Augsburger Allgemeine (Land Nord)
Eine Wahl, die vieles verändern könnte
Auch wenn es nicht direkt um das Weiße Haus geht – die Zwischenwahlen sind traditionell eine Abrechnung mit der Politik des amerikanischen Präsidenten. Aber was kann Donald Trump passieren?
Washington Eine Welle baut sich langsam auf. Sie kann eine beeindruckende Höhe und Kraft entfalten. Manchmal aber bricht sie, bevor sie das Ufer erreicht. Einen solchen Moment haben die US-Demokraten Anfang Oktober erlebt. Bis dahin war die Euphorie der Opposition über die bevorstehende „blaue Welle“bei den Kongresswahlen am 6. November groß. Blau ist die Farbe der Demokraten. In New York war Alexandria Ocasio-Cortez, eine 29-jährige Parteilinke mit puertoricanischen Wurzeln, über Nacht zur Hoffnungsträgerin für die politische Wende im Repräsentantenhaus geworden. Und im stockkonservativen Texas feierten die Medien den demokratischen Senatskandidaten Beto O’Rourke schon als „neuen Kennedy“. Kaum jemand zweifelte, dass Präsident Donald Trump nach all seinen Lügen und Unverschämtheiten am Wahltag eine gewaltige Klatsche bekommen würde.
Doch dann drückte Trump seinen umstrittenen Kandidaten für den obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, trotz aller Missbrauchsvorwürfe durch – und die Zustimmungswerte der Demokraten stiegen nicht. Im Gegenteil: Die wilde Attacke des erzkonservativen Abtreibungsgegners gegen die #MeToo-Bewegung elektrisierte die Trump-Basis. Die Umfragekurve der Republikaner ging nach oben. Plötzlich erinnerten sich viele Demokraten an das Debakel von 2016, als die Favoritin Hillary Clinton gegen alle Prognosen den Einzug ins Weiße Haus verpasste. Seither ist nur noch selten von der „blauen Welle“die Rede.
Dabei sind die Chancen der Demokraten für einen wichtigen politischen Erfolg am kommenden Dienstag weiter gut. Man muss nur genauer hinsehen. Zur Mitte der präsidialen Amtszeit stehen das gesamte Repräsentantenhaus mit 435 Abgeordneten und ein Drittel des 100-köpfigen Senats sowie zahlreiche Gouverneure zur Wahl. Bislang werden beide Kammern des Kongresses von den Republikanern beherrscht. Viel spricht dafür, dass sich daran im Senat nichts ändert. Die Wahrscheinlichkeit eines Mehrheitswechsels im Repräsentantenhaus aber ist groß. Um die Mehrheit zu erobern, müssten die Demokraten 23 Mandate hinzugewinnen. Der unabhängige Analysedienst Cook-Report erwartet inzwischen einen Zuwachs um 25 bis 40 Sitze. Behalten die Demoskopen recht, werden die nächsten zwei Jahre für Trump fundamental anders aussehen als seine bisherige Regentschaft.
Trump müsste sich auf fundamentale Oppositionsarbeit der Demokraten einstellen. Die Milliarden für seinen Mauerbau an der Grenze zu Mexiko – ein zentrales Wahlkampfanliegen – könnte er wohl zunächst abschreiben. Ebenso müsste er sich auf Regierungsstillstände einstellen, weil eine demokratische Mehrheit seine Haushaltsgesetze torpedieren dürfte.
Alles hängt nun von der Mobilisierung ab. Traditionell geben bei den Zwischenwahlen gerade einmal 40 Prozent der Amerikaner ihre Stimme ab. Mit seinen DauerTweets, einer Serie von Kundgebungen und einem regelrechten Kulturkampf gegen Einwanderer versucht Trump seine Basis bei Laune zu halten. Entscheidend wird sein, ob es den Demokraten gelingt, ihre eigenen Anhänger und unentschiedene Wähler in stärkerem Umfang zu aktivieren. Dabei setzt die Partei vor allem auf die Frauen in den Vorstädten, bei denen der Präsident wegen seiner sexistischen Rhetorik, seiner Schweigegeldzahlungen an Ex-Geliebte und der Parteinahme für Richter Kavanaugh ziemlich unbeliebt ist. Bei den Vorwahlen wurden viele Männer aus dem Feld geschlagen: Fast die Hälfte der demokratischen Kandidaten sind weiblich.
Erste Zahlen deuten auf eine ungewöhnlich hohe Zahl von Briefwählern hin. Mit einer dreistelligen Millionensumme für Fernseh-Werbespots versuchen demokratische Geldgeber zudem noch in den letzten Tagen, unschlüssige Wähler zur Stimmabgabe zu bewegen. Zwar steht Donald Trump nirgendwo auf dem Wahlzettel. Aber natürlich geht es bei den „Midterms“um seine Politik. Wechselt die Mehrheit im Repräsentantenhaus, würde das für ihn nicht nur das Regieren schwieriger machen, weil das Parlament zentrale politische Vorhaben wie den Umbau der Krankenversicherung, die Finanzierung der Mauer zu Mexiko oder eine weitere Steuersenkung blockieren und verhindern könnte. Weil die Demokraten die Kontrolle über alle Ausschüsse erhielten, dürfte es auch für Trump persönlich unangenehm werden. Mit Sicherheit würden die Russland-Kontakte, seine Einschüchterungsversuche gegenüber der Justiz sowie seine Schweigegeldzahlungen untersucht und seine brisanten Steuerunterlagen angefordert. Auch ein Impeachment-Verfahren könnte das Repräsentantenhaus einleiten. Zur eigentlichen Amtsenthebung bedarf es dann allerdings einer Zweidrittelmehrheit im Senat.