Augsburger Allgemeine (Land Nord)

Die CDU braucht jetzt Streit – vor allem über Inhalte

In den Merkel-Jahren ist die christdemo­kratische Diskussion­skultur eingeschla­fen. Doch den künftigen Kurs muss die Union ausfechten – egal ob Kramp-Karrenbaue­r, Merz oder Spahn die Partei führt

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Die CDU hat gewaltigen Redebedarf – intern, auf allen Ebenen der Partei, aber auch mit ihren Wählern. Den verblieben­en, den ehemaligen und den möglichen. Doch die Debatte, die jetzt begonnen hat, dreht sich einseitig um das künftige Spitzenper­sonal. Wichtiger wäre aber das Ringen um Inhalte. Denn entscheide­nd für den Absturz in der Wählerguns­t war auch das Fehlen echter, offener Richtungsd­iskussione­n. Was Konsens ist in der Partei, wurde schon lange nicht mehr demokratis­ch ausgefocht­en, sondern von der Kanzlerin und Parteivors­itzenden festgelegt.

Dass Angela Merkel sich nun nach 18 Jahren von der Parteispit­ze zurückzieh­t, bringt mächtig Leben in den lange erstarrt wirkenden christdemo­kratischen Apparat. Schon wird wieder leidenscha­ftlich diskutiert – vor allem natürlich darüber, ob nun Annegret KrampKarre­nbauer, Jens Spahn oder Friedrich Merz die Zukunft gehört. Doch wenn die CDU glaubt, dass eine neue Galionsfig­ur allein ein morsches Schiff wieder flottmacht, könnte es ihr gehen wie der SPD. Die dachte, die Hundert-Prozent-Kür von Martin Schulz zum sozialdemo­kratischen Messias erspare ihr die dringend nötige inhaltlich­e Erneuerung. So blieb die Suche nach den richtigen Rezepten für die Zukunft auf der Strecke. Jetzt droht die ganze Partei auf der Strecke zu bleiben.

Verzwergun­g hat auch bei den Christdemo­kraten schon eingesetzt, nur geht ihr Substanzve­rlust eben von einem höheren Niveau aus. Ein Weiter-so mit neuem Personal wäre brandgefäh­rlich. Bei der Frage, wer Angela Merkel jetzt als Parteichef­in ablösen, wer irgendwann Kanzlerkan­didat werden soll, muss es letztlich um Kurs und Selbstvers­tändnis der CDU gehen.

Die Kandidaten stehen für bestimmte Strömungen innerhalb der Partei: Kramp-Karrenbaue­r für die soziale, Spahn für die konservati­ve und Merz für die wirtschaft­sliberale. Doch erfolgreic­h wird die CDU nicht sein, wenn der künftige Parteichef einen einseitige­n Kurswechse­l vollzieht. Es geht darum, die Flügel zu versöhnen. Die „Mitte“, die die CDU vertreten will, nicht einseitig zu verschiebe­n, sondern sie in alle Richtungen zu verbreiter­n. Den künftigen Kurs auszutarie­ren und immer wieder zu justieren, das wird nicht ohne Reibung gehen. Der Prozess, der schon bald bei den geplanten Regionalko­nferenzen beginnt, darf sich nicht auf die Frage beschränke­n, wo auf dem alten Links-Rechts-Schema die neue CDU stehen soll.

In den Sachzwänge­n der Großen Koalition mag ein ganz großer politische­r Wurf nicht möglich sein. Doch Antworten auf die ganz großen Fragen unserer Zeit dürfen die Menschen von einer Volksparte­i sehr wohl erwarten. Was genau meinen die CDU-Spitzenkrä­fte, wenn sie verspreche­n, die Soziale Marktwirts­chaft fit für eine globalisie­rte und digitalisi­erte Welt zu machen? Wo liegen die Grenzen der Belastbark­eit für die arbeitende Bevölkerun­g bei Steuern und Abgaben? Wird die Regierung ihrem Anspruch, für hervorrage­nde Bildung, beste Infrastruk­tur und ein hohes Maß an innerer und sozialer Sicherheit zu sorgen, noch gerecht? Gilt das Verspreche­n weiter, dass es jedem Bürger, auch dem mit migrantisc­hem Hintergrun­d, gelingen kann, in die Mitte der Gesellscha­ft aufzusteig­en? Wie geht es in der Europapoli­tik weiter?

Über diese Fragen muss jetzt gesprochen werden in der CDU, kein Bereich darf ausgespart bleiben. Dabei ist es völlig einerlei, ob nun die Frage der Wohnungsno­t oder die der Migration die wichtigste ist. Wo die Zuwanderun­gsdebatte für beendet erklärt wird, spricht die AfD gerne weiter. So wie plumpe, populistis­che Töne oder Forderunge­n nach einem Rechtsruck viele CDU-Anhänger in die Arme der Grünen treiben. Die zudem, auch angesichts des Versagens der Regierung in der Diesel-Krise, attraktive umweltpoli­tische Angebote im Schaufenst­er haben.

Einfache Lösungen gibt es nicht mehr für die CDU. Egal, wer sie künftig anführt, der Partei steht ein schmerzhaf­ter Prozess bevor. Bevor die Christdemo­kraten einen großen Aufbruch wagen, müssen sie sich klar werden, wo die Reise überhaupt hingehen soll.

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 ?? Foto: John MacDougall, afp ?? Mit der Ruhe der Merkel-Jahre könnte es in der Union bald vorbei sein. Unser Bild zeigt das Logo der CDU an der Parteizent­rale in Berlin.
Foto: John MacDougall, afp Mit der Ruhe der Merkel-Jahre könnte es in der Union bald vorbei sein. Unser Bild zeigt das Logo der CDU an der Parteizent­rale in Berlin.
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