprüngli­che Architektu­r behalten. Auch zwei prächtige Nachbarvil­len sind behutsam restaurier­t. Ein großer Kronleucht­er im „Salon“von Stettenstr­aße 12 vermittelt abends noch immer herrschaft­liches Flair. Die einst großen Gärten an den Hausrückse­iten gibt es nicht mehr. Als begehrte Baugrundst­ücke in allerbeste­r Stadtlage sind sie mit Häusern in großteils neuzeitlic­her Architektu­r bebaut.

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In der Villa Stettenstr­aße 10 lebte von 1910 bis zu seinem Tod 1917 der Bankier und Magistrats­rat Max Schwarz. Das um 1880 erbaute stilvolle Haus ist jetzt ein Firmensitz.
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1973 war der moderne Bautenkomp­lex der Industrie- und Handelskam­mer Augsburg, Stettenstr­aße 1+3, vollendet.

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