Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Villen prägten die Stettenstraße
Drei großbürgerliche Häuser in historischem Aussehen gibt es noch. Neuapostolische Kirche und IHK brachten Nachkriegsarchitektur
Die Stettenstraße ist ins Blickfeld gerückt, seit an ihrer Südseite der aufgelöste Güterbahnhof bebaut wird. Sie galt einmal als vornehme Villenstraße. Karl Fieger, Autor des prächtig bebilderten Buches „Historismus in Augsburg“, bezeichnet die Stettenstraße als eine der reizvollsten Straßen in Augsburg. Der Charme gehe von Villen im Stil der italienischen Neurenaissance beziehungsweise des Spätklassizismus aus. „Wer hier entlangspaziert, erahnt den luxuriösen Wohnstil des Großbürgertums“, schwärmt Karl Fieger.
Der Charme der Alleestraße ist inzwischen angekratzt, die einstige architektonische Harmonie ist gestört, denn es gibt nur noch drei der herrschaftlichen Villen. Sie stehen an der Nordseite der Stettenstraße. Als hier vor fast 140 Jahren das Bauen begann, überblickten die Bewohner das Bahngelände. Die südliche Straßenseite war unbebaut und grenzte teilweise direkt an den Güterbahnhof. Auf den einstigen Ladehöfen erstand ab 2014 der erste Bauabschnitt des rund 90000 Quadratmeter großen Wohnviertels „Beethovenpark“.
Ab 1878 entstand Villa um Villa. Über etliche Jahrzehnte blieb dann die Villenstraße fast unverändert. Die architektonische „Modernisierung“zwischen der Stettenstraße und der Bahntrasse begann mit dem Bau der 1951 eingeweihten Neuapostolischen Kirche, Stettenstraße 7. Über 20 Jahre später erstand daneben der Sichtbeton-Bautenkomplex der Industrie- und Handelskammer (Stettenstraße 1+3). Am 15. Oktober 1973 wurden die neuen der Industrie- und Handelskammer eröffnet.
Drei großteils in ihrer Originalarchitektur erhaltene Villen sind die architektonischen „Highlights“: das Doppelhaus Stettenstraße 6/8 sowie die Nachbarhäuser 10 und 12. Sie bilden ein historisches Ensemble. Weitere Villen wurden abgebrochen und durch Neubauten ersetzt, andere sind „purifiziert“. Das heißt: Historische Stilelemente verschwanden bei Umbauten und Umnutzungen.
Die Stettenstraße bildet den Südrand des Beethovenviertels. Es entstand nach Abbruch der Stadtbefestigung. Sie fiel ab 1867. Erst danach wurde das Gelände vor dem verfüllten Stadtgraben – darauf verläuft jetzt die Konrad-Adenauer-Allee – zur Bebauung freigegeben. Das Beethovenviertel erstand auf einem weiten grünen Areal mit den Gar- tenlokalen und Freizeitanlagen Schießgraben und Frohsinn.
Die Bebauung mit Wohnhäusern begann entlang der Bahntrasse. Dort verlief zwischen der EisenBauten bahnbrücke am Beginn der Gögginger Straße und dem heutigen Theodor-Heuss-Platz die Hühnerstraße. Entlang der Hühnerstraße kaufte 1876/77 der Bauunternehmer Friedrich Hörmann sieben Grundstücke. Mit Baubeginn 1878 änderte sich der Straßenname: Es ist seither die Stettenstraße.
Stadtbaurat Ludwig Leybold entwarf etliche der großbürgerlichen Wohnhäuser, die nach und nach gebaut wurden. Er bewohnte mit Familie die Villa Stettenstraße 20. Die Fabrikantenwitwe Frida Forster, die Bierbrauerswitwe Katharina Bergdolt und der Blattgoldfabrikant Heinrich Müller siedelten sich in den luxuriösen Neubauten an.
Die Geschichte der Villa Stettenstraße 10 ist beispielhaft für andere Herrschaftshäuser. Ludwig Leybold plante sie. Erstbezieher war der Fabrikdirektor Karl Seydelmann. Besitznachfolger war Albin Ritter von Thiereck, königlich-bayerischer Oberstleutnant außer Dienst. 1910 wechselte die Villa wiederum den Besitzer. Der Bankier Max Schwarz, Kommerzienrat und Magistratsrat, übersiedelte von der Ludwigstraße an die Stettenstraße 10. Dahinter im Garten stand ein separates Gebäude mit Pferdestall, Kutschenremise und Wohnung des Kutschers.
Max Schwarz gehörte als versierter Bankier von 1898 bis zu seinem Tod 1917 dem Aufsichtsrat der MAN und etlicher weiterer Industrieunternehmen an. Ab 1912 war er Abgeordneter im Bayerischen Landtag. Er hinterließ nicht nur Spuren in Archivalien, sondern auch „Dreidimensionales“: eine etwa 80 Zentimeter hohe St.-Michaels-Figur. Sie steht seit 2017 im Eingangsbereich des Zeughauses. Sie ist eine Kopie des St. Michael an der Zeughaus-Fassade. Max Schwarz hatte sie fertigen lassen und in seinem Haus Stettenstraße 10 aufgestellt. Auch im Maximilianmuseum wird an ihn erinnert. Er ist auf einer Namenstafel aufgeführt. Max Schwarz war zu seinem 25. Jubiläum als Magistratsrat mit einer Medaille geehrt worden.
Seine einstige Villa Stettenstraße 10 ist kein herrschaftliches „Einfamilienhaus“mehr, sondern ein Firmensitz. Doch sie durfte trotz Umnutzung ihre ursprüngliche Architektur behalten. Auch zwei prächtige Nachbarvillen sind behutsam restauriert. Ein großer Kronleuchter im „Salon“von Stettenstraße 12 vermittelt abends noch immer herrschaftliches Flair. Die einst großen Gärten an den Hausrückseiten gibt es nicht mehr. Als begehrte Baugrundstücke in allerbester Stadtlage sind sie mit Häusern in großteils neuzeitlicher Architektur bebaut.