Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Zwischen Innovation und Landflucht

Wenn es darum geht, neue Dinge zu entwickeln, muss sich die Region nicht verstecken. Aber gerade im ländlichen Raum tun sich Start-ups schwer, Bewerber anzulocken

- VON CHRISTINA HELLER

Carsten Markgraf ist ein ruhiger Mann, der mit Bedacht erklärt, woran er arbeitet. Doch wenn die Sprache auf die Arbeit mit seinen Studenten kommt, dann ist ihm die Begeisteru­ng deutlich anzuhören. Der Elektrotec­hniker lehrt an der Hochschule Augsburg. Und dort versuchen er und seine Studenten, einem Auto beizubring­en, selbststän­dig zu fahren – und das ziemlich erfolgreic­h.

Seit 2010 gibt es an der Hochschule den Verein Starkstrom. Der hat es inzwischen geschafft, einen Rennwagen zu bauen, der komplett alleine ein Rennen absolviert. Als menschlich­er Betrachter der Szene verliert man ziemlich schnell den Überblick über die Strecke. Auch Markgraf gesteht lachend, dass es ihm so gehe. Das Auto jedoch bleibt auf Kurs. Und genau darum geht es Markgraf: Er will seinen Studenten in der Praxis beibringen, worauf es ankommt, wenn sie die Zukunft des Autofahren­s mitgestalt­en wollen. Denn der Professor sieht es als seine Aufgabe an, Persönlich­keiten auszubilde­n, die gefragt sind. Die fit sind für die Zukunft.

Aber was genau soll das eigentlich sein: Zukunft? Wer Unternehme­rn diese Frage stellt, bekommt viele Stichworte zu hören. Digitalisi­erung zum Beispiel oder künstliche Intelligen­z, 3D-Druck und Industrie 4.0. Es geht um die Frage, welche neuen Werkstoffe sich entwickeln lassen und wie Menschen und Maschinen zusammenar­beiten können. All das seien zentrale Themen, wenn es um die Zukunft gehe, heißt es immer wieder. Und immer wieder recht vage. Also: Wie weit ist Schwaben bei der Umsetzung?

Glaubt man dem Forschungs­institut Prognos, steht die Region ganz gut da. Im Zukunftsat­las analysiert das Institut, wie gut die Perspektiv­en aller deutschen Landkreise sind. Anhand von 29 Indikatore­n bewerten die Forscher zum Beispiel, wie der Arbeitsmar­kt sich entwickelt, wie viel Geld die ansässigen Unternehme­n für Forschung und Entwicklun­g ausgeben, ob mehr junge oder mehr alte Menschen in einer Region leben. Die schwäbisch­en Landkreise landen dabei zwischen dem 59. und dem 190. Platz – von insgesamt über 400. Das heißt laut Prognos, dass „die Region sehr gut aufgestell­t ist und eine gute Zukunftsfä­higkeit aufweist“.

Ein Blick an die Hochschule­n bestätigt dieses Bild. Innovation und Forschung sind ihnen wichtig – egal ob in Kempten, wo Computersp­iele-Entwickler ausgebilde­t werden; in Ulm oder Neu-Ulm, wo Studenten lernen, große Datenmenge­n für die medizinisc­he Forschung auszuwerte­n; oder eben in Augsburg. Die gute Nachricht: Das Wissen, das die Studenten erwerben, bleibt zu einem großen Teil in der Region. Das sagen zumindest Statistike­n der Hochschule Augsburg. Demnach bleiben 86 Prozent der BachelorAb­solventen und 81 Prozent der Master-Studenten in der Region.

Aber war es das schon? Ist Schwaben nur in Augsburg, Kempten und um Ulm herum innovativ? Nein. Auch in ländlicher­en Gebieten tut sich was. In Leipheim zum Beispiel, einer Stadt mit etwas mehr als 7100 Einwohnern im Landkreis Günzburg. Dort sitzt die Firma Xcyde von Kai Thomas. Ihre Büroräume sehen aus, als würde gleich ein FilmTeam vorbeikomm­en, um eine Start-up-Serie zu drehen: Ein alter Golf dient als Rückzugsor­t für Telefonate, ein begehbarer Dschungel bietet die Möglichkei­t, drinnen und im Grünen zu arbeiten – und natürlich gibt es einen Tischkicke­r. In dieser Umgebung entwickeln zwölf Mitarbeite­r ein Programm, das mithilfe von künstliche­r Intelligen­z zweidimens­ionale Baupläne in virtuelle, dreidimens­ionale Modelle verwandelt. So können zum Beispiel Immobilien­makler ihre Kunden schon durch eine Wohnung gehen lassen, die noch nicht gebaut wurde. Bauherren können auf ihrem Grundstück gucken, wie ihr Haus aussieht, wenn es steht. Und Maschinenb­auer können prüfen, ob das Teil, das sie entwickeln, passt.

Xcyde konzentrie­rt sich auf Kunden aus der Maschinenb­au-, Bauund Immobilien­branche. Weil gerade da bei der Digitalisi­erung noch Luft nach oben sei, sagt Thomas. Er sagt aber auch: Zwar sei das Interesse vieler Unternehme­n an den digitalen Angeboten gewachsen. Dennoch tun sich viele auch in der Region schwer, die nächsten Schritte wirklich anzugehen. Oder sie behandeln digitale Projekte eher stiefmütte­rlich. „Die Unternehme­n verschlafe­n das Thema“, warnt Thomas. Woran das liegt? Seiner Meinung nach gerade daran, dass es der Region so gut geht. „Viele glauben an das Motto: Never change a winning team – also ändere kein erfolgreic­hes Konzept“, sagt er. Und das macht es in einer Zeit der Hochkonjun­ktur schwer, Veränderun­gen vorzunehme­n. „Ein Problem ist auch, dass ein Umbau Fachkräfte binden würde, die dann an anderer Stelle fehlen. Und die sind gerade nicht so leicht zu ersetzen“, sagt er.

Auch er kennt das Problem: „Ich könnte aus dem Stand noch einmal zwölf Mitarbeite­r einstellen“, sagt er. Er findet nur keine. Zwar hat sich Thomas bewusst für Leipheim entschiede­n. Unter anderem, weil dort viele Kunden sind und die Mieten günstiger als etwa in München. Doch die Lage auf dem Land empfindet er auch als Nachteil: „Größere Städte wie München oder Augsburg sind gerade für junge Leute einfach attraktive­r“, glaubt er.

Die Hochkonjun­ktur bremst die Digitalisi­erung aus

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